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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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sprüngliche Anlaß verschwand im Bewußtsein der Nation, der es bis jetzt im
Unabhängigteits- sowohl wie im Bürgerkriege vergönnt oder gelungen war,
für politische oder soziale Notwendigkeiten oder Wünsche einen idealen Stand¬
punkt zu finden. Diesen ließ man diesesmal fallen. Die Rechtsfrage wird
auch in der amerikanischen Politik nicht mehr gestellt. Zugleich aber fiel auch
noch etwas andres. War im Aufstande der dreizehn Kolonien laut der Un-
abhüngigkeitserklärung von 1776 der Grundsatz maßgebend gewesen, daß bei
der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ein Souverän ein Unding sei, so
endigte der Humanitätskrieg mit der Erwerbung zweier Kolonien, Portoricos
und der Philippineninseln, so wurde der Staat, der sich seither als die Ver¬
körperung der Ideen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts von der alten
Welt mit ihren Herrschern und Beherrschten zu unterscheiden liebte, um selber
Souverän und schickte sich an, das Maß der Rechte seiner Unterthanen, ohne
diese zu befragen, selbstherrlich zu bestimmen.

Die Mobilmachung war eine Farce gewesen, die Verpflegung der Sol¬
daten, zumal in der Lieferung von Büchsenfleisch, vielfach unmenschlich. Es
war dafür gesorgt, daß dem Humanitütskriege die Ironie nicht fehle. Dabei
sprachen die Zahl der Fieberkranken und die Sterblichkeit in den Kriegslagern
anch auf dem Festlande allen Fortschritten moderner Hygiene Hohn.

Zwei glänzende Waffenthaten hatten das Schicksal des Kriegs entschieden:
Dewey bohrte die spanische Flotte in der Bucht von Manila in den Grund,
und Schley -- aus einer alten Maryländer Familie pfälzischer Abkunft -- ver¬
nichtete in Abwesenheit des Oberbefehlshabers Sampson die Flotte Cerveras
nur Ausgange der Bucht von Santiago de Cuba. Spanien verlor im Pariser
Frieden seine letzten Kolonien. Die Philippinen wurden gekauft, Portorico für
eine amerikanische Kolonie erklärt, auf Kuba wurde amerikanische Verwaltung
eingesetzt. Aber während sich die Portoritaner augenscheinlich dem neuen
Rechtszustande fügten, und die kubanischen Aufständischen schließlich ihren offnen
Widerstand aufgaben, entstand den Vereinigten Staaten in ihrem ehemaligen
Bundesgenossen Aguinnldo ein anfangs unterschätzter furchtbarer Gegner, der
bis zur Stunde den Kriegszustand zu unterhalten gewußt hat, ja der augen¬
blicklich auf die chinesische Politik Amerikas bestimmend einwirkt, da die Zurück¬
ziehung der amerikanischen Truppen nicht bloß den Antiimperialisten zuliebe
geschieht, sondern einfach, weil man einen starken Feind, dessen Mut durch die
Bewegungen des demokratischen Kandidaten neu belebt ist, nicht im Rücken
lassen durste. Die Lage, die durch den Befehl an Dewey, das ostasiatische
Geschwader zu vernichten, und durch dessen Ausführung geschaffen war, brachte
der Negierung Mac Kinleys die größten Schwierigkeiten, und noch läßt sich
nicht bestimmen, um wievielmal die Opfer an Blut und Geld die für die Inseln
bezahlte Kaufsumme übertreffen werden. Eine Art Ratlosigkeit hat sich der
Nation bemächtigt. Auf der andern Seite hat in diesem stolzen Volke der
Grundsatz Wurzel gefaßt: Wo die Flagge einmal weht, da soll sie nicht
heruntergeholt werden, und von diesem Grundsatz aus wird es die Politik


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sprüngliche Anlaß verschwand im Bewußtsein der Nation, der es bis jetzt im
Unabhängigteits- sowohl wie im Bürgerkriege vergönnt oder gelungen war,
für politische oder soziale Notwendigkeiten oder Wünsche einen idealen Stand¬
punkt zu finden. Diesen ließ man diesesmal fallen. Die Rechtsfrage wird
auch in der amerikanischen Politik nicht mehr gestellt. Zugleich aber fiel auch
noch etwas andres. War im Aufstande der dreizehn Kolonien laut der Un-
abhüngigkeitserklärung von 1776 der Grundsatz maßgebend gewesen, daß bei
der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ein Souverän ein Unding sei, so
endigte der Humanitätskrieg mit der Erwerbung zweier Kolonien, Portoricos
und der Philippineninseln, so wurde der Staat, der sich seither als die Ver¬
körperung der Ideen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts von der alten
Welt mit ihren Herrschern und Beherrschten zu unterscheiden liebte, um selber
Souverän und schickte sich an, das Maß der Rechte seiner Unterthanen, ohne
diese zu befragen, selbstherrlich zu bestimmen.

Die Mobilmachung war eine Farce gewesen, die Verpflegung der Sol¬
daten, zumal in der Lieferung von Büchsenfleisch, vielfach unmenschlich. Es
war dafür gesorgt, daß dem Humanitütskriege die Ironie nicht fehle. Dabei
sprachen die Zahl der Fieberkranken und die Sterblichkeit in den Kriegslagern
anch auf dem Festlande allen Fortschritten moderner Hygiene Hohn.

