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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Neuzeit durchzukommen, ist ihnen unzugänglich, geschweige denn, daß sie die
Dnseinsberechtigung der republikanischen Staatsform je in Frage ziehn könnten.
Das Unlogische der Gesamtlage wird der gerade herrschenden Partei als Sünde
angerechnet; die Notlage, die die Geschichte geschaffen hat, als Prinzipieu-
verirrung der Regierenden gebrandmarkt. Natürlich ist die Masse ebensowenig
fähig, der allzuschnellen Entwicklung der Dinge lind der Gedanken zu folgen;
sie ist als solche gegen die Expansion und hört gern auf die Rede der Beste"
des Volks, die im Namen der Väter der Revolution die Republik gegen das
Imperium verteidigen wollen. Das Schreckgespenst des Militarismus gar hat
die Dentschen, die ihre politische Logik dem Jahre achtundvierzig verdanken,
auf die Seite der Opposition getrieben. Sie meinens gut, aber die Zeichen
der Zeit verstehn sie nicht. Sie reden viel vom Fortschritt, aber sie sehen
nicht, wo er sich vollzieht. Deutlich tritt das zu Tage in ihrer grundsätzlichen
Verurteilung der Trusts, Monopole. Ringe, deren Bekämpfung die demokra¬
tische Partei zu ihrem zweiten Hauptpunkte gemacht hat. Sie verdammt den
Imperialismus, den das Großkapital heraufbeschworen haben, sie verdammt die
Konzentration der Produktion, die es geschaffen haben soll. Freilich was denn
geschehn soll, erfährt man auch hier nicht. Wie man die Entwicklung der
Dinge aushalten will, wird uicht gesagt. Und der Deutsche hat jetzt wieder
Gelegenheit zu seinem Rufe: Es muß auuersch wern! Daß die Strömung
gegen eine Regierung, die mit dem Großkapital in Verbindung steht, die breite
Masse des Volks ergreifen mußte, versteht sich vou selbst. Auch Republikaner
sind Menschen. Und so wäre der Mann, der einer solchen Regierung ent¬
gegentritt, in der That der Mann des Volks, und der Wahlkampf wäre ein
Kampf der Masse gegen das Kapital. Würde Bryan erwählt, so wäre der
Beweis geliefert, wenigstens für diesesmal geliefert, daß das Volk den Staat
regiere.

Aber so einfach liegen die Dinge anf dieser Erde nicht, und diesem Siege
steht eins entgegen: der demokratische Kandidat hat die Silberfrage wieder in
den Wahlkampf geworfen. Er stellt die frühere Forderung, die ihm bei der
letzten Wahl die Niederlage bereitet hat: Freie Prägung des Silbers, Ein¬
führung der Silberbasis. Er hat die Annahme dieser Forderung durch die
Macht seiner Person durchgesetzt. Darin liegt für den Zuschauer etwas
Heroisches. Jedoch ist es auch hier menschlich zugegangen. Die Besitzer der
Silberwerke des Westens haben Bryan gezwungen, entgegen der Stimmung
der Partei, entgegen aller Aussicht auf Erfolg, den Silberparagraphen auf¬
zunehmen. Der Mann des Volks steht im Dienste des Kapitals, wenn auch
gewiß nicht des der Newyvrker Börse. Aber auch ohne daß dieser Zusammen¬
hang bestünde, muß die demokratische Partei die Stimmen aller derer wiederum
entbehren, die deu Kredit und die wirtschaftlich-geschäftliche Gesundheit des
Landes an die Goldwährung gebunden sehen. Sie werden entweder für Mac
Kinley, der ihnen als das kleinere von zwei Übeln erscheinen muß, stimmen,
oder sich der Wahl enthalten.


Grenzboten IV 1900 37

Neuzeit durchzukommen, ist ihnen unzugänglich, geschweige denn, daß sie die
Dnseinsberechtigung der republikanischen Staatsform je in Frage ziehn könnten.
Das Unlogische der Gesamtlage wird der gerade herrschenden Partei als Sünde
angerechnet; die Notlage, die die Geschichte geschaffen hat, als Prinzipieu-
verirrung der Regierenden gebrandmarkt. Natürlich ist die Masse ebensowenig
fähig, der allzuschnellen Entwicklung der Dinge lind der Gedanken zu folgen;
sie ist als solche gegen die Expansion und hört gern auf die Rede der Beste»
des Volks, die im Namen der Väter der Revolution die Republik gegen das
Imperium verteidigen wollen. Das Schreckgespenst des Militarismus gar hat
die Dentschen, die ihre politische Logik dem Jahre achtundvierzig verdanken,
auf die Seite der Opposition getrieben. Sie meinens gut, aber die Zeichen
der Zeit verstehn sie nicht. Sie reden viel vom Fortschritt, aber sie sehen
nicht, wo er sich vollzieht. Deutlich tritt das zu Tage in ihrer grundsätzlichen
Verurteilung der Trusts, Monopole. Ringe, deren Bekämpfung die demokra¬
tische Partei zu ihrem zweiten Hauptpunkte gemacht hat. Sie verdammt den
Imperialismus, den das Großkapital heraufbeschworen haben, sie verdammt die
Konzentration der Produktion, die es geschaffen haben soll. Freilich was denn
geschehn soll, erfährt man auch hier nicht. Wie man die Entwicklung der
Dinge aushalten will, wird uicht gesagt. Und der Deutsche hat jetzt wieder
Gelegenheit zu seinem Rufe: Es muß auuersch wern! Daß die Strömung
gegen eine Regierung, die mit dem Großkapital in Verbindung steht, die breite
Masse des Volks ergreifen mußte, versteht sich vou selbst. Auch Republikaner
sind Menschen. Und so wäre der Mann, der einer solchen Regierung ent¬
gegentritt, in der That der Mann des Volks, und der Wahlkampf wäre ein
Kampf der Masse gegen das Kapital. Würde Bryan erwählt, so wäre der
Beweis geliefert, wenigstens für diesesmal geliefert, daß das Volk den Staat
regiere.

Aber so einfach liegen die Dinge anf dieser Erde nicht, und diesem Siege
steht eins entgegen: der demokratische Kandidat hat die Silberfrage wieder in
den Wahlkampf geworfen. Er stellt die frühere Forderung, die ihm bei der
letzten Wahl die Niederlage bereitet hat: Freie Prägung des Silbers, Ein¬
führung der Silberbasis. Er hat die Annahme dieser Forderung durch die
Macht seiner Person durchgesetzt. Darin liegt für den Zuschauer etwas
Heroisches. Jedoch ist es auch hier menschlich zugegangen. Die Besitzer der
Silberwerke des Westens haben Bryan gezwungen, entgegen der Stimmung
der Partei, entgegen aller Aussicht auf Erfolg, den Silberparagraphen auf¬
zunehmen. Der Mann des Volks steht im Dienste des Kapitals, wenn auch
gewiß nicht des der Newyvrker Börse. Aber auch ohne daß dieser Zusammen¬
hang bestünde, muß die demokratische Partei die Stimmen aller derer wiederum
entbehren, die deu Kredit und die wirtschaftlich-geschäftliche Gesundheit des
Landes an die Goldwährung gebunden sehen. Sie werden entweder für Mac
Kinley, der ihnen als das kleinere von zwei Übeln erscheinen muß, stimmen,
oder sich der Wahl enthalten.


Grenzboten IV 1900 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/319>, abgerufen am 16.06.2024.