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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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ihrem Stock, ließ es sich aber gewohnheitsmäßig gefallen, daß ihr die Körnern den
schweren Tragkorb ans dem Rücken befestigte, und erwies dann der Kameradin den
gleichen Dienst. Nur Abschied wurde nicht genommen. Rasch schritt die Lauchsen
rechts dein Grunde zu, ans dem mit Schindeln gedeckte Hänser hervorguckten;
bedächtige" Ganges wandte sich die Körnern nach der andern Richtung, wo am
Ende des Bergrückens der Weg gleichfalls nach Rothenthal, dem stattlichen Hauptort
des Flöhathals, hinabführte. Seit Jahren zogen die beiden Frauen dreimal in der
Woche bei jedem Wetter die beschwerlichen Waldespfade hin und her, um den wohl-
habendern Rotheuthaleru ncubacknes Brot aus der Nnschlitzer Lochmühle, das dem
einheimischen bei weitem vorzuziehn war, zuzutragen. Seit etlichen Monaten ver¬
größerte sich die Kundschaft der beiden "Nnschlitzer Brotweiber," wie sie genannt
wurden, dermaßen, daß sie es kaum noch allein bewältigen konnten. Änderungen
in der diesseitigen und jenseitigen Bäckerei hatten das nicht veranlaßt, sondern der
Grund lag auf geistigem Gebiete: Naschlih hatte in Edwin Steller einen neuen
Pastor erhalten, und die Sountagspredigteu dieses neuen Pastors waren zu Er¬
eignissen geworden, die die ganze Umgegend in Aufregung versetzten.

Ju seiner Kandidatenzeit hatte sich Steller der deutsch-katholischen Bewegung
angeschlossen, war aber dann wieder in die Landeskirche zurückgekehrt und von der
Behörde versuchsweise nach Naschlitz geschickt worden. Dieses einsame, hart an der
Grenze gelegne Wnlddorf konnte wohl als eine Art Strafstelle gelten; es war
vielen Vorgängern Stellers zur Hölle geworden. Sie hatten es unmöglich ge¬
funden, auf die aus Nagelschmieden, Pferdehändlern, Hausierern und Kohlenbrennern
bestehende Bevölkerung einzuwirken. Stettern war das schnell und einfach dadurch
gelungen, daß er sich in den Glauben seiner Naschlitzer möglichst wenig mengte,
aber sich mit äußerstem Eifer und Geschick ihres Wandels annahm. Die Naschlitzer
leisteten in Glaubenssachen entschieden zu viel: protestantische und katholische Lehre
ging in ihren Köpfen bunt durcheinander, Geistliches und Heidnisches war ihnen
gleich heilig, und als Steller in Privatgesprächen abgeraten hatte, sich vor nächt¬
lichen Begegnungen mit schwarzen Katzen, vor Kreuzwegen zu fürchten, als er die
Macht des Beschwörungsverfahrens bei Zahnleiden, bei blutenden Wunden und
andern leichten chirurgischen Fällen bezweifelt hatte, war von dem Wirt der Ober¬
schenke laut und öffentlich erklärt worden: "Emil sitten Paster, der gor ntscht globe,
könn mer nich brauchn." Steller hatte jedoch die gefährdete Autorität schnell
zurückgewonnen durch die eindringliche und eigne Art, in der er das sittliche Leben
in seiner Gemeinde überwachte. Während seine Amtsbruder die Todsünde" zu an¬
gebrachter Zeit in g-bstiaoto abhandelten, hatte Steller als vorzüglicher Menschen¬
kenner eingesehen, daß man den Leuten von Naschlitz handgreiflicher komme" müßte,
und schon an seinem dritten Sonntag einen Wucherfnll, der sich eben in der Ge¬
meinde ereignet hatte, so auf die Kanzel gebracht, daß der alte Sünder, dem es galt,
sich am Schluß des Gottesdienstes mit Verzicht auf den üblichen Kirchenschnaps
auf Seitenwegen nach Hause schlich. Stoff, dieses Verfahren fortzusetzen, gab es
genug, denn die Naschlitzer waren nicht bloß wie alle Erzgebirgler etwas leicht¬
sinnig, sondern durch Gewerbe und Gelegenheit war eine gewisse Verwilderung bei
ihnen eingerissen. Auch der Fremde, der durchs Dorf zog, konnte es merken, daß
hier freiere und ungewöhnlichere Sitten herrschten, er traf alte Weiber mit qual¬
menden Tabakpfeifen, Kinder, die Branntwein tranken, und kam selten ungehänselt
davon. Gegen diese Unarten setzte nun Steller, eine nach der andern, ein. Das
Evangelium vom Knaben Jesu im Tempel brachte ihn auf die Kinderzucht, ein
andres auf Frauenwürde, an einem weitern Sonntag ging er der Lust am Prellen
und Betrügen und so im Laufe des Kirchenjahrs allen den kleinen und großen
Teufeln zu Leibe, die in den Seelen seiner Gemeindebefohlnen hausten, aber immer


