Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kinderarbeit

wenigstens unverantwortliche Zustände zu vermeiden." Die Ausnahmen, die für
arme Eltern von arbeitenden Kindern zugelassen werden dürfen, müssen, wie
Schönberg will, durchaus den örtlich am nächsten stehenden Behörden, die
dazu qualifiziert sind (was bei den Gemeindevorständen nicht immer zutrifft),
anvertraut werdeu, aber immer unter scharfer Beaufsichtigung der obern In¬
stanzen, namentlich tüchtiger, gebildeter, für ihr Fach gehörig vorgebildeter Gc-
werbeinspeltoren.

Die Hintansetzung des Unternehmer- oder Meisterinteresses ergiebt sich für
uns allein aus unsrer Erfahrung, daß wo immer auch man die Sache näher
untersucht, entweder nackte Gewinnsucht und Unwahrheit im Spiele ist, oder
sich die Aufrechterhaltung der nur durch Kinderhungerlöhne ihr Dasein
fristenden Betriebe als reine Sünde und Volks- wie privatwirtschaftlicher
Unsinn entpuppt, d. h> ein so akuter Notstand vorliegt, daß damit schleunigst
durch eine Aktion der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit aufgeräumt
werden muß.

Überhaupt muß endlich die Ausdehnung der Gcwerbeaufsicht auf das
ganze in Frage stehende Gebiet und dementsprechend die Vermehrung der
Gewerbeaufsichtsbeamten als die unerläßlichste Voraussetzung der vernünftigen
und ausreichenden Regelung der gewerblichen Kinderarbeit anerkannt werden.
Thatsächlich stehn dem, wenigstens in Preußen, hauptsächlich finanzielle Eng¬
herzigkeiten gegenüber, was um so trauriger ist, je mehr man das Lob der
glänzenden Finanzlage halbamtlich immer wieder hinausposaunen läßt. Es
kann hier darauf nicht näher eingegangen werden, da es den Nahmen dieses
Aufsatzes weit überschreiten würde, aber alle schönen Statistiker, Denkschriften
und Gesetzentwürfe, mit denen man dem Reichstage und der Öffentlichkeit auf¬
gewartet hat und noch aufwarten wird in dieser Frage, müssen leeres Stroh
bleiben, so lange es nicht gelingt, den Widerstand zu überwinden, den man
in Preußen dem rechten Ausbau der Gewerbeaufsicht seit Jahren entgegensetzt.
Die völlig unbrauchbaren neuen Bestimmungen über die Ausbildung für den
Gewerbeaufsichtsdienst seien auch mir beiläufig erwähnt.

Die dunkelste Seite bleibt immer die Ausbeutung der Kinder dnrch die
eignen Eltern in der eignen Familie. Die Kinderarbeit in der Familie kann
sehr vernünftig und gut sein, auch wo es den Eltern gar nicht so sehr auf
den dabei erzielten Gewinn ankommt. Sie mag zu entschuldigen und zu
dulden sein, wo arme Eltern das bischen Kinderverdienst nicht entbehren
können, wenn sie die Kinder ordentlich ernähren wollen, und wenn deren
geistige und körperliche Entwicklung nicht mehr darunter leidet als gewinnt.
Aber thatsächlich herrscht vielfach ein greuliches Übermaß, weit über das durch
die Not erklärte hinaus. Wie ist da zu helfen? Zunächst jedenfalls dnrch
die allerintensivste Aufsicht durch tüchtige Leute. Es ist doch eine entsetzlich
oberflächliche Auffassung der Dinge und die ärgste Grünetischdvktrin, wenn
man behauptet, die Aufsicht habe nur dann Zweck und Wirkung, wenn der
Aufsichtsbeamte auch immer zugleich als Büttel komme, der das Polizeistraf-


Kinderarbeit

wenigstens unverantwortliche Zustände zu vermeiden." Die Ausnahmen, die für
arme Eltern von arbeitenden Kindern zugelassen werden dürfen, müssen, wie
Schönberg will, durchaus den örtlich am nächsten stehenden Behörden, die
dazu qualifiziert sind (was bei den Gemeindevorständen nicht immer zutrifft),
anvertraut werdeu, aber immer unter scharfer Beaufsichtigung der obern In¬
stanzen, namentlich tüchtiger, gebildeter, für ihr Fach gehörig vorgebildeter Gc-
werbeinspeltoren.

