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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Über die Bemnnnmig der deutschen Kauffahrteischiffe

Maschinentechnik zu folgen, wobei die kapitalkräftigen und intelligenten Reede¬
reien, also die starker", das Feld behaupteten, die übrigen unterlagen. Nur
das Großkapital kann noch lohnend Reederei treiben; deshalb saugt es die
kleinern rücksichtslos auf.

Um den Kampf ums Dasein mit Erfolg bestehn zu können, wurden die
Betriebskosten aufs äußerste eingeschränkt, indem man die Takelung der Segel¬
schiffe vereinfachte und zugleich die Bemannung in doppeltem Maße ver¬
ringerte; die Verminderung der Mannschaft der Dampfer folgte nach. Die
Reeber bestimmten einfach: "Kapitän, Sie haben in Zukunft mit so und so
viel Mann zu fahren!" Wollte er sein Brot nicht verlieren, mußte er Folge
leisten und überdies dem Gesetze gegenüber, das ihn für die genügende Be¬
mannung verantwortlich halt, die Maßregel des Reeders vertreten. Der
Kapitän hat nicht das mindeste über die Zahl der Bemannung mitzureden,
und doch hat man bis jetzt keine Miene gemacht, ihm die Verantwortung ab¬
zunehmen.

Um das Schiff mit der stark vermindertet! Mannschaft noch manövrieren
zu können, bestand der Kapitän darauf, daß er nur möglichst "befahrne" Leute
anmustern durfte, und er erfand zu seiner Verteidigung die Sage von der Un-
rentabilität der Schiffsjungen, die ebenso viel essen wie die vollen Leute.
Diese Sage hat besonders Glauben gefunden, wo Kapitäne für größere Reede¬
reien fuhren. Wo der Kapitän selbst der Haupteigentümer ist, also in der
kleinen Fahrt, ist man beim alten Gebrauch geblieben und hat immer Jungen
mitgenommen, mitunter sogar in übergroßer Zahl, weil dadurch gespart wird.
Daß die Kapitäne der kleinen Schiffe nicht rechnen können, wenn sie Jungen
an Bord nehmen, wird im Ernst doch wohl niemand behaupten wollen. In¬
telligente frühere Kapitäne, die sich zu Reedern größerer Segelschiffe aufge¬
schwungen haben, haben auch längst erkannt, daß die Sage nicht richtig ist.
Ein solcher erzählte mir kürzlich: Ich gebe meinen Schiffen immer einen oder
zwei Jungen mehr mit, als eigentlich recht ist, denn im Auslande laufen ge¬
wöhnlich Matrosen weg, die Jungen aus unsrer Gegend aber selten. Da sind
denn die gut angelernten Jungen immer noch mehr wert als das Pack, das
man dort anzunehmen gezwungen ist. Zu bemerken darf ich nicht unterlassen,
daß einzelne Reedereien sehr lobenswerte Ausnahmen machen. So hat der
norddeutsche Lloyd in Bremen immer "unbefahrne" Jungen mitgenommen,
obgleich er wußte, daß sie nach einigen Reisen abgeht, und auf Segelschiffe
gehn würden.

So lange nun die kleinern Segelschiffe ihre angelernten Jungen und Leicht¬
matrosen in genügender Zahl an die großen Segelschiffe und Dampfer ab¬
geben konnten, ging die Sache gut, und die Großreedereien waren ganz zu¬
frieden. Nachdem aber die kleine Segelschifsahrt gewaltig zurückgegangen ist, und
jetzt die Küstenfnhrt von der Schleppkahnfahrt den Todesstoß empfängt, ist die
Bemannungsfrage brennend geworden, denn die Kleinschiffahrt kann in der
Zukunft den Bedarf der Großschiffahrt an Matrosen nicht mehr decket,. Diese


Über die Bemnnnmig der deutschen Kauffahrteischiffe

Maschinentechnik zu folgen, wobei die kapitalkräftigen und intelligenten Reede¬
reien, also die starker«, das Feld behaupteten, die übrigen unterlagen. Nur
das Großkapital kann noch lohnend Reederei treiben; deshalb saugt es die
kleinern rücksichtslos auf.

Um den Kampf ums Dasein mit Erfolg bestehn zu können, wurden die
Betriebskosten aufs äußerste eingeschränkt, indem man die Takelung der Segel¬
schiffe vereinfachte und zugleich die Bemannung in doppeltem Maße ver¬
ringerte; die Verminderung der Mannschaft der Dampfer folgte nach. Die
Reeber bestimmten einfach: „Kapitän, Sie haben in Zukunft mit so und so
viel Mann zu fahren!" Wollte er sein Brot nicht verlieren, mußte er Folge
leisten und überdies dem Gesetze gegenüber, das ihn für die genügende Be¬
mannung verantwortlich halt, die Maßregel des Reeders vertreten. Der
Kapitän hat nicht das mindeste über die Zahl der Bemannung mitzureden,
und doch hat man bis jetzt keine Miene gemacht, ihm die Verantwortung ab¬
zunehmen.

