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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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holung empfinden und zur Not sogar als Kunstwerk gelten lassen könnte.
Von dem Kunstgewerbe der modernen Bewegung ist mehrfach in diesen Heften
die Rede. Woldemar von Seidlitz rechnet mit Julius Lessing ab, der in der
Hnnptsache auf dem Boden der historischen Stile steht: er sei nicht kalt und
nicht warm in einem Vortrage "über das Moderne in der Kunst" von 1898.
Kürzlich aber hat Lessing deutlicher gesprochen in einem Vortrag über die
Pariser Ausstellung: das Alte sei noch lange nicht tot, und die Moderne habe
in Paris keineswegs Lorbeeren gepflückt. Seidlitz vertritt die neue Bewegung,
aber, wie es scheint, nicht mit allzu großer Zuversicht. Das Bedürfnis nach
einem neuen Ausdruck für den veränderten Geschmack gehe zwar nicht von den
breiten Massen aus, sondern von einzelnen Künstlern, es komme aber nicht
darauf an, von wo es ausgehe, sondern die Hauptsache sei, daß irgendwo das
Bedürfnis nach einem Wandel empfunden werde, dann müsse sich dieser schon
Bahn brechen. Ich meine umgekehrt, daß entweder das Alte sich ausgelebt
haben oder das Neue mehr Kraft zeigen muß, wenn es sich durchsetzen will,
und daß sich die Schwäche der Bewegung darin kundgiebt, daß sie nur ans
einzelnen beruht. Hier greift nun Bode mit einem prächtigen Aufsatz ein:
Die bildenden Künste beim Eintritt in das neue Jahrhundert. "Der neue
Kurs hätte in erster Linie vorhaudne Bedürfnisse berücksichtigen und deren
Entwicklung in jeder Weise fördern müssen; seiue Jünger, fast nusnahmlvs
junge Maler, Kinder ans dem Volke, die bedürfnislos aufgewachsen sind,
kenne"? dagegen den Komfort und seine mnuuigfacheu Anforderungen nicht und
haben ihren architektonischen und dekorativen Sinn nur zu häufig in den Bier¬
stuben und Cafes ausgebildet. Den Möbeln, Vorhängen, Geräten aller Art,
die sich heute bei uns auf den Ausstellungen breit macheu, sieht man es leider
nur zu sehr an, daß sie der ungezügelten Phantasie von Naturburschen ent¬
sprungen sind, die sich durch barocke Absonderlichkeiten einander zu überbiete"
suchen." Das ist ein erlösendes Wort an rechter Stelle, und daß es von
Bode kommt, wird ihm seine Wirkung sichern; rmvs Lato ost, pro oontum
inilibus. Bode ist viel zu klug und zu historisch gebildet, als daß er sich vor
den Wagen des Pan für das Neue um jeden Preis Hütte einspannen lassen,
er hat sich immer seine Kritik gewahrt und seine Einwendungen vorbehalten
(in einem dieser Hefte spricht er z. B. wieder über den Tiefstand der künstle¬
rischen Buchillustration), und der andre Aufsatz, der viel zu gehaltvoll ist,
als daß er hier ausgezogen werden könnte, kommt schlecht und recht zu dem
Ergebnis, daß die neue Stilbewegung bei uns in Deutschland bis jetzt so gut
wie nichts erreicht hat. Zuletzt setzt dann der strenge Richter als guter Schrift¬
steller uoch einige rosige Lichter auf.

