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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

Förderung wirtschaftlicher Interessen vermieden und verhindert wird. Nur
eine entsprechende politische Erziehung wird die öffentliche Meinung, die Volks¬
vertretung und die Regierung auf beiden Seiten zu größerer gegenseitiger
Rcchtsachtung veranlassen, und das Pochen auf jeweilige größere materielle
oder parlamentarische Stärke, die Ausnützung einer günstig scheinenden Lage
zur Erpressung ungerechtfertigter Vorteile ausschließen.

Vollzieht sich nicht in der vorstehend nur im Umriß angedeuteten oder
in einer ähnlichen Weise eine Umwandlung des heutigen Dualismus, so ist
eine Häufung und Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Streitpunkte
zwischen Österreich und Ungarn unausbleiblich. Die nächste Folge würde nach
der Auflösung der zollpolitischen Gemeinsamkeit und nach der Trennung des
Notenbankwesens die reine Personalunion sein. Den vielfach gehegten Glauben,
daß dann zwischen den beiden Staaten mit dem gemeinsamen Oberhaupte
Frieden und Freundschaft einkehren würde, können wir durchaus nicht teilen.
Im Gegenteil wäre damit nur der erste Schritt zu weitern Gegensätzen ge¬
schehn, wie sie zwischen Norwegen und Schweden an der Tagesordnung siud.
Damit ist wohl auch genügend die peinliche Lage angedeutet, in die der gemein¬
same Monarch und mit ihm die gesamte Monarchie geraten müßte. Daß dies
mich eine Verzögerung des innern Friedens diesseits wie jenseits der Leitha
bedeuten würde, ist wohl einleuchtend genug. In einem staatsrechtlich von
Österreich gänzlich losgelösten Ungarn würde der Widerstand der vom Chauvi¬
nismus niedergehaltnen nichtmagyarischen Nationalitüten mit elementarer Ge¬
walt hervorbrechen, und diesseits der Leitha könnte der Kampf zwischen
Deutschtum und Slawentum bei weiterer Lockerung der Beziehungen zu Ungarn
noch viel schwieriger in erträgliche Schranken gebannt werden, als dies heute
schon möglich scheint. Nur wenn eine engere konstitutionelle Berührung
zwischen Deutschen, Slawen und Magyaren auf dem Boden der ihnen im
großen und ganzen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturinteressen ermöglicht
wird, kann auf das Aufhören kleinlicher nationaler Spekulationen nach dem
alten Rezepte des clivicls se impera gehofft werden. Die Schwierigkeiten, die
die leidige Sprachenfragc der Organisation einer Vertretung der gemeinsamen
Interessen der Monarchie zweifellos bereiten werden, müssen sich bei einigem
guten Willen, der eben auf manchen Seiten erst hervorgerufen und gepflegt
werden muß, denn doch überwinden lassen.

Um nicht Vergleiche herauszufordern, die bei der Verschiedenheit der Ver¬
hältnisse unbedingt hinken müssen, ist in vorstehenden Ausführungen der Hin¬
weis auf eine Institution vermieden worden, die -- wie ausdrücklich bemerkt
werden soll, mit mancherlei wesentlichen Modifikationen -- allenfalls als
Muster benützt werden könnte. Es ist das Zollparlament des Norddeutschen
Bundes und der süddeutschen Staaten, gedacht als eine Vertretung souveräner
verbündeter Staaten, wie es ja nach dem dualistischen Credo Österreich und
Ungarn sind. Der Umstand, daß andre Gemeinsamkeitsgründe dort in Be¬
tracht kamen als hier, und daß die Einrichtung als Übergangsstadium zu andern


Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus

Förderung wirtschaftlicher Interessen vermieden und verhindert wird. Nur
eine entsprechende politische Erziehung wird die öffentliche Meinung, die Volks¬
vertretung und die Regierung auf beiden Seiten zu größerer gegenseitiger
Rcchtsachtung veranlassen, und das Pochen auf jeweilige größere materielle
oder parlamentarische Stärke, die Ausnützung einer günstig scheinenden Lage
zur Erpressung ungerechtfertigter Vorteile ausschließen.

Vollzieht sich nicht in der vorstehend nur im Umriß angedeuteten oder
in einer ähnlichen Weise eine Umwandlung des heutigen Dualismus, so ist
eine Häufung und Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Streitpunkte
zwischen Österreich und Ungarn unausbleiblich. Die nächste Folge würde nach
der Auflösung der zollpolitischen Gemeinsamkeit und nach der Trennung des
Notenbankwesens die reine Personalunion sein. Den vielfach gehegten Glauben,
daß dann zwischen den beiden Staaten mit dem gemeinsamen Oberhaupte
Frieden und Freundschaft einkehren würde, können wir durchaus nicht teilen.
Im Gegenteil wäre damit nur der erste Schritt zu weitern Gegensätzen ge¬
schehn, wie sie zwischen Norwegen und Schweden an der Tagesordnung siud.
Damit ist wohl auch genügend die peinliche Lage angedeutet, in die der gemein¬
same Monarch und mit ihm die gesamte Monarchie geraten müßte. Daß dies
mich eine Verzögerung des innern Friedens diesseits wie jenseits der Leitha
bedeuten würde, ist wohl einleuchtend genug. In einem staatsrechtlich von
Österreich gänzlich losgelösten Ungarn würde der Widerstand der vom Chauvi¬
nismus niedergehaltnen nichtmagyarischen Nationalitüten mit elementarer Ge¬
walt hervorbrechen, und diesseits der Leitha könnte der Kampf zwischen
Deutschtum und Slawentum bei weiterer Lockerung der Beziehungen zu Ungarn
noch viel schwieriger in erträgliche Schranken gebannt werden, als dies heute
schon möglich scheint. Nur wenn eine engere konstitutionelle Berührung
zwischen Deutschen, Slawen und Magyaren auf dem Boden der ihnen im
großen und ganzen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturinteressen ermöglicht
wird, kann auf das Aufhören kleinlicher nationaler Spekulationen nach dem
alten Rezepte des clivicls se impera gehofft werden. Die Schwierigkeiten, die
die leidige Sprachenfragc der Organisation einer Vertretung der gemeinsamen
Interessen der Monarchie zweifellos bereiten werden, müssen sich bei einigem
guten Willen, der eben auf manchen Seiten erst hervorgerufen und gepflegt
werden muß, denn doch überwinden lassen.

