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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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aus vielen Erfahrungen. Wollten wir uns in Afrika irgendwo, in Pondoland,
in der Luciabai, in Wien und Uganda, am Niger festsetzen, so brauchte Eng¬
land nur zu erklaren, das sei englische Interessensphäre, und wir mußten als¬
bald abziehn. Weil die Burenstaaten zur englischen Interessen- oder gar Ein¬
flußsphäre gerechnet wurden, deshalb hielt sich England für berechtigt, die
Buren vom Kaplande anfangend immer weiter nördlich zu treiben und zuletzt
durch den noch währenden Krieg völlig zu unterjochen. Der Niger und der Berne
wurden zwar für frei erklärt, aber wir mußten die Grenze unsrer Einflußsphäre
in Kamerun so ändern, daß wir nicht bei Jbi, wie bis 1885 angenommen
war, sondern erst bei Jola an den Berne kamen, und indem England durch
Verträge mit den Negerfürsten auf beide Ufer die Hand legte, wurde die Frei¬
heit von Niger und Berne aus der Welt des Thatsächlichen hinaus geschafft.
Dasselbe wäre sicher mit dem Acintse geschehn, wenn England bei seinem An¬
spruch auf diesen Fluß geblieben wäre, und es wäre dabei geblieben, wenn es
nicht, durch den Burenkrieg zu stark in Afrika beschäftigt, außer stände gewesen
wäre, allein seine Position am Aantse aufrecht zu halten und Schanghai zu
sichern. Daß Deutschland die Gelegenheit nicht vorüber ließ, dem guten Vetter
die Hand zu bieten, daß Graf Bülow die Thür zur Einflußsphäre öffnete,
daß wir diesen Handel in größter Höflichkeit, und wie es scheint, als gute
Freunde mit England abgeschlossen haben, dafür können wir dem Kaiser und
dem neuen Kanzler nur dankbar sein. Es ist vielleicht das erste mal, daß wir,
nämlich das neue Deutschland, bei einem Handel mit England ohne Schlappe,
sogar recht vorteilhaft weggekommen sind.

Und alle übrigen Länder, die mit China Handel treiben, mögen sich gleich¬
falls bei dem Kaiser bedanken, denn sie haben jetzt sehr viel mehr Aussicht,
die Thür am Aantse offen zu finden, als wenn es bei der bloß englischen
Interessensphäre geblieben wäre. Sogar Rußland kann diesen Vertrag nur
freudig begrüßen, der das Interessengebiet Deutschlands in Zukunft von der
Provinz Schenkung südwärts zu verschieben verheißt. Ein "Fu" am Janthe
ist für uns mehr wert als alle "Tschaus" auf Schenkung.

Man hat nun zwar in den Artikeln 3 und 4 des Vertrags Material
finden wollen zu einer Warnung gegenüber Rußland, die dann auch eine
Drohung enthielte. Mir erscheint die Sache nicht so. Rußland hat mehrmals
erklärt, es wolle keine Eroberungen machen. Neben diesen offiziellen Erklä¬
rungen der russischen Regierung freilich standen öffentliche Erklärungen ihrer
siegreichen Generale am Amur und Sungari, worin die Besitzergreifung ver-
schiedner Orte am rechten chinesischen Flußufer für Rußland stolz verkündet
wurde. Vielleicht nahmen die Generale den Mund zu voll; vielleicht aber
auch nicht. Eroberungen, Annexionen könnten verwerflich, und Besetzung
einiger zum Schutz der Flüsse und besonders der russischen Mandschureibahn
nötigen Punkte -- könnte erlaubt sein. Man wird die Mandschurei nicht
annektieren, weil das ein sehr schlechtes Geschäft wäre, aber man wird einige
feste Punkte auf chinesischem Boden nehmen und ausrüsten zur Sicherung der


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aus vielen Erfahrungen. Wollten wir uns in Afrika irgendwo, in Pondoland,
in der Luciabai, in Wien und Uganda, am Niger festsetzen, so brauchte Eng¬
land nur zu erklaren, das sei englische Interessensphäre, und wir mußten als¬
bald abziehn. Weil die Burenstaaten zur englischen Interessen- oder gar Ein¬
flußsphäre gerechnet wurden, deshalb hielt sich England für berechtigt, die
Buren vom Kaplande anfangend immer weiter nördlich zu treiben und zuletzt
durch den noch währenden Krieg völlig zu unterjochen. Der Niger und der Berne
wurden zwar für frei erklärt, aber wir mußten die Grenze unsrer Einflußsphäre
in Kamerun so ändern, daß wir nicht bei Jbi, wie bis 1885 angenommen
war, sondern erst bei Jola an den Berne kamen, und indem England durch
Verträge mit den Negerfürsten auf beide Ufer die Hand legte, wurde die Frei¬
heit von Niger und Berne aus der Welt des Thatsächlichen hinaus geschafft.
Dasselbe wäre sicher mit dem Acintse geschehn, wenn England bei seinem An¬
spruch auf diesen Fluß geblieben wäre, und es wäre dabei geblieben, wenn es
nicht, durch den Burenkrieg zu stark in Afrika beschäftigt, außer stände gewesen
wäre, allein seine Position am Aantse aufrecht zu halten und Schanghai zu
sichern. Daß Deutschland die Gelegenheit nicht vorüber ließ, dem guten Vetter
die Hand zu bieten, daß Graf Bülow die Thür zur Einflußsphäre öffnete,
daß wir diesen Handel in größter Höflichkeit, und wie es scheint, als gute
Freunde mit England abgeschlossen haben, dafür können wir dem Kaiser und
dem neuen Kanzler nur dankbar sein. Es ist vielleicht das erste mal, daß wir,
nämlich das neue Deutschland, bei einem Handel mit England ohne Schlappe,
sogar recht vorteilhaft weggekommen sind.