Trotz diesem Rechnungsabschluß mit der starken Unterbilanz auf einem
Gebiete, das die Genossenschaft Pan in besondre Pflege genommen hat, spricht
sich die Schriftleitung mit Genugthuung über den Erfolg ihrer Bestrebungen
aus, und sie darf es auch, denn sie hat angeregt und gefördert und vieles
geklärt, wenn auch uicht immer in dem Sinne ihrer eignen Meinung. Den
Dank aber, den sie am Schluß ihren Künstlern und Dichtern abstattet, hat


holung empfinden und zur Not sogar als Kunstwerk gelten lassen könnte.
Von dem Kunstgewerbe der modernen Bewegung ist mehrfach in diesen Heften
die Rede. Woldemar von Seidlitz rechnet mit Julius Lessing ab, der in der
Hnnptsache auf dem Boden der historischen Stile steht: er sei nicht kalt und
nicht warm in einem Vortrage „über das Moderne in der Kunst" von 1898.
Kürzlich aber hat Lessing deutlicher gesprochen in einem Vortrag über die
Pariser Ausstellung: das Alte sei noch lange nicht tot, und die Moderne habe
in Paris keineswegs Lorbeeren gepflückt. Seidlitz vertritt die neue Bewegung,
aber, wie es scheint, nicht mit allzu großer Zuversicht. Das Bedürfnis nach
einem neuen Ausdruck für den veränderten Geschmack gehe zwar nicht von den
breiten Massen aus, sondern von einzelnen Künstlern, es komme aber nicht
darauf an, von wo es ausgehe, sondern die Hauptsache sei, daß irgendwo das
Bedürfnis nach einem Wandel empfunden werde, dann müsse sich dieser schon
Bahn brechen. Ich meine umgekehrt, daß entweder das Alte sich ausgelebt
haben oder das Neue mehr Kraft zeigen muß, wenn es sich durchsetzen will,
und daß sich die Schwäche der Bewegung darin kundgiebt, daß sie nur ans
einzelnen beruht. Hier greift nun Bode mit einem prächtigen Aufsatz ein:
Die bildenden Künste beim Eintritt in das neue Jahrhundert. „Der neue
Kurs hätte in erster Linie vorhaudne Bedürfnisse berücksichtigen und deren
Entwicklung in jeder Weise fördern müssen; seiue Jünger, fast nusnahmlvs
junge Maler, Kinder ans dem Volke, die bedürfnislos aufgewachsen sind,
kenne«? dagegen den Komfort und seine mnuuigfacheu Anforderungen nicht und
haben ihren architektonischen und dekorativen Sinn nur zu häufig in den Bier¬
stuben und Cafes ausgebildet. Den Möbeln, Vorhängen, Geräten aller Art,
die sich heute bei uns auf den Ausstellungen breit macheu, sieht man es leider
nur zu sehr an, daß sie der ungezügelten Phantasie von Naturburschen ent¬
sprungen sind, die sich durch barocke Absonderlichkeiten einander zu überbiete»
suchen." Das ist ein erlösendes Wort an rechter Stelle, und daß es von
Bode kommt, wird ihm seine Wirkung sichern; rmvs Lato ost, pro oontum
inilibus. Bode ist viel zu klug und zu historisch gebildet, als daß er sich vor
den Wagen des Pan für das Neue um jeden Preis Hütte einspannen lassen,
er hat sich immer seine Kritik gewahrt und seine Einwendungen vorbehalten
(in einem dieser Hefte spricht er z. B. wieder über den Tiefstand der künstle¬
rischen Buchillustration), und der andre Aufsatz, der viel zu gehaltvoll ist,
als daß er hier ausgezogen werden könnte, kommt schlecht und recht zu dem
Ergebnis, daß die neue Stilbewegung bei uns in Deutschland bis jetzt so gut
wie nichts erreicht hat. Zuletzt setzt dann der strenge Richter als guter Schrift¬
steller uoch einige rosige Lichter auf.

Trotz diesem Rechnungsabschluß mit der starken Unterbilanz auf einem
Gebiete, das die Genossenschaft Pan in besondre Pflege genommen hat, spricht
sich die Schriftleitung mit Genugthuung über den Erfolg ihrer Bestrebungen
aus, und sie darf es auch, denn sie hat angeregt und gefördert und vieles
geklärt, wenn auch uicht immer in dem Sinne ihrer eignen Meinung. Den
Dank aber, den sie am Schluß ihren Künstlern und Dichtern abstattet, hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/256>, abgerufen am 16.06.2024.