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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reichskanzler und Reichstag

Nicht weniger vollständig ist den Lügen der Boden entzogen worden, die
über die Oberbefehlshaberfrnge in Umlauf gesetzt worden waren und geflissent¬
lich erhalten wurden. Ausdrücklich erklärte der Kanzler, daß das Deutsche Reich
sehr gern bereit gewesen wäre, seine Truppen jedem Oberbefehl unterzuordnen,
über den sich die andern Mächte geeinigt hätten. Er habe das namentlich
nach Nußland hin zu erkennen gegeben. Aber gerade der Kaiser von Ru߬
land sei es gewesen, "der vor allen andern Staatsoberhäuptern den Oberbefehl
in unsre Hand legte." Und als am 20. November Eugen Richter das natürlich
trotzdem besser wissen wollte, erklärte der Kanzler nochmals: "Der Gedanke eines
dentschen Oberbefehls beruht auf einer von außen her auf amtlichen Wege
an uns gelangten Anregung." Mehr könne er nicht sagen, weil es sich um
einen Gedankenaustausch zwischen Souveränen handle. Damit müssen für jeden
loyalen Politiker in Deutschland die Akten geschlossen sein über diese Frage,
die ja von vornherein nur öffentlich aufgebauscht werden konnte von Leuten,
in denen die Sucht zu nörgeln allen patriotischen Takt dein Auslande gegen¬
über vernichtet hat.

Die derselben vaterlandslosen Gesinnung entspringende Verdächtigung, daß
der Kaiser in seiner Bremerhavner Rede den ausziehenden Truppen den
Befehl zum erbarmungslosen niedermachen aller Gefangnen gegeben habe, hat
der Kriegsminister widerlegt, indem er auf die darüber geltenden gesetzlichen
Vorschriften und die auf sie hin erlassene Kaiserliche Verordnung vom 28. De¬
zember 1899 "über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Aus¬
länder und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangne" hin¬
wies, wonach die kommandierender Offiziere, wie das gar nicht anders möglich
ist, ermächtigt sind, "Ausländer, die im Kriege verräterischer Handlungen gegen
die deutscheu oder verbündeten Truppen sich schuldig macheu, wenn sie auf
frischer That betroffen werden, ohne vorhergehendes gerichtliches Verfahren
nach dem bisherigen Kriegsgebrauch zu behandeln," d. h. niederschießen zu
lassen. Mit großem Ernst machte General von Goßler dabei die Vcröffentlicher
der sogenannten "Hunnenbriefe," in denen Soldaten der in China stehenden
Truppen privatim vor ihren Angehörigen mit allerlei Greuelthaten renommieren,
die sie berufsmäßig vollführten, darauf aufmerksam, daß solche Thaten nach dem
Militärstrafgesetzbuch mit dem Tode bestraft würden, also den Renommisten
übel bekommen könnten. Die sensationelle Ausbeutung solcher Briefe ist eine
Schmach für die deutsche Presse. Wo in einzelnen Füllen ihr Inhalt ans
Wahrheit beruhen sollte, dürfen wir nach den bündigen Erklärungen der Re-
gierungsvertreter auf strenge Bestrafung rechnen.

Worauf unsre chinesische Politik im allgemeinen abzielt und nur abzielen
kann, hat der Kanzler in folgenden Sätzen klar dargestellt: "Wir haben gar
keinen Grund, ohne Not über die Linien hinauszugehn, die wir uns im deutsch-
chinesischeu Vertrag vom Frühjahr 1898 (Kiautschou) freiwillig gezogen haben.
Wir haben keinen Grund, ex adruxto Gelnetserweiterungen anzustreben, die
unsre finanziellen, militärischen und politischen Kräfte unverhältnismäßig in


Reichskanzler und Reichstag

Nicht weniger vollständig ist den Lügen der Boden entzogen worden, die
über die Oberbefehlshaberfrnge in Umlauf gesetzt worden waren und geflissent¬
lich erhalten wurden. Ausdrücklich erklärte der Kanzler, daß das Deutsche Reich
sehr gern bereit gewesen wäre, seine Truppen jedem Oberbefehl unterzuordnen,
über den sich die andern Mächte geeinigt hätten. Er habe das namentlich
nach Nußland hin zu erkennen gegeben. Aber gerade der Kaiser von Ru߬
land sei es gewesen, „der vor allen andern Staatsoberhäuptern den Oberbefehl
in unsre Hand legte." Und als am 20. November Eugen Richter das natürlich
trotzdem besser wissen wollte, erklärte der Kanzler nochmals: „Der Gedanke eines
dentschen Oberbefehls beruht auf einer von außen her auf amtlichen Wege
an uns gelangten Anregung." Mehr könne er nicht sagen, weil es sich um
einen Gedankenaustausch zwischen Souveränen handle. Damit müssen für jeden
loyalen Politiker in Deutschland die Akten geschlossen sein über diese Frage,
die ja von vornherein nur öffentlich aufgebauscht werden konnte von Leuten,
in denen die Sucht zu nörgeln allen patriotischen Takt dein Auslande gegen¬
über vernichtet hat.

