Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien Vermögen mehr als 2 Milliarden Lire, die Zinsen etwa 90 Millionen jährlich. Neben diese in der Kirche und in der von ihr gepredigten Barmherzigkeits¬ Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien Vermögen mehr als 2 Milliarden Lire, die Zinsen etwa 90 Millionen jährlich. Neben diese in der Kirche und in der von ihr gepredigten Barmherzigkeits¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0661" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291738"/> <fw type="header" place="top"> Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2571" prev="#ID_2570"> Vermögen mehr als 2 Milliarden Lire, die Zinsen etwa 90 Millionen jährlich.<lb/> Und doch werden sie noch beständig vermehrt. Erst vor wenig Jahren z. B.<lb/> ist in Rom die Savra tainiZlik entstanden, deren Namen man oft dort liest;<lb/> sie versorgt verwahrloste Kinder und Waisen, verfügt schon über ein Jahres¬<lb/> einkommen von mehr als 100000 Lire, das der Hauptsache nach aus der Ver¬<lb/> wertung aller möglichen Abfälle entspringt, und besitzt vier Waisenhäuser in<lb/> Rom, Albano, Velletri und Frosinone. Die Knaben und Mädchen, jene in<lb/> einem kurzen ärmellosen Militärmantel, an der Mütze das 8. sind bei ihren<lb/> Ausflügen überall gern gesehen. Als ich einmal eines Sonntags in Genzano<lb/> in einem Kaffeehause an der Piazza eingeregnet war, kam auch ein Trupp<lb/> von etwa dreißig dieser Knaben aus Albano triefend an. Sofort bestellte ein<lb/> Gast ein paar Liter Wein für sie, den der Führer sorglich verteilte, und die<lb/> allgemeine Teilnahme wandte sich der kleinen, übrigens sehr artigen Gesell¬<lb/> schaft zu. Eine ähnliche Stiftung für Waisen und Kinder von eingekerkerten Ver¬<lb/> brechern (iueÄroerM) ist in den achtziger Jahren im Anschluß an das viel¬<lb/> besuchte Heiligtum der wunderthätigen Maria von Valle ti Pompeji (eine<lb/> halbe Stunde von der alten Stadt) unter geistlicher Leitung entstanden. Sie<lb/> giebt in einer eignen Druckerei und Buchbinderei Andachtsbücher, ein Lalsuclario<lb/> Ast 8!iriwiu-lo all ?omvsi und sogar eine besondre Zeitschrift heraus, hat mit<lb/> ihren Einkünften auch die Zahl ihrer Pfleglinge von Jahr zu Jahr gesteigert<lb/> und besitzt einen ganzen, großartigen Gebäudekomplex mit Werkstätten, Turn-<lb/> und Exerzierplätzen. Diesen Overs xw sind verwandt die Brüderschaften (von-<lb/> kiÄtgrnitatö), über 18000, vor allem für Krankenpflege und Armenbegräbnisse.</p><lb/> <p xml:id="ID_2572" next="#ID_2573"> Neben diese in der Kirche und in der von ihr gepredigten Barmherzigkeits¬<lb/> pflege wurzelnden Einrichtungen sind nun zunächst zahlreiche moderne Finanz¬<lb/> institute getreten: die Sparkassen (easss al risparmio, 1895 mit 1343 Mil¬<lb/> lionen Lire Einlagen auf 1588424 Bücher), zuweilen große, kapitalkräftige,<lb/> weithin wirksame Unternehmungen, seit 1874 auch die Postsparkassen, das<lb/> Werk des damaligen Finanzministers Quintino Sella, bei denen Ende 1899<lb/> 3664618 Einleger zusammen 621 Millionen Lire gut hatten, dann die<lb/> Volksbanken (danovk xopolsii) nach Schulze - Delitzsch und die nach Raiff-<lb/> eisen für das platte Land eingerichteten vasss rurali. Noch viel mehr<lb/> sozialpolitischen Charakter tragen die genossenschaftlichen Unternehmungen,<lb/> die zahllosen Soeie-tZ. al mutuo 8ooe0r80 für gegenseitige Unterstützung der<lb/> Mitglieder (nach dem Vorbilde der englischen trisn<ZI^ sooiötiss), die häufig<lb/> auch Konsumvereine gegründet haben, und die Produktivgenossenschaften<lb/> OooistZ, vooxsrativö) von Berufsgenossen. Diese vereinigen vor allem die Bau¬<lb/> handwerker, aber auch zahlreiche andre Gewerbtreibende zu großen Organi¬<lb/> sationen, die 1895 in Rom ihren ersten Kongreß abgehalten haben, und<lb/> haben sich neuerdings als voopörativs al brÄvoiMti auch auf die städtischen wie<lb/> die ländlichen Handarbeiter ausgedehnt. Die Ilnionv vooperadivg, von Mailand<lb/> hat soeben eine große Ausstellung italienischer Bodencrzeugnisse in Berlin<lb/> eröffnet. Der Staat begünstigt diese Vereine durch bessere Bedingungen bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0661]
Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien
Vermögen mehr als 2 Milliarden Lire, die Zinsen etwa 90 Millionen jährlich.
