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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Probe auf die nordamerikanische Nleltxolitik

der sämtlichen amerikanischen Staaten, natürlich unter der Vorherrschaft der
Union, Stimmung zu machen.

Das alles bewegte sich noch in den Schranken der Monrocdoktrin, Zuerst
wurden diese überschritten, als die Union 1893 die Königin der Hawaiinseln
entthronen und dort am 4. Juli 1894 die Republik proklamieren ließ; immer¬
hin erschien das noch als eine Folgerung aus dem Plane des Nicaragna-
kanals, der es der Union wünschenswert machen mußte, einen Stützpunkt
mitten in dem mit der Vollendung dieser neuen Wasserstraße an Wichtigkeit
ungeheuer gewinnenden Großen Ozean zu haben, und auch die Zähigkeit, mit
der sie an ihren Ansprüchen auf die Samoainseln festhielt, hing mit solchen
Aussichten zusammen. Aber etwas völlig neues war es, als sie im April 1898 mit
Spanien den Kampf nicht nur um Kuba und Portorico, die schon früher das Ziel
von Flibustierfahrten gewesen waren, sondern auch um die Philippinen begann
und deu schwachen Gegner im Frieden von Paris vom 20. Dezember 1898 zum
Verzicht auf diese letzten Reste des alten weltumspannenden Kolonialreichs
Karls V. und Philipps II. nötigte. Eine weitere Folge dieses leichten Siegs
waren die förmliche Einverleibung von Hawai am 12. August 1899 und die Er¬
werbung der Samoainsel Tutuila durch deu Vertrag mit Deutschland und England
am 14. November desselben Jahres. Als Herrin der altspanischen Antillen be¬
herrscht die Union seitdem das amerikanische Mittelmeer und die Zugangsstraßen
nach Mittelamerika, im Besitz der Philippinen, Hawais und Tutuilns behauptet
sie eine gebietende Stellung im Großen Ozean und unweit der Ostküste des
asiatischen Festlands; sie ist jetzt der Grenznachbar nicht nur schwacher ameri¬
kanischer Republiken und des englischen Kanadas, das sich das Mutterland
nur durch bestündige Nachgiebigkeit erhalten kann, sondern auch Japans, Chinas,
Deutschlands und Frankreichs. Die bequeme Stellung eines Staatswesens,
das bisher kaum Nachbar" in politischem Sinne hatte und deshalb anch keine
große auswärtige Politik zu treiben brauchte, ist aufgegeben, und die Union
beansprucht die Geltung einer Weltmacht.

Das sieht alles sehr glänzend ans, aber thatsächlich steht eS ganz anders.
Kleine Jnsellünder, wie die Südseeinseln und selbst Portorico, kann die Union
ohne besondre Anstrengungen beherrsche", aber in so ausgebreiteten und fremd¬
artigen Gebieten, wie Kuba und vollends die Philippinen sind, erwachsen ihr
die allergrößten Schwierigkeiten. Sie als Staaten in die Union aufzunehmen,
auch wenn die Philippiner schon unterworfen wären, wozu trotz eines nord¬
amerikanischen Okkupationshcers von 60000 Mann augenblicklich nicht die
allergeringste Aussicht ist, verbietet sich schlechterdings. Haben die Jankecs
schon mit den rebellischen Südstaaten trotz der Vorherrschaft des angelsächsische"
Elements die allergrößte Not gehabt, und ist ihnen dort noch heute die "be¬
freite" Negerbevölkerung eine Quelle der ärgsten Verlegenheiten, so würde es
vollends ganz unmöglich sein, die kubanischen Kreolen, Mulatten und Neger
oder gar die philippinischen Tagalen als vollberechtigte Bürger in die Union
aufzunehmen, Menschen, die seit Jahrhunderten unter einer despotischen Fremd-


Die Probe auf die nordamerikanische Nleltxolitik

der sämtlichen amerikanischen Staaten, natürlich unter der Vorherrschaft der
Union, Stimmung zu machen.

Das alles bewegte sich noch in den Schranken der Monrocdoktrin, Zuerst
wurden diese überschritten, als die Union 1893 die Königin der Hawaiinseln
entthronen und dort am 4. Juli 1894 die Republik proklamieren ließ; immer¬
hin erschien das noch als eine Folgerung aus dem Plane des Nicaragna-
kanals, der es der Union wünschenswert machen mußte, einen Stützpunkt
mitten in dem mit der Vollendung dieser neuen Wasserstraße an Wichtigkeit
ungeheuer gewinnenden Großen Ozean zu haben, und auch die Zähigkeit, mit
der sie an ihren Ansprüchen auf die Samoainseln festhielt, hing mit solchen
Aussichten zusammen. Aber etwas völlig neues war es, als sie im April 1898 mit
Spanien den Kampf nicht nur um Kuba und Portorico, die schon früher das Ziel
von Flibustierfahrten gewesen waren, sondern auch um die Philippinen begann
und deu schwachen Gegner im Frieden von Paris vom 20. Dezember 1898 zum
Verzicht auf diese letzten Reste des alten weltumspannenden Kolonialreichs
Karls V. und Philipps II. nötigte. Eine weitere Folge dieses leichten Siegs
waren die förmliche Einverleibung von Hawai am 12. August 1899 und die Er¬
werbung der Samoainsel Tutuila durch deu Vertrag mit Deutschland und England
am 14. November desselben Jahres. Als Herrin der altspanischen Antillen be¬
herrscht die Union seitdem das amerikanische Mittelmeer und die Zugangsstraßen
nach Mittelamerika, im Besitz der Philippinen, Hawais und Tutuilns behauptet
sie eine gebietende Stellung im Großen Ozean und unweit der Ostküste des
asiatischen Festlands; sie ist jetzt der Grenznachbar nicht nur schwacher ameri¬
kanischer Republiken und des englischen Kanadas, das sich das Mutterland
nur durch bestündige Nachgiebigkeit erhalten kann, sondern auch Japans, Chinas,
Deutschlands und Frankreichs. Die bequeme Stellung eines Staatswesens,
das bisher kaum Nachbar« in politischem Sinne hatte und deshalb anch keine
große auswärtige Politik zu treiben brauchte