Und alle übrigen Länder, die mit China Handel treiben, mögen sich gleich¬
falls bei dem Kaiser bedanken, denn sie haben jetzt sehr viel mehr Aussicht,
die Thür am Aantse offen zu finden, als wenn es bei der bloß englischen
Interessensphäre geblieben wäre. Sogar Rußland kann diesen Vertrag nur
freudig begrüßen, der das Interessengebiet Deutschlands in Zukunft von der
Provinz Schenkung südwärts zu verschieben verheißt. Ein „Fu" am Janthe
ist für uns mehr wert als alle „Tschaus" auf Schenkung.

Man hat nun zwar in den Artikeln 3 und 4 des Vertrags Material
finden wollen zu einer Warnung gegenüber Rußland, die dann auch eine
Drohung enthielte. Mir erscheint die Sache nicht so. Rußland hat mehrmals
erklärt, es wolle keine Eroberungen machen. Neben diesen offiziellen Erklä¬
rungen der russischen Regierung freilich standen öffentliche Erklärungen ihrer
siegreichen Generale am Amur und Sungari, worin die Besitzergreifung ver-
schiedner Orte am rechten chinesischen Flußufer für Rußland stolz verkündet
wurde. Vielleicht nahmen die Generale den Mund zu voll; vielleicht aber
auch nicht. Eroberungen, Annexionen könnten verwerflich, und Besetzung
einiger zum Schutz der Flüsse und besonders der russischen Mandschureibahn
nötigen Punkte — könnte erlaubt sein. Man wird die Mandschurei nicht
annektieren, weil das ein sehr schlechtes Geschäft wäre, aber man wird einige
feste Punkte auf chinesischem Boden nehmen und ausrüsten zur Sicherung der


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[0338] iLhina aus vielen Erfahrungen. Wollten wir uns in Afrika irgendwo, in Pondoland, in der Luciabai, in Wien und Uganda, am Niger festsetzen, so brauchte Eng¬ land nur zu erklaren, das sei englische Interessensphäre, und wir mußten als¬ bald abziehn. Weil die Burenstaaten zur englischen Interessen- oder gar Ein¬ flußsphäre gerechnet wurden, deshalb hielt sich England für berechtigt, die Buren vom Kaplande anfangend immer weiter nördlich zu treiben und zuletzt durch den noch währenden Krieg völlig zu unterjochen. Der Niger und der Berne wurden zwar für frei erklärt, aber wir mußten die Grenze unsrer Einflußsphäre in Kamerun so ändern, daß wir nicht bei Jbi, wie bis 1885 angenommen war, sondern erst bei Jola an den Berne kamen, und indem England durch Verträge mit den Negerfürsten auf beide Ufer die Hand legte, wurde die Frei¬ heit von Niger und Berne aus der Welt des Thatsächlichen hinaus geschafft. Dasselbe wäre sicher mit dem Acintse geschehn, wenn England bei seinem An¬ spruch auf diesen Fluß geblieben wäre, und es wäre dabei geblieben, wenn es nicht, durch den Burenkrieg zu stark in Afrika beschäftigt, außer stände gewesen wäre, allein seine Position am Aantse aufrecht zu halten und Schanghai zu sichern. Daß Deutschland die Gelegenheit nicht vorüber ließ, dem guten Vetter die Hand zu bieten, daß Graf Bülow die Thür zur Einflußsphäre öffnete, daß wir diesen Handel in größter Höflichkeit, und wie es scheint, als gute Freunde mit England abgeschlossen haben, dafür können wir dem Kaiser und dem neuen Kanzler nur dankbar sein. Es ist vielleicht das erste mal, daß wir, nämlich das neue Deutschland, bei einem Handel mit England ohne Schlappe, sogar recht vorteilhaft weggekommen sind. Und alle übrigen Länder, die mit China Handel treiben, mögen sich gleich¬ falls bei dem Kaiser bedanken, denn sie haben jetzt sehr viel mehr Aussicht, die Thür am Aantse offen zu finden, als wenn es bei der bloß englischen Interessensphäre geblieben wäre. Sogar Rußland kann diesen Vertrag nur freudig begrüßen, der das Interessengebiet Deutschlands in Zukunft von der Provinz Schenkung südwärts zu verschieben verheißt. Ein „Fu" am Janthe ist für uns mehr wert als alle „Tschaus" auf Schenkung. Man hat nun zwar in den Artikeln 3 und 4 des Vertrags Material finden wollen zu einer Warnung gegenüber Rußland, die dann auch eine Drohung enthielte. Mir erscheint die Sache nicht so. Rußland hat mehrmals erklärt, es wolle keine Eroberungen machen. Neben diesen offiziellen Erklä¬ rungen der russischen Regierung freilich standen öffentliche Erklärungen ihrer siegreichen Generale am Amur und Sungari, worin die Besitzergreifung ver- schiedner Orte am rechten chinesischen Flußufer für Rußland stolz verkündet wurde. Vielleicht nahmen die Generale den Mund zu voll; vielleicht aber auch nicht. Eroberungen, Annexionen könnten verwerflich, und Besetzung einiger zum Schutz der Flüsse und besonders der russischen Mandschureibahn nötigen Punkte — könnte erlaubt sein. Man wird die Mandschurei nicht annektieren, weil das ein sehr schlechtes Geschäft wäre, aber man wird einige feste Punkte auf chinesischem Boden nehmen und ausrüsten zur Sicherung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/338>, abgerufen am 16.06.2024.