Die derselben vaterlandslosen Gesinnung entspringende Verdächtigung, daß
der Kaiser in seiner Bremerhavner Rede den ausziehenden Truppen den
Befehl zum erbarmungslosen niedermachen aller Gefangnen gegeben habe, hat
der Kriegsminister widerlegt, indem er auf die darüber geltenden gesetzlichen
Vorschriften und die auf sie hin erlassene Kaiserliche Verordnung vom 28. De¬
zember 1899 „über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Aus¬
länder und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangne" hin¬
wies, wonach die kommandierender Offiziere, wie das gar nicht anders möglich
ist, ermächtigt sind, „Ausländer, die im Kriege verräterischer Handlungen gegen
die deutscheu oder verbündeten Truppen sich schuldig macheu, wenn sie auf
frischer That betroffen werden, ohne vorhergehendes gerichtliches Verfahren
nach dem bisherigen Kriegsgebrauch zu behandeln," d. h. niederschießen zu
lassen. Mit großem Ernst machte General von Goßler dabei die Vcröffentlicher
der sogenannten „Hunnenbriefe," in denen Soldaten der in China stehenden
Truppen privatim vor ihren Angehörigen mit allerlei Greuelthaten renommieren,
die sie berufsmäßig vollführten, darauf aufmerksam, daß solche Thaten nach dem
Militärstrafgesetzbuch mit dem Tode bestraft würden, also den Renommisten
übel bekommen könnten. Die sensationelle Ausbeutung solcher Briefe ist eine
Schmach für die deutsche Presse. Wo in einzelnen Füllen ihr Inhalt ans
Wahrheit beruhen sollte, dürfen wir nach den bündigen Erklärungen der Re-
gierungsvertreter auf strenge Bestrafung rechnen.

Worauf unsre chinesische Politik im allgemeinen abzielt und nur abzielen
kann, hat der Kanzler in folgenden Sätzen klar dargestellt: „Wir haben gar
keinen Grund, ohne Not über die Linien hinauszugehn, die wir uns im deutsch-
chinesischeu Vertrag vom Frühjahr 1898 (Kiautschou) freiwillig gezogen haben.
Wir haben keinen Grund, ex adruxto Gelnetserweiterungen anzustreben, die
unsre finanziellen, militärischen und politischen Kräfte unverhältnismäßig in


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[0465] Reichskanzler und Reichstag Nicht weniger vollständig ist den Lügen der Boden entzogen worden, die über die Oberbefehlshaberfrnge in Umlauf gesetzt worden waren und geflissent¬ lich erhalten wurden. Ausdrücklich erklärte der Kanzler, daß das Deutsche Reich sehr gern bereit gewesen wäre, seine Truppen jedem Oberbefehl unterzuordnen, über den sich die andern Mächte geeinigt hätten. Er habe das namentlich nach Nußland hin zu erkennen gegeben. Aber gerade der Kaiser von Ru߬ land sei es gewesen, „der vor allen andern Staatsoberhäuptern den Oberbefehl in unsre Hand legte." Und als am 20. November Eugen Richter das natürlich trotzdem besser wissen wollte, erklärte der Kanzler nochmals: „Der Gedanke eines dentschen Oberbefehls beruht auf einer von außen her auf amtlichen Wege an uns gelangten Anregung." Mehr könne er nicht sagen, weil es sich um einen Gedankenaustausch zwischen Souveränen handle. Damit müssen für jeden loyalen Politiker in Deutschland die Akten geschlossen sein über diese Frage, die ja von vornherein nur öffentlich aufgebauscht werden konnte von Leuten, in denen die Sucht zu nörgeln allen patriotischen Takt dein Auslande gegen¬ über vernichtet hat. Die derselben vaterlandslosen Gesinnung entspringende Verdächtigung, daß der Kaiser in seiner Bremerhavner Rede den ausziehenden Truppen den Befehl zum erbarmungslosen niedermachen aller Gefangnen gegeben habe, hat der Kriegsminister widerlegt, indem er auf die darüber geltenden gesetzlichen Vorschriften und die auf sie hin erlassene Kaiserliche Verordnung vom 28. De¬ zember 1899 „über das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Aus¬ länder und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangne" hin¬ wies, wonach die kommandierender Offiziere, wie das gar nicht anders möglich ist, ermächtigt sind, „Ausländer, die im Kriege verräterischer Handlungen gegen die deutscheu oder verbündeten Truppen sich schuldig macheu, wenn sie auf frischer That betroffen werden, ohne vorhergehendes gerichtliches Verfahren nach dem bisherigen Kriegsgebrauch zu behandeln," d. h. niederschießen zu lassen. Mit großem Ernst machte General von Goßler dabei die Vcröffentlicher der sogenannten „Hunnenbriefe," in denen Soldaten der in China stehenden Truppen privatim vor ihren Angehörigen mit allerlei Greuelthaten renommieren, die sie berufsmäßig vollführten, darauf aufmerksam, daß solche Thaten nach dem Militärstrafgesetzbuch mit dem Tode bestraft würden, also den Renommisten übel bekommen könnten. Die sensationelle Ausbeutung solcher Briefe ist eine Schmach für die deutsche Presse. Wo in einzelnen Füllen ihr Inhalt ans Wahrheit beruhen sollte, dürfen wir nach den bündigen Erklärungen der Re- gierungsvertreter auf strenge Bestrafung rechnen. Worauf unsre chinesische Politik im allgemeinen abzielt und nur abzielen kann, hat der Kanzler in folgenden Sätzen klar dargestellt: „Wir haben gar keinen Grund, ohne Not über die Linien hinauszugehn, die wir uns im deutsch- chinesischeu Vertrag vom Frühjahr 1898 (Kiautschou) freiwillig gezogen haben. Wir haben keinen Grund, ex adruxto Gelnetserweiterungen anzustreben, die unsre finanziellen, militärischen und politischen Kräfte unverhältnismäßig in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/465>, abgerufen am 16.06.2024.