Die Hintansetzung des Unternehmer- oder Meisterinteresses ergiebt sich für
uns allein aus unsrer Erfahrung, daß wo immer auch man die Sache näher
untersucht, entweder nackte Gewinnsucht und Unwahrheit im Spiele ist, oder
sich die Aufrechterhaltung der nur durch Kinderhungerlöhne ihr Dasein
fristenden Betriebe als reine Sünde und Volks- wie privatwirtschaftlicher
Unsinn entpuppt, d. h> ein so akuter Notstand vorliegt, daß damit schleunigst
durch eine Aktion der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit aufgeräumt
werden muß.

Überhaupt muß endlich die Ausdehnung der Gcwerbeaufsicht auf das
ganze in Frage stehende Gebiet und dementsprechend die Vermehrung der
Gewerbeaufsichtsbeamten als die unerläßlichste Voraussetzung der vernünftigen
und ausreichenden Regelung der gewerblichen Kinderarbeit anerkannt werden.
Thatsächlich stehn dem, wenigstens in Preußen, hauptsächlich finanzielle Eng¬
herzigkeiten gegenüber, was um so trauriger ist, je mehr man das Lob der
glänzenden Finanzlage halbamtlich immer wieder hinausposaunen läßt. Es
kann hier darauf nicht näher eingegangen werden, da es den Nahmen dieses
Aufsatzes weit überschreiten würde, aber alle schönen Statistiker, Denkschriften
und Gesetzentwürfe, mit denen man dem Reichstage und der Öffentlichkeit auf¬
gewartet hat und noch aufwarten wird in dieser Frage, müssen leeres Stroh
bleiben, so lange es nicht gelingt, den Widerstand zu überwinden, den man
in Preußen dem rechten Ausbau der Gewerbeaufsicht seit Jahren entgegensetzt.
Die völlig unbrauchbaren neuen Bestimmungen über die Ausbildung für den
Gewerbeaufsichtsdienst seien auch mir beiläufig erwähnt.

