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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Aonfusmsse

natürlich auf Gegenseitigkeit beruht. In einem solchen Gegensatze stehn zum
Beispiel Morgen- und Abendland. Schon im Altertum fanden die Griechen,
daß sich die Ägypter ganz anders gehabten als die übrigen Menschen, und
zwar bis zu den einfachsten, natürlichsten Verrichtungen hinunter; jetzt be¬
haupten das die Franken von den Orientalen überhaupt. Wirklich ist eS
wunderbar, wie sich die Sitte umkehrt, wenn man über das Mittelmeer ist;
das eine Land das Widerspiel vom andern. Der Araber schreibt nicht nur
von rechts nach links, er ist überhaupt vollständig links. Er zieht seine
Schuhe aus, wem? er die Moschee betritt, und behalt seinen Turban auf;
wenn wir in die Kirche gehn, nehmen wir den Hut ab und behalten die
Schuhe an. Er reitet auf einem Esel durch die Straßen von Kairo; wir
fahren in einer Droschke. Er kauert, um auszuruhn; wir setzen uns auf eine
Bank. Er schläft in seinen Kleidern auf dein Sofa; wir lege" uns zu Bett.
Von dem Zeremoniell und den gesellschaftlichen Pflichten gar nicht zu reden.
Im Abendlande macht der Gast den Antrittsbesuch; im Orient der Wirt. Der
orientalische Kaufmann empfängt den Kunden, der seinen Laden betritt, wie
einen Besuch, er bietet ihm Kaffee und eine Pfeife an, das Geschäft ist Neben¬
sache, man braucht gar nichts zu kaufen. Mirza und Jussuf treiben sich in
Paris umher; sie sprechen vom Präsidenten. Ein schöner Mann, der fränkische
Emir! bemerkt der eine. Reich kann er aber nicht sein, entgegnet der andre,
wir haben ihn doch immer mit einer und derselben Frau gesehen!

Ja, warum nicht lieber: die Konfntsen, die Konfusen! In China scheint
doch die Konfusion und die verkehrte Welt nun vollends umzugehn, es fehlt
nicht viel, wir halten dieses alte Kulturvolk geradezu für dumm, ja in
Spanien heißt es, wenn man jemand zu verstehn geben will, daß man sich
nicht betrügen lasse, und daß man helle sei: Sind wir etwa Chinesen? 8vino8
Ruinös? als ob eben die Chinesen Dummköpfe und Gelbschnäbel wären. Das
macht, daß im weiten Morgenlande niemand so eigen, so ganz und gar um¬
gekehrt und links ist wie der weizengelbe Mann. Er sitzt zwar, abweichend von
den übrigen Asiaten, beim Essen auf einem Stuhle; aber sein Stuhl ist wie
ein Mokierstuhl, auf dem er Europa seine tausend Wunderlichkeiten vormacht.
Er gilt für einen Oberkonfusionsrat, für einen Erzkonfusionarius, der Bekenner
des Konfutsianismus.

Die Chinesen spielen in vieler Beziehung eine Rolle wie die Ägypter im
Altertum: ihre Kultur ist ebenso alt, und sie ist ebenso rein und unvermischt
geblieben. Bis in die sechziger Jahre konnte man auch die Japaner zu ihnen
rechnen, die zwar keine nahen Verwandten, aber in Schrift, Litteratur, Kunst,
Tracht, Staatseinrichtungen und Religion jahrhundertelang bei den Chinesen
in die Schule gegangen sind. Auch in Japan wundert sich ja der Reisende
über vieles -- daß der Japaner kein Taschentuch führt, sondern ein Papier,
das er nach dein Gebrauche fortwirft -- daß er beim Entkorken einer Flasche
nicht den Pfropfenzieher in den Kork, sondern den Kork in den Pfropfenzieher
hineindreht -- daß der Tischler auf sich zuhobelt, statt vou sich fort -- daß


Die Aonfusmsse

natürlich auf Gegenseitigkeit beruht. In einem solchen Gegensatze stehn zum
Beispiel Morgen- und Abendland. Schon im Altertum fanden die Griechen,
daß sich die Ägypter ganz anders gehabten als die übrigen Menschen, und
zwar bis zu den einfachsten, natürlichsten Verrichtungen hinunter; jetzt be¬
haupten das die Franken von den Orientalen überhaupt. Wirklich ist eS
wunderbar, wie sich die Sitte umkehrt, wenn man über das Mittelmeer ist;
das eine Land das Widerspiel vom andern. Der Araber schreibt nicht nur
von rechts nach links, er ist überhaupt vollständig links. Er zieht seine
Schuhe aus, wem? er die Moschee betritt, und behalt seinen Turban auf;
wenn wir in die Kirche gehn, nehmen wir den Hut ab und behalten die
Schuhe an. Er reitet auf einem Esel durch die Straßen von Kairo; wir
fahren in einer Droschke. Er kauert, um auszuruhn; wir setzen uns auf eine
Bank. Er schläft in seinen Kleidern auf dein Sofa; wir lege» uns zu Bett.
Von dem Zeremoniell und den gesellschaftlichen Pflichten gar nicht zu reden.
Im Abendlande macht der Gast den Antrittsbesuch; im Orient der Wirt. Der
orientalische Kaufmann empfängt den Kunden, der seinen Laden betritt, wie
einen Besuch, er bietet ihm Kaffee und eine Pfeife an, das Geschäft ist Neben¬
sache, man braucht gar nichts zu kaufen. Mirza und Jussuf treiben sich in
Paris umher; sie sprechen vom Präsidenten. Ein schöner Mann, der fränkische
Emir! bemerkt der eine. Reich kann er aber nicht sein, entgegnet der andre,
wir haben ihn doch immer mit einer und derselben Frau gesehen!