Zwei glänzende Waffenthaten hatten das Schicksal des Kriegs entschieden:
Dewey bohrte die spanische Flotte in der Bucht von Manila in den Grund,
und Schley — aus einer alten Maryländer Familie pfälzischer Abkunft — ver¬
nichtete in Abwesenheit des Oberbefehlshabers Sampson die Flotte Cerveras
nur Ausgange der Bucht von Santiago de Cuba. Spanien verlor im Pariser
Frieden seine letzten Kolonien. Die Philippinen wurden gekauft, Portorico für
eine amerikanische Kolonie erklärt, auf Kuba wurde amerikanische Verwaltung
eingesetzt. Aber während sich die Portoritaner augenscheinlich dem neuen
Rechtszustande fügten, und die kubanischen Aufständischen schließlich ihren offnen
Widerstand aufgaben, entstand den Vereinigten Staaten in ihrem ehemaligen
Bundesgenossen Aguinnldo ein anfangs unterschätzter furchtbarer Gegner, der
bis zur Stunde den Kriegszustand zu unterhalten gewußt hat, ja der augen¬
blicklich auf die chinesische Politik Amerikas bestimmend einwirkt, da die Zurück¬
ziehung der amerikanischen Truppen nicht bloß den Antiimperialisten zuliebe
geschieht, sondern einfach, weil man einen starken Feind, dessen Mut durch die
Bewegungen des demokratischen Kandidaten neu belebt ist, nicht im Rücken
lassen durste. Die Lage, die durch den Befehl an Dewey, das ostasiatische
Geschwader zu vernichten, und durch dessen Ausführung geschaffen war, brachte
der Negierung Mac Kinleys die größten Schwierigkeiten, und noch läßt sich
nicht bestimmen, um wievielmal die Opfer an Blut und Geld die für die Inseln
bezahlte Kaufsumme übertreffen werden. Eine Art Ratlosigkeit hat sich der
Nation bemächtigt. Auf der andern Seite hat in diesem stolzen Volke der
Grundsatz Wurzel gefaßt: Wo die Flagge einmal weht, da soll sie nicht
heruntergeholt werden, und von diesem Grundsatz aus wird es die Politik


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[0317] Zur präsideutschaftswahl sprüngliche Anlaß verschwand im Bewußtsein der Nation, der es bis jetzt im Unabhängigteits- sowohl wie im Bürgerkriege vergönnt oder gelungen war, für politische oder soziale Notwendigkeiten oder Wünsche einen idealen Stand¬ punkt zu finden. Diesen ließ man diesesmal fallen. Die Rechtsfrage wird auch in der amerikanischen Politik nicht mehr gestellt. Zugleich aber fiel auch noch etwas andres. War im Aufstande der dreizehn Kolonien laut der Un- abhüngigkeitserklärung von 1776 der Grundsatz maßgebend gewesen, daß bei der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ein Souverän ein Unding sei, so endigte der Humanitätskrieg mit der Erwerbung zweier Kolonien, Portoricos und der Philippineninseln, so wurde der Staat, der sich seither als die Ver¬ körperung der Ideen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts von der alten Welt mit ihren Herrschern und Beherrschten zu unterscheiden liebte, um selber Souverän und schickte sich an, das Maß der Rechte seiner Unterthanen, ohne diese zu befragen, selbstherrlich zu bestimmen. Die Mobilmachung war eine Farce gewesen, die Verpflegung der Sol¬ daten, zumal in der Lieferung von Büchsenfleisch, vielfach unmenschlich. Es war dafür gesorgt, daß dem Humanitütskriege die Ironie nicht fehle. Dabei sprachen die Zahl der Fieberkranken und die Sterblichkeit in den Kriegslagern anch auf dem Festlande allen Fortschritten moderner Hygiene Hohn. Zwei glänzende Waffenthaten hatten das Schicksal des Kriegs entschieden: Dewey bohrte die spanische Flotte in der Bucht von Manila in den Grund, und Schley — aus einer alten Maryländer Familie pfälzischer Abkunft — ver¬ nichtete in Abwesenheit des Oberbefehlshabers Sampson die Flotte Cerveras nur Ausgange der Bucht von Santiago de Cuba. Spanien verlor im Pariser Frieden seine letzten Kolonien. Die Philippinen wurden gekauft, Portorico für eine amerikanische Kolonie erklärt, auf Kuba wurde amerikanische Verwaltung eingesetzt. Aber während sich die Portoritaner augenscheinlich dem neuen Rechtszustande fügten, und die kubanischen Aufständischen schließlich ihren offnen Widerstand aufgaben, entstand den Vereinigten Staaten in ihrem ehemaligen Bundesgenossen Aguinnldo ein anfangs unterschätzter furchtbarer Gegner, der bis zur Stunde den Kriegszustand zu unterhalten gewußt hat, ja der augen¬ blicklich auf die chinesische Politik Amerikas bestimmend einwirkt, da die Zurück¬ ziehung der amerikanischen Truppen nicht bloß den Antiimperialisten zuliebe geschieht, sondern einfach, weil man einen starken Feind, dessen Mut durch die Bewegungen des demokratischen Kandidaten neu belebt ist, nicht im Rücken lassen durste. Die Lage, die durch den Befehl an Dewey, das ostasiatische Geschwader zu vernichten, und durch dessen Ausführung geschaffen war, brachte der Negierung Mac Kinleys die größten Schwierigkeiten, und noch läßt sich nicht bestimmen, um wievielmal die Opfer an Blut und Geld die für die Inseln bezahlte Kaufsumme übertreffen werden. Eine Art Ratlosigkeit hat sich der Nation bemächtigt. Auf der andern Seite hat in diesem stolzen Volke der Grundsatz Wurzel gefaßt: Wo die Flagge einmal weht, da soll sie nicht heruntergeholt werden, und von diesem Grundsatz aus wird es die Politik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/317>, abgerufen am 16.06.2024.