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ihrem Stock, ließ es sich aber gewohnheitsmäßig gefallen, daß ihr die Körnern den
schweren Tragkorb ans dem Rücken befestigte, und erwies dann der Kameradin den
gleichen Dienst. Nur Abschied wurde nicht genommen. Rasch schritt die Lauchsen
rechts dein Grunde zu, ans dem mit Schindeln gedeckte Hänser hervorguckten;
bedächtige» Ganges wandte sich die Körnern nach der andern Richtung, wo am
Ende des Bergrückens der Weg gleichfalls nach Rothenthal, dem stattlichen Hauptort
des Flöhathals, hinabführte. Seit Jahren zogen die beiden Frauen dreimal in der
Woche bei jedem Wetter die beschwerlichen Waldespfade hin und her, um den wohl-
habendern Rotheuthaleru ncubacknes Brot aus der Nnschlitzer Lochmühle, das dem
einheimischen bei weitem vorzuziehn war, zuzutragen. Seit etlichen Monaten ver¬
größerte sich die Kundschaft der beiden „Nnschlitzer Brotweiber," wie sie genannt
wurden, dermaßen, daß sie es kaum noch allein bewältigen konnten. Änderungen
in der diesseitigen und jenseitigen Bäckerei hatten das nicht veranlaßt, sondern der
Grund lag auf geistigem Gebiete: Naschlih hatte in Edwin Steller einen neuen
Pastor erhalten, und die Sountagspredigteu dieses neuen Pastors waren zu Er¬
eignissen geworden, die die ganze Umgegend in Aufregung versetzten.

Ju seiner Kandidatenzeit hatte sich Steller der deutsch-katholischen Bewegung
angeschlossen, war aber dann wieder in die Landeskirche zurückgekehrt und von der
Behörde versuchsweise nach Naschlitz geschickt worden. Dieses einsame, hart an der
Grenze gelegne Wnlddorf konnte wohl als eine Art Strafstelle gelten; es war
vielen Vorgängern Stellers zur Hölle geworden. Sie hatten es unmöglich ge¬
funden, auf die aus Nagelschmieden, Pferdehändlern, Hausierern und Kohlenbrennern
bestehende Bevölkerung einzuwirken. Stettern war das schnell und einfach dadurch
gelungen, daß er sich in den Glauben seiner Naschlitzer möglichst wenig mengte,
aber sich mit äußerstem Eifer und Geschick ihres Wandels annahm. Die Naschlitzer
leisteten in Glaubenssachen entschieden zu viel: protestantische und katholische Lehre
ging in ihren Köpfen bunt durcheinander, Geistliches und Heidnisches war ihnen
gleich heilig, und als Steller in Privatgesprächen abgeraten hatte, sich vor nächt¬
lichen Begegnungen mit schwarzen Katzen, vor Kreuzwegen zu fürchten, als er die
Macht des Beschwörungsverfahrens bei Zahnleiden, bei blutenden Wunden und
andern leichten chirurgischen Fällen bezweifelt hatte, war von dem Wirt der Ober¬
schenke laut und öffentlich erklärt worden: „Emil sitten Paster, der gor ntscht globe,
könn mer nich brauchn." Steller hatte jedoch die gefährdete Autorität schnell
zurückgewonnen durch die eindringliche und eigne Art, in der er das sittliche Leben
in seiner Gemeinde überwachte. Während seine Amtsbruder die Todsünde» zu an¬
gebrachter Zeit in g-bstiaoto abhandelten, hatte Steller als vorzüglicher Menschen¬
kenner eingesehen, daß man den Leuten von Naschlitz handgreiflicher komme» müßte,
und schon an seinem dritten Sonntag einen Wucherfnll, der sich eben in der Ge¬
meinde ereignet hatte, so auf die Kanzel gebracht, daß der alte Sünder, dem es galt,
sich am Schluß des Gottesdienstes mit Verzicht auf den üblichen Kirchenschnaps
auf Seitenwegen nach Hause schlich. Stoff, dieses Verfahren fortzusetzen, gab es
genug, denn die Naschlitzer waren nicht bloß wie alle Erzgebirgler etwas leicht¬
sinnig, sondern durch Gewerbe und Gelegenheit war eine gewisse Verwilderung bei
ihnen eingerissen. Auch der Fremde, der durchs Dorf zog, konnte es merken, daß
hier freiere und ungewöhnlichere Sitten herrschten, er traf alte Weiber mit qual¬
menden Tabakpfeifen, Kinder, die Branntwein tranken, und kam selten ungehänselt
davon. Gegen diese Unarten setzte nun Steller, eine nach der andern, ein. Das
Evangelium vom Knaben Jesu im Tempel brachte ihn auf die Kinderzucht, ein
andres auf Frauenwürde, an einem weitern Sonntag ging er der Lust am Prellen
und Betrügen und so im Laufe des Kirchenjahrs allen den kleinen und großen
Teufeln zu Leibe, die in den Seelen seiner Gemeindebefohlnen hausten, aber immer