Um das Schiff mit der stark vermindertet! Mannschaft noch manövrieren
zu können, bestand der Kapitän darauf, daß er nur möglichst „befahrne" Leute
anmustern durfte, und er erfand zu seiner Verteidigung die Sage von der Un-
rentabilität der Schiffsjungen, die ebenso viel essen wie die vollen Leute.
Diese Sage hat besonders Glauben gefunden, wo Kapitäne für größere Reede¬
reien fuhren. Wo der Kapitän selbst der Haupteigentümer ist, also in der
kleinen Fahrt, ist man beim alten Gebrauch geblieben und hat immer Jungen
mitgenommen, mitunter sogar in übergroßer Zahl, weil dadurch gespart wird.
Daß die Kapitäne der kleinen Schiffe nicht rechnen können, wenn sie Jungen
an Bord nehmen, wird im Ernst doch wohl niemand behaupten wollen. In¬
telligente frühere Kapitäne, die sich zu Reedern größerer Segelschiffe aufge¬
schwungen haben, haben auch längst erkannt, daß die Sage nicht richtig ist.
Ein solcher erzählte mir kürzlich: Ich gebe meinen Schiffen immer einen oder
zwei Jungen mehr mit, als eigentlich recht ist, denn im Auslande laufen ge¬
wöhnlich Matrosen weg, die Jungen aus unsrer Gegend aber selten. Da sind
denn die gut angelernten Jungen immer noch mehr wert als das Pack, das
man dort anzunehmen gezwungen ist. Zu bemerken darf ich nicht unterlassen,
daß einzelne Reedereien sehr lobenswerte Ausnahmen machen. So hat der
norddeutsche Lloyd in Bremen immer „unbefahrne" Jungen mitgenommen,
obgleich er wußte, daß sie nach einigen Reisen abgeht, und auf Segelschiffe
gehn würden.

So lange nun die kleinern Segelschiffe ihre angelernten Jungen und Leicht¬
matrosen in genügender Zahl an die großen Segelschiffe und Dampfer ab¬
geben konnten, ging die Sache gut, und die Großreedereien waren ganz zu¬
frieden. Nachdem aber die kleine Segelschifsahrt gewaltig zurückgegangen ist, und
jetzt die Küstenfnhrt von der Schleppkahnfahrt den Todesstoß empfängt, ist die
Bemannungsfrage brennend geworden, denn die Kleinschiffahrt kann in der
Zukunft den Bedarf der Großschiffahrt an Matrosen nicht mehr decket,. Diese


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[0353] Über die Bemnnnmig der deutschen Kauffahrteischiffe Maschinentechnik zu folgen, wobei die kapitalkräftigen und intelligenten Reede¬ reien, also die starker«, das Feld behaupteten, die übrigen unterlagen. Nur das Großkapital kann noch lohnend Reederei treiben; deshalb saugt es die kleinern rücksichtslos auf. Um den Kampf ums Dasein mit Erfolg bestehn zu können, wurden die Betriebskosten aufs äußerste eingeschränkt, indem man die Takelung der Segel¬ schiffe vereinfachte und zugleich die Bemannung in doppeltem Maße ver¬ ringerte; die Verminderung der Mannschaft der Dampfer folgte nach. Die Reeber bestimmten einfach: „Kapitän, Sie haben in Zukunft mit so und so viel Mann zu fahren!" Wollte er sein Brot nicht verlieren, mußte er Folge leisten und überdies dem Gesetze gegenüber, das ihn für die genügende Be¬ mannung verantwortlich halt, die Maßregel des Reeders vertreten. Der Kapitän hat nicht das mindeste über die Zahl der Bemannung mitzureden, und doch hat man bis jetzt keine Miene gemacht, ihm die Verantwortung ab¬ zunehmen. Um das Schiff mit der stark vermindertet! Mannschaft noch manövrieren zu können, bestand der Kapitän darauf, daß er nur möglichst „befahrne" Leute anmustern durfte, und er erfand zu seiner Verteidigung die Sage von der Un- rentabilität der Schiffsjungen, die ebenso viel essen wie die vollen Leute. Diese Sage hat besonders Glauben gefunden, wo Kapitäne für größere Reede¬ reien fuhren. Wo der Kapitän selbst der Haupteigentümer ist, also in der kleinen Fahrt, ist man beim alten Gebrauch geblieben und hat immer Jungen mitgenommen, mitunter sogar in übergroßer Zahl, weil dadurch gespart wird. Daß die Kapitäne der kleinen Schiffe nicht rechnen können, wenn sie Jungen an Bord nehmen, wird im Ernst doch wohl niemand behaupten wollen. In¬ telligente frühere Kapitäne, die sich zu Reedern größerer Segelschiffe aufge¬ schwungen haben, haben auch längst erkannt, daß die Sage nicht richtig ist. Ein solcher erzählte mir kürzlich: Ich gebe meinen Schiffen immer einen oder zwei Jungen mehr mit, als eigentlich recht ist, denn im Auslande laufen ge¬ wöhnlich Matrosen weg, die Jungen aus unsrer Gegend aber selten. Da sind denn die gut angelernten Jungen immer noch mehr wert als das Pack, das man dort anzunehmen gezwungen ist. Zu bemerken darf ich nicht unterlassen, daß einzelne Reedereien sehr lobenswerte Ausnahmen machen. So hat der norddeutsche Lloyd in Bremen immer „unbefahrne" Jungen mitgenommen, obgleich er wußte, daß sie nach einigen Reisen abgeht, und auf Segelschiffe gehn würden. So lange nun die kleinern Segelschiffe ihre angelernten Jungen und Leicht¬ matrosen in genügender Zahl an die großen Segelschiffe und Dampfer ab¬ geben konnten, ging die Sache gut, und die Großreedereien waren ganz zu¬ frieden. Nachdem aber die kleine Segelschifsahrt gewaltig zurückgegangen ist, und jetzt die Küstenfnhrt von der Schleppkahnfahrt den Todesstoß empfängt, ist die Bemannungsfrage brennend geworden, denn die Kleinschiffahrt kann in der Zukunft den Bedarf der Großschiffahrt an Matrosen nicht mehr decket,. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/353>, abgerufen am 16.06.2024.