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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Lthik und Politik

Der im Juni in Karlsruhe abgehaltne elfte Evangelisch-soziale Kongreß
hat als dritten Gegenstand seiner Tagesordnung die Frage behandelt: "Welche
sittlichen und sozialen Aufgaben stellt die Entwicklung Deutschlands zur Welt¬
macht unserm Volke?" Damit war die Frage nach der Berechtigung der Welt¬
politik nicht gestellt, vielmehr als bejaht vorausgesetzt. Die Verhandlungen
entgleisten also eigentlich, wenn sie sich hauptsächlich darum drehten, aber sie
haben an Interesse dadurch nur gewonnen. Das Problem Ethik und Welt¬
politik lag in der Luft und auf deu Herze". Mit Gewalt drängte es sich auf
die Lippen.

Professor Rathgen, der das erste Referat hatte, sprach viel Gutes streng
zum Thema, Betrachtungen darüber, wie wir uns den wilden und halbwilden
Völkern gegenüber als Herren zu benehmen hätten usw. Das Recht, die
Herren zu spielen, behandelte er nnr kurz in der bekannten anglvsüchsischen
Weise: Erschließung der Tropen und dergleichen fruchtbaren Gebieten durch
Unterwerfen, Beherrschen und Erziehen ihrer Bewohner zur Arbeit, weil sie
die Schätze ohne uns zu heben, und wir die dazu nötige körperliche Arbeit
dort zu leisten unfähig siud. Daß der Anspruch auf die Herrschaft über die
noch nicht gehörig ausgenutzten fruchtbaren Landgebiete auch die Kulturstaaten
untereinander leicht in die allergefährlichsten Konflikte bringen kann, und sie
z. B. jetzt in eine bis aufs äußerste gespannte gehässige Kampfstellung zu ein¬
ander gebracht hat, fordert eine ethische Beurteilung besonders scharf heraus,
wird aber von Rathgen gar nicht berührt. Nach frühern Auslassungen scheint
er ganz im Banne des englischen Imperialismus zu stehn, und Chamberlain
scheint für ihn Autorität zu sein. Wenn er die "großen Gedanken" dieses
Herrn, "deren stolzer patriotischer Klang ihn wohlthätiger berührt als die
utilitaristische Denkweise der alten Freihändler," als Journalist ausspielt, so
ist das seiue Sache. Wenn er die Chamberlainschen Phrasen aber in die
deutsche Wissenschaft importiert,") so muß dagegen energisch Einspruch erhoben
werden.

Unmittelbar zu Leibe ging der zweite Referent, ein Pfarrer Or. Lepsius,
dem Problem Ethik und Weltpolitik. Bismnrck habe einmal gesagt, eine
Großmacht bedürfe zu ihrer Anerkennung vor alleil Dingen der Überzeugung
und des Muts, eine solche zu sein. Das gelte erst recht von dein Anspruch
auf Weltmachtstellung. Wir Hütten uns zu fragen: Woher entnehmen wir die
Überzeugung von dem Beruf zur Weltmacht und den Mut, eine solche zu sein?
Und die Antwort laute: Wenn wir auch für die Berechtigung und die Pflicht
Deutschlands -- trotz der Ungunst seiner geographischen und politischen Lage,
eine Weltmachtstellung zu erringen -- den Überschuß unsrer nationalen Kraft,
wie er sich in dem rapiden Wachstum der Bevölkerung, der überseeischen Aus¬
breitung des Deutschtums und dem Weltervbernden Aufschwung der dentschen
Industrie erweist, geltend machen könnten, so wurzle doch unser letztes Recht,



Schnwllers Jahrbücher 1897, IV, 1. Die Kündigung des englischen Handelsvertrags usw.
Lthik und Politik

Der im Juni in Karlsruhe abgehaltne elfte Evangelisch-soziale Kongreß
hat als dritten Gegenstand seiner Tagesordnung die Frage behandelt: „Welche
sittlichen und sozialen Aufgaben stellt die Entwicklung Deutschlands zur Welt¬
macht unserm Volke?" Damit war die Frage nach der Berechtigung der Welt¬
politik nicht gestellt, vielmehr als bejaht vorausgesetzt. Die Verhandlungen
entgleisten also eigentlich, wenn sie sich hauptsächlich darum drehten, aber sie
haben an Interesse dadurch nur gewonnen. Das Problem Ethik und Welt¬
politik lag in der Luft und auf deu Herze». Mit Gewalt drängte es sich auf
die Lippen.

Professor Rathgen, der das erste Referat hatte, sprach viel Gutes streng
zum Thema, Betrachtungen darüber, wie wir uns den wilden und halbwilden
Völkern gegenüber als Herren zu benehmen hätten usw. Das Recht, die
Herren zu spielen, behandelte er nnr kurz in der bekannten anglvsüchsischen
Weise: Erschließung der Tropen und dergleichen fruchtbaren Gebieten durch
Unterwerfen, Beherrschen und Erziehen ihrer Bewohner zur Arbeit, weil sie
die Schätze ohne uns zu heben, und wir die dazu nötige körperliche Arbeit
dort zu leisten unfähig siud. Daß der Anspruch auf die Herrschaft über die
noch nicht gehörig ausgenutzten fruchtbaren Landgebiete auch die Kulturstaaten
untereinander leicht in die allergefährlichsten Konflikte bringen kann, und sie
z. B. jetzt in eine bis aufs äußerste gespannte gehässige Kampfstellung zu ein¬
ander gebracht hat, fordert eine ethische Beurteilung besonders scharf heraus,
wird aber von Rathgen gar nicht berührt. Nach frühern Auslassungen scheint
er ganz im Banne des englischen Imperialismus zu stehn, und Chamberlain
scheint für ihn Autorität zu sein. Wenn er die „großen Gedanken" dieses
Herrn, „deren stolzer patriotischer Klang ihn wohlthätiger berührt als die
utilitaristische Denkweise der alten Freihändler," als Journalist ausspielt, so
ist das seiue Sache. Wenn er die Chamberlainschen Phrasen aber in die
deutsche Wissenschaft importiert,") so muß dagegen energisch Einspruch erhoben
werden.