Die dunkelste Seite bleibt immer die Ausbeutung der Kinder dnrch die
eignen Eltern in der eignen Familie. Die Kinderarbeit in der Familie kann
sehr vernünftig und gut sein, auch wo es den Eltern gar nicht so sehr auf
den dabei erzielten Gewinn ankommt. Sie mag zu entschuldigen und zu
dulden sein, wo arme Eltern das bischen Kinderverdienst nicht entbehren
können, wenn sie die Kinder ordentlich ernähren wollen, und wenn deren
geistige und körperliche Entwicklung nicht mehr darunter leidet als gewinnt.
Aber thatsächlich herrscht vielfach ein greuliches Übermaß, weit über das durch
die Not erklärte hinaus. Wie ist da zu helfen? Zunächst jedenfalls dnrch
die allerintensivste Aufsicht durch tüchtige Leute. Es ist doch eine entsetzlich
oberflächliche Auffassung der Dinge und die ärgste Grünetischdvktrin, wenn
man behauptet, die Aufsicht habe nur dann Zweck und Wirkung, wenn der
Aufsichtsbeamte auch immer zugleich als Büttel komme, der das Polizeistraf-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291469"/>
          <fw type="header" place="top"> Kinderarbeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1259" prev="#ID_1258"> wenigstens unverantwortliche Zustände zu vermeiden." Die Ausnahmen, die für<lb/>
arme Eltern von arbeitenden Kindern zugelassen werden dürfen, müssen, wie<lb/>
Schönberg will, durchaus den örtlich am nächsten stehenden Behörden, die<lb/>
dazu qualifiziert sind (was bei den Gemeindevorständen nicht immer zutrifft),<lb/>
anvertraut werdeu, aber immer unter scharfer Beaufsichtigung der obern In¬<lb/>
stanzen, namentlich tüchtiger, gebildeter, für ihr Fach gehörig vorgebildeter Gc-<lb/>
werbeinspeltoren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260"> Die Hintansetzung des Unternehmer- oder Meisterinteresses ergiebt sich für<lb/>
uns allein aus unsrer Erfahrung, daß wo immer auch man die Sache näher<lb/>
untersucht, entweder nackte Gewinnsucht und Unwahrheit im Spiele ist, oder<lb/>
sich die Aufrechterhaltung der nur durch Kinderhungerlöhne ihr Dasein<lb/>
fristenden Betriebe als reine Sünde und Volks- wie privatwirtschaftlicher<lb/>
Unsinn entpuppt, d. h&gt; ein so akuter Notstand vorliegt, daß damit schleunigst<lb/>
durch eine Aktion der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit aufgeräumt<lb/>
werden muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1261"> Überhaupt muß endlich die Ausdehnung der Gcwerbeaufsicht auf das<lb/>
ganze in Frage stehende Gebiet und dementsprechend die Vermehrung der<lb/>
Gewerbeaufsichtsbeamten als die unerläßlichste Voraussetzung der vernünftigen<lb/>
und ausreichenden Regelung der gewerblichen Kinderarbeit anerkannt werden.<lb/>
Thatsächlich stehn dem, wenigstens in Preußen, hauptsächlich finanzielle Eng¬<lb/>
herzigkeiten gegenüber, was um so trauriger ist, je mehr man das Lob der<lb/>
glänzenden Finanzlage halbamtlich immer wieder hinausposaunen läßt. Es<lb/>
kann hier darauf nicht näher eingegangen werden, da es den Nahmen dieses<lb/>
Aufsatzes weit überschreiten würde, aber alle schönen Statistiker, Denkschriften<lb/>
und Gesetzentwürfe, mit denen man dem Reichstage und der Öffentlichkeit auf¬<lb/>
gewartet hat und noch aufwarten wird in dieser Frage, müssen leeres Stroh<lb/>
bleiben, so lange es nicht gelingt, den Widerstand zu überwinden, den man<lb/>
in Preußen dem rechten Ausbau der Gewerbeaufsicht seit Jahren entgegensetzt.<lb/>
Die völlig unbrauchbaren neuen Bestimmungen über die Ausbildung für den<lb/>
Gewerbeaufsichtsdienst seien auch mir beiläufig erwähnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1262" next="#ID_1263"> Die dunkelste Seite bleibt immer die Ausbeutung der Kinder dnrch die<lb/>
eignen Eltern in der eignen Familie. Die Kinderarbeit in der Familie kann<lb/>
sehr vernünftig und gut sein, auch wo es den Eltern gar nicht so sehr auf<lb/>
den dabei erzielten Gewinn ankommt. Sie mag zu entschuldigen und zu<lb/>
dulden sein, wo arme Eltern das bischen Kinderverdienst nicht entbehren<lb/>
können, wenn sie die Kinder ordentlich ernähren wollen, und wenn deren<lb/>
geistige und körperliche Entwicklung nicht mehr darunter leidet als gewinnt.<lb/>
Aber thatsächlich herrscht vielfach ein greuliches Übermaß, weit über das durch<lb/>
die Not erklärte hinaus. Wie ist da zu helfen? Zunächst jedenfalls dnrch<lb/>
die allerintensivste Aufsicht durch tüchtige Leute. Es ist doch eine entsetzlich<lb/>
oberflächliche Auffassung der Dinge und die ärgste Grünetischdvktrin, wenn<lb/>
man behauptet, die Aufsicht habe nur dann Zweck und Wirkung, wenn der<lb/>
Aufsichtsbeamte auch immer zugleich als Büttel komme, der das Polizeistraf-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Kinderarbeit wenigstens unverantwortliche Zustände zu vermeiden." Die Ausnahmen, die für arme Eltern von arbeitenden Kindern zugelassen werden dürfen, müssen, wie Schönberg will, durchaus den örtlich am nächsten stehenden Behörden, die dazu qualifiziert sind (was bei den Gemeindevorständen nicht immer zutrifft), anvertraut werdeu, aber immer unter scharfer Beaufsichtigung der obern In¬ stanzen, namentlich tüchtiger, gebildeter, für ihr Fach gehörig vorgebildeter Gc- werbeinspeltoren. Die Hintansetzung des Unternehmer- oder Meisterinteresses ergiebt sich für uns allein aus unsrer Erfahrung, daß wo immer auch man die Sache näher untersucht, entweder nackte Gewinnsucht und Unwahrheit im Spiele ist, oder sich die Aufrechterhaltung der nur durch Kinderhungerlöhne ihr Dasein fristenden Betriebe als reine Sünde und Volks- wie privatwirtschaftlicher Unsinn entpuppt, d. h> ein so akuter Notstand vorliegt, daß damit schleunigst durch eine Aktion der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit aufgeräumt werden muß. Überhaupt muß endlich die Ausdehnung der Gcwerbeaufsicht auf das ganze in Frage stehende Gebiet und dementsprechend die Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten als die unerläßlichste Voraussetzung der vernünftigen und ausreichenden Regelung der gewerblichen Kinderarbeit anerkannt werden. Thatsächlich stehn dem, wenigstens in Preußen, hauptsächlich finanzielle Eng¬ herzigkeiten gegenüber, was um so trauriger ist, je mehr man das Lob der glänzenden Finanzlage halbamtlich immer wieder hinausposaunen läßt. Es kann hier darauf nicht näher eingegangen werden, da es den Nahmen dieses Aufsatzes weit überschreiten würde, aber alle schönen Statistiker, Denkschriften und Gesetzentwürfe, mit denen man dem Reichstage und der Öffentlichkeit auf¬ gewartet hat und noch aufwarten wird in dieser Frage, müssen leeres Stroh bleiben, so lange es nicht gelingt, den Widerstand zu überwinden, den man in Preußen dem rechten Ausbau der Gewerbeaufsicht seit Jahren entgegensetzt. Die völlig unbrauchbaren neuen Bestimmungen über die Ausbildung für den Gewerbeaufsichtsdienst seien auch mir beiläufig erwähnt. Die dunkelste Seite bleibt immer die Ausbeutung der Kinder dnrch die eignen Eltern in der eignen Familie. Die Kinderarbeit in der Familie kann sehr vernünftig und gut sein, auch wo es den Eltern gar nicht so sehr auf den dabei erzielten Gewinn ankommt. Sie mag zu entschuldigen und zu dulden sein, wo arme Eltern das bischen Kinderverdienst nicht entbehren können, wenn sie die Kinder ordentlich ernähren wollen, und wenn deren geistige und körperliche Entwicklung nicht mehr darunter leidet als gewinnt. Aber thatsächlich herrscht vielfach ein greuliches Übermaß, weit über das durch die Not erklärte hinaus. Wie ist da zu helfen? Zunächst jedenfalls dnrch die allerintensivste Aufsicht durch tüchtige Leute. Es ist doch eine entsetzlich oberflächliche Auffassung der Dinge und die ärgste Grünetischdvktrin, wenn man behauptet, die Aufsicht habe nur dann Zweck und Wirkung, wenn der Aufsichtsbeamte auch immer zugleich als Büttel komme, der das Polizeistraf-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/392>, abgerufen am 16.06.2024.