Und doch werden sie noch beständig vermehrt. Erst vor wenig Jahren z. B.
ist in Rom die Savra tainiZlik entstanden, deren Namen man oft dort liest;
sie versorgt verwahrloste Kinder und Waisen, verfügt schon über ein Jahres¬
einkommen von mehr als 100000 Lire, das der Hauptsache nach aus der Ver¬
wertung aller möglichen Abfälle entspringt, und besitzt vier Waisenhäuser in
Rom, Albano, Velletri und Frosinone. Die Knaben und Mädchen, jene in
einem kurzen ärmellosen Militärmantel, an der Mütze das 8. sind bei ihren
Ausflügen überall gern gesehen. Als ich einmal eines Sonntags in Genzano
in einem Kaffeehause an der Piazza eingeregnet war, kam auch ein Trupp
von etwa dreißig dieser Knaben aus Albano triefend an. Sofort bestellte ein
Gast ein paar Liter Wein für sie, den der Führer sorglich verteilte, und die
allgemeine Teilnahme wandte sich der kleinen, übrigens sehr artigen Gesell¬
schaft zu. Eine ähnliche Stiftung für Waisen und Kinder von eingekerkerten Ver¬
brechern (iueÄroerM) ist in den achtziger Jahren im Anschluß an das viel¬
besuchte Heiligtum der wunderthätigen Maria von Valle ti Pompeji (eine
halbe Stunde von der alten Stadt) unter geistlicher Leitung entstanden. Sie
giebt in einer eignen Druckerei und Buchbinderei Andachtsbücher, ein Lalsuclario
Ast 8!iriwiu-lo all ?omvsi und sogar eine besondre Zeitschrift heraus, hat mit
ihren Einkünften auch die Zahl ihrer Pfleglinge von Jahr zu Jahr gesteigert
und besitzt einen ganzen, großartigen Gebäudekomplex mit Werkstätten, Turn-
und Exerzierplätzen. Diesen Overs xw sind verwandt die Brüderschaften (von-
kiÄtgrnitatö), über 18000, vor allem für Krankenpflege und Armenbegräbnisse.
Neben diese in der Kirche und in der von ihr gepredigten Barmherzigkeits¬
pflege wurzelnden Einrichtungen sind nun zunächst zahlreiche moderne Finanz¬
institute getreten: die Sparkassen (easss al risparmio, 1895 mit 1343 Mil¬
lionen Lire Einlagen auf 1588424 Bücher), zuweilen große, kapitalkräftige,
weithin wirksame Unternehmungen, seit 1874 auch die Postsparkassen, das
Werk des damaligen Finanzministers Quintino Sella, bei denen Ende 1899
3664618 Einleger zusammen 621 Millionen Lire gut hatten, dann die
Volksbanken (danovk xopolsii) nach Schulze - Delitzsch und die nach Raiff-
eisen für das platte Land eingerichteten vasss rurali. Noch viel mehr
sozialpolitischen Charakter tragen die genossenschaftlichen Unternehmungen,
die zahllosen Soeie-tZ. al mutuo 8ooe0r80 für gegenseitige Unterstützung der
Mitglieder (nach dem Vorbilde der englischen trisn<ZI^ sooiötiss), die häufig
auch Konsumvereine gegründet haben, und die Produktivgenossenschaften
OooistZ, vooxsrativö) von Berufsgenossen. Diese vereinigen vor allem die Bau¬
handwerker, aber auch zahlreiche andre Gewerbtreibende zu großen Organi¬
sationen, die 1895 in Rom ihren ersten Kongreß abgehalten haben, und
haben sich neuerdings als voopörativs al brÄvoiMti auch auf die städtischen wie
die ländlichen Handarbeiter ausgedehnt. Die Ilnionv vooperadivg, von Mailand
hat soeben eine große Ausstellung italienischer Bodencrzeugnisse in Berlin
eröffnet. Der Staat begünstigt diese Vereine durch bessere Bedingungen bei
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