Ja, warum nicht lieber: die Konfntsen, die Konfusen! In China scheint
doch die Konfusion und die verkehrte Welt nun vollends umzugehn, es fehlt
nicht viel, wir halten dieses alte Kulturvolk geradezu für dumm, ja in
Spanien heißt es, wenn man jemand zu verstehn geben will, daß man sich
nicht betrügen lasse, und daß man helle sei: Sind wir etwa Chinesen? 8vino8
Ruinös? als ob eben die Chinesen Dummköpfe und Gelbschnäbel wären. Das
macht, daß im weiten Morgenlande niemand so eigen, so ganz und gar um¬
gekehrt und links ist wie der weizengelbe Mann. Er sitzt zwar, abweichend von
den übrigen Asiaten, beim Essen auf einem Stuhle; aber sein Stuhl ist wie
ein Mokierstuhl, auf dem er Europa seine tausend Wunderlichkeiten vormacht.
Er gilt für einen Oberkonfusionsrat, für einen Erzkonfusionarius, der Bekenner
des Konfutsianismus.

Die Chinesen spielen in vieler Beziehung eine Rolle wie die Ägypter im
Altertum: ihre Kultur ist ebenso alt, und sie ist ebenso rein und unvermischt
geblieben. Bis in die sechziger Jahre konnte man auch die Japaner zu ihnen
rechnen, die zwar keine nahen Verwandten, aber in Schrift, Litteratur, Kunst,
Tracht, Staatseinrichtungen und Religion jahrhundertelang bei den Chinesen
in die Schule gegangen sind. Auch in Japan wundert sich ja der Reisende
über vieles — daß der Japaner kein Taschentuch führt, sondern ein Papier,
das er nach dein Gebrauche fortwirft — daß er beim Entkorken einer Flasche
nicht den Pfropfenzieher in den Kork, sondern den Kork in den Pfropfenzieher
hineindreht — daß der Tischler auf sich zuhobelt, statt vou sich fort — daß


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[0146] Die Aonfusmsse natürlich auf Gegenseitigkeit beruht. In einem solchen Gegensatze stehn zum Beispiel Morgen- und Abendland. Schon im Altertum fanden die Griechen, daß sich die Ägypter ganz anders gehabten als die übrigen Menschen, und zwar bis zu den einfachsten, natürlichsten Verrichtungen hinunter; jetzt be¬ haupten das die Franken von den Orientalen überhaupt. Wirklich ist eS wunderbar, wie sich die Sitte umkehrt, wenn man über das Mittelmeer ist; das eine Land das Widerspiel vom andern. Der Araber schreibt nicht nur von rechts nach links, er ist überhaupt vollständig links. Er zieht seine Schuhe aus, wem? er die Moschee betritt, und behalt seinen Turban auf; wenn wir in die Kirche gehn, nehmen wir den Hut ab und behalten die Schuhe an. Er reitet auf einem Esel durch die Straßen von Kairo; wir fahren in einer Droschke. Er kauert, um auszuruhn; wir setzen uns auf eine Bank. Er schläft in seinen Kleidern auf dein Sofa; wir lege» uns zu Bett. Von dem Zeremoniell und den gesellschaftlichen Pflichten gar nicht zu reden. Im Abendlande macht der Gast den Antrittsbesuch; im Orient der Wirt. Der orientalische Kaufmann empfängt den Kunden, der seinen Laden betritt, wie einen Besuch, er bietet ihm Kaffee und eine Pfeife an, das Geschäft ist Neben¬ sache, man braucht gar nichts zu kaufen. Mirza und Jussuf treiben sich in Paris umher; sie sprechen vom Präsidenten. Ein schöner Mann, der fränkische Emir! bemerkt der eine. Reich kann er aber nicht sein, entgegnet der andre, wir haben ihn doch immer mit einer und derselben Frau gesehen! Ja, warum nicht lieber: die Konfntsen, die Konfusen! In China scheint doch die Konfusion und die verkehrte Welt nun vollends umzugehn, es fehlt nicht viel, wir halten dieses alte Kulturvolk geradezu für dumm, ja in Spanien heißt es, wenn man jemand zu verstehn geben will, daß man sich nicht betrügen lasse, und daß man helle sei: Sind wir etwa Chinesen? 8vino8 Ruinös? als ob eben die Chinesen Dummköpfe und Gelbschnäbel wären. Das macht, daß im weiten Morgenlande niemand so eigen, so ganz und gar um¬ gekehrt und links ist wie der weizengelbe Mann. Er sitzt zwar, abweichend von den übrigen Asiaten, beim Essen auf einem Stuhle; aber sein Stuhl ist wie ein Mokierstuhl, auf dem er Europa seine tausend Wunderlichkeiten vormacht. Er gilt für einen Oberkonfusionsrat, für einen Erzkonfusionarius, der Bekenner des Konfutsianismus. Die Chinesen spielen in vieler Beziehung eine Rolle wie die Ägypter im Altertum: ihre Kultur ist ebenso alt, und sie ist ebenso rein und unvermischt geblieben. Bis in die sechziger Jahre konnte man auch die Japaner zu ihnen rechnen, die zwar keine nahen Verwandten, aber in Schrift, Litteratur, Kunst, Tracht, Staatseinrichtungen und Religion jahrhundertelang bei den Chinesen in die Schule gegangen sind. Auch in Japan wundert sich ja der Reisende über vieles — daß der Japaner kein Taschentuch führt, sondern ein Papier, das er nach dein Gebrauche fortwirft — daß er beim Entkorken einer Flasche nicht den Pfropfenzieher in den Kork, sondern den Kork in den Pfropfenzieher hineindreht — daß der Tischler auf sich zuhobelt, statt vou sich fort — daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/146>, abgerufen am 16.06.2024.