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[0258] Frau j)otixhar ihrem Stock, ließ es sich aber gewohnheitsmäßig gefallen, daß ihr die Körnern den schweren Tragkorb ans dem Rücken befestigte, und erwies dann der Kameradin den gleichen Dienst. Nur Abschied wurde nicht genommen. Rasch schritt die Lauchsen rechts dein Grunde zu, ans dem mit Schindeln gedeckte Hänser hervorguckten; bedächtige» Ganges wandte sich die Körnern nach der andern Richtung, wo am Ende des Bergrückens der Weg gleichfalls nach Rothenthal, dem stattlichen Hauptort des Flöhathals, hinabführte. Seit Jahren zogen die beiden Frauen dreimal in der Woche bei jedem Wetter die beschwerlichen Waldespfade hin und her, um den wohl- habendern Rotheuthaleru ncubacknes Brot aus der Nnschlitzer Lochmühle, das dem einheimischen bei weitem vorzuziehn war, zuzutragen. Seit etlichen Monaten ver¬ größerte sich die Kundschaft der beiden „Nnschlitzer Brotweiber," wie sie genannt wurden, dermaßen, daß sie es kaum noch allein bewältigen konnten. Änderungen in der diesseitigen und jenseitigen Bäckerei hatten das nicht veranlaßt, sondern der Grund lag auf geistigem Gebiete: Naschlih hatte in Edwin Steller einen neuen Pastor erhalten, und die Sountagspredigteu dieses neuen Pastors waren zu Er¬ eignissen geworden, die die ganze Umgegend in Aufregung versetzten. Ju seiner Kandidatenzeit hatte sich Steller der deutsch-katholischen Bewegung angeschlossen, war aber dann wieder in die Landeskirche zurückgekehrt und von der Behörde versuchsweise nach Naschlitz geschickt worden. Dieses einsame, hart an der Grenze gelegne Wnlddorf konnte wohl als eine Art Strafstelle gelten; es war vielen Vorgängern Stellers zur Hölle geworden. Sie hatten es unmöglich ge¬ funden, auf die aus Nagelschmieden, Pferdehändlern, Hausierern und Kohlenbrennern bestehende Bevölkerung einzuwirken. Stettern war das schnell und einfach dadurch gelungen, daß er sich in den Glauben seiner Naschlitzer möglichst wenig mengte, aber sich mit äußerstem Eifer und Geschick ihres Wandels annahm. Die Naschlitzer leisteten in Glaubenssachen entschieden zu viel: protestantische und katholische Lehre ging in ihren Köpfen bunt durcheinander, Geistliches und Heidnisches war ihnen gleich heilig, und als Steller in Privatgesprächen abgeraten hatte, sich vor nächt¬ lichen Begegnungen mit schwarzen Katzen, vor Kreuzwegen zu fürchten, als er die Macht des Beschwörungsverfahrens bei Zahnleiden, bei blutenden Wunden und andern leichten chirurgischen Fällen bezweifelt hatte, war von dem Wirt der Ober¬ schenke laut und öffentlich erklärt worden: „Emil sitten Paster, der gor ntscht globe, könn mer nich brauchn." Steller hatte jedoch die gefährdete Autorität schnell zurückgewonnen durch die eindringliche und eigne Art, in der er das sittliche Leben in seiner Gemeinde überwachte. Während seine Amtsbruder die Todsünde» zu an¬ gebrachter Zeit in g-bstiaoto abhandelten, hatte Steller als vorzüglicher Menschen¬ kenner eingesehen, daß man den Leuten von Naschlitz handgreiflicher komme» müßte, und schon an seinem dritten Sonntag einen Wucherfnll, der sich eben in der Ge¬ meinde ereignet hatte, so auf die Kanzel gebracht, daß der alte Sünder, dem es galt, sich am Schluß des Gottesdienstes mit Verzicht auf den üblichen Kirchenschnaps auf Seitenwegen nach Hause schlich. Stoff, dieses Verfahren fortzusetzen, gab es genug, denn die Naschlitzer waren nicht bloß wie alle Erzgebirgler etwas leicht¬ sinnig, sondern durch Gewerbe und Gelegenheit war eine gewisse Verwilderung bei ihnen eingerissen. Auch der Fremde, der durchs Dorf zog, konnte es merken, daß hier freiere und ungewöhnlichere Sitten herrschten, er traf alte Weiber mit qual¬ menden Tabakpfeifen, Kinder, die Branntwein tranken, und kam selten ungehänselt davon. Gegen diese Unarten setzte nun Steller, eine nach der andern, ein. Das Evangelium vom Knaben Jesu im Tempel brachte ihn auf die Kinderzucht, ein andres auf Frauenwürde, an einem weitern Sonntag ging er der Lust am Prellen und Betrügen und so im Laufe des Kirchenjahrs allen den kleinen und großen Teufeln zu Leibe, die in den Seelen seiner Gemeindebefohlnen hausten, aber immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/258>, abgerufen am 16.06.2024.