Unmittelbar zu Leibe ging der zweite Referent, ein Pfarrer Or. Lepsius,
dem Problem Ethik und Weltpolitik. Bismnrck habe einmal gesagt, eine
Großmacht bedürfe zu ihrer Anerkennung vor alleil Dingen der Überzeugung
und des Muts, eine solche zu sein. Das gelte erst recht von dein Anspruch
auf Weltmachtstellung. Wir Hütten uns zu fragen: Woher entnehmen wir die
Überzeugung von dem Beruf zur Weltmacht und den Mut, eine solche zu sein?
Und die Antwort laute: Wenn wir auch für die Berechtigung und die Pflicht
Deutschlands — trotz der Ungunst seiner geographischen und politischen Lage,
eine Weltmachtstellung zu erringen — den Überschuß unsrer nationalen Kraft,
wie er sich in dem rapiden Wachstum der Bevölkerung, der überseeischen Aus¬
breitung des Deutschtums und dem Weltervbernden Aufschwung der dentschen
Industrie erweist, geltend machen könnten, so wurzle doch unser letztes Recht,



Schnwllers Jahrbücher 1897, IV, 1. Die Kündigung des englischen Handelsvertrags usw.
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[0280] Lthik und Politik Der im Juni in Karlsruhe abgehaltne elfte Evangelisch-soziale Kongreß hat als dritten Gegenstand seiner Tagesordnung die Frage behandelt: „Welche sittlichen und sozialen Aufgaben stellt die Entwicklung Deutschlands zur Welt¬ macht unserm Volke?" Damit war die Frage nach der Berechtigung der Welt¬ politik nicht gestellt, vielmehr als bejaht vorausgesetzt. Die Verhandlungen entgleisten also eigentlich, wenn sie sich hauptsächlich darum drehten, aber sie haben an Interesse dadurch nur gewonnen. Das Problem Ethik und Welt¬ politik lag in der Luft und auf deu Herze». Mit Gewalt drängte es sich auf die Lippen. Professor Rathgen, der das erste Referat hatte, sprach viel Gutes streng zum Thema, Betrachtungen darüber, wie wir uns den wilden und halbwilden Völkern gegenüber als Herren zu benehmen hätten usw. Das Recht, die Herren zu spielen, behandelte er nnr kurz in der bekannten anglvsüchsischen Weise: Erschließung der Tropen und dergleichen fruchtbaren Gebieten durch Unterwerfen, Beherrschen und Erziehen ihrer Bewohner zur Arbeit, weil sie die Schätze ohne uns zu heben, und wir die dazu nötige körperliche Arbeit dort zu leisten unfähig siud. Daß der Anspruch auf die Herrschaft über die noch nicht gehörig ausgenutzten fruchtbaren Landgebiete auch die Kulturstaaten untereinander leicht in die allergefährlichsten Konflikte bringen kann, und sie z. B. jetzt in eine bis aufs äußerste gespannte gehässige Kampfstellung zu ein¬ ander gebracht hat, fordert eine ethische Beurteilung besonders scharf heraus, wird aber von Rathgen gar nicht berührt. Nach frühern Auslassungen scheint er ganz im Banne des englischen Imperialismus zu stehn, und Chamberlain scheint für ihn Autorität zu sein. Wenn er die „großen Gedanken" dieses Herrn, „deren stolzer patriotischer Klang ihn wohlthätiger berührt als die utilitaristische Denkweise der alten Freihändler," als Journalist ausspielt, so ist das seiue Sache. Wenn er die Chamberlainschen Phrasen aber in die deutsche Wissenschaft importiert,") so muß dagegen energisch Einspruch erhoben werden. Unmittelbar zu Leibe ging der zweite Referent, ein Pfarrer Or. Lepsius, dem Problem Ethik und Weltpolitik. Bismnrck habe einmal gesagt, eine Großmacht bedürfe zu ihrer Anerkennung vor alleil Dingen der Überzeugung und des Muts, eine solche zu sein. Das gelte erst recht von dein Anspruch auf Weltmachtstellung. Wir Hütten uns zu fragen: Woher entnehmen wir die Überzeugung von dem Beruf zur Weltmacht und den Mut, eine solche zu sein? Und die Antwort laute: Wenn wir auch für die Berechtigung und die Pflicht Deutschlands — trotz der Ungunst seiner geographischen und politischen Lage, eine Weltmachtstellung zu erringen — den Überschuß unsrer nationalen Kraft, wie er sich in dem rapiden Wachstum der Bevölkerung, der überseeischen Aus¬ breitung des Deutschtums und dem Weltervbernden Aufschwung der dentschen Industrie erweist, geltend machen könnten, so wurzle doch unser letztes Recht, Schnwllers Jahrbücher 1897, IV, 1. Die Kündigung des englischen Handelsvertrags usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/280>, abgerufen am 16.06.2024.