Um nicht Vergleiche herauszufordern, die bei der Verschiedenheit der Ver¬
hältnisse unbedingt hinken müssen, ist in vorstehenden Ausführungen der Hin¬
weis auf eine Institution vermieden worden, die — wie ausdrücklich bemerkt
werden soll, mit mancherlei wesentlichen Modifikationen — allenfalls als
Muster benützt werden könnte. Es ist das Zollparlament des Norddeutschen
Bundes und der süddeutschen Staaten, gedacht als eine Vertretung souveräner
verbündeter Staaten, wie es ja nach dem dualistischen Credo Österreich und
Ungarn sind. Der Umstand, daß andre Gemeinsamkeitsgründe dort in Be¬
tracht kamen als hier, und daß die Einrichtung als Übergangsstadium zu andern


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[0447] Reform des österreichisch-ungarischen Dualismus Förderung wirtschaftlicher Interessen vermieden und verhindert wird. Nur eine entsprechende politische Erziehung wird die öffentliche Meinung, die Volks¬ vertretung und die Regierung auf beiden Seiten zu größerer gegenseitiger Rcchtsachtung veranlassen, und das Pochen auf jeweilige größere materielle oder parlamentarische Stärke, die Ausnützung einer günstig scheinenden Lage zur Erpressung ungerechtfertigter Vorteile ausschließen. Vollzieht sich nicht in der vorstehend nur im Umriß angedeuteten oder in einer ähnlichen Weise eine Umwandlung des heutigen Dualismus, so ist eine Häufung und Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Streitpunkte zwischen Österreich und Ungarn unausbleiblich. Die nächste Folge würde nach der Auflösung der zollpolitischen Gemeinsamkeit und nach der Trennung des Notenbankwesens die reine Personalunion sein. Den vielfach gehegten Glauben, daß dann zwischen den beiden Staaten mit dem gemeinsamen Oberhaupte Frieden und Freundschaft einkehren würde, können wir durchaus nicht teilen. Im Gegenteil wäre damit nur der erste Schritt zu weitern Gegensätzen ge¬ schehn, wie sie zwischen Norwegen und Schweden an der Tagesordnung siud. Damit ist wohl auch genügend die peinliche Lage angedeutet, in die der gemein¬ same Monarch und mit ihm die gesamte Monarchie geraten müßte. Daß dies mich eine Verzögerung des innern Friedens diesseits wie jenseits der Leitha bedeuten würde, ist wohl einleuchtend genug. In einem staatsrechtlich von Österreich gänzlich losgelösten Ungarn würde der Widerstand der vom Chauvi¬ nismus niedergehaltnen nichtmagyarischen Nationalitüten mit elementarer Ge¬ walt hervorbrechen, und diesseits der Leitha könnte der Kampf zwischen Deutschtum und Slawentum bei weiterer Lockerung der Beziehungen zu Ungarn noch viel schwieriger in erträgliche Schranken gebannt werden, als dies heute schon möglich scheint. Nur wenn eine engere konstitutionelle Berührung zwischen Deutschen, Slawen und Magyaren auf dem Boden der ihnen im großen und ganzen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturinteressen ermöglicht wird, kann auf das Aufhören kleinlicher nationaler Spekulationen nach dem alten Rezepte des clivicls se impera gehofft werden. Die Schwierigkeiten, die die leidige Sprachenfragc der Organisation einer Vertretung der gemeinsamen Interessen der Monarchie zweifellos bereiten werden, müssen sich bei einigem guten Willen, der eben auf manchen Seiten erst hervorgerufen und gepflegt werden muß, denn doch überwinden lassen. Um nicht Vergleiche herauszufordern, die bei der Verschiedenheit der Ver¬ hältnisse unbedingt hinken müssen, ist in vorstehenden Ausführungen der Hin¬ weis auf eine Institution vermieden worden, die — wie ausdrücklich bemerkt werden soll, mit mancherlei wesentlichen Modifikationen — allenfalls als Muster benützt werden könnte. Es ist das Zollparlament des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten, gedacht als eine Vertretung souveräner verbündeter Staaten, wie es ja nach dem dualistischen Credo Österreich und Ungarn sind. Der Umstand, daß andre Gemeinsamkeitsgründe dort in Be¬ tracht kamen als hier, und daß die Einrichtung als Übergangsstadium zu andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/447>, abgerufen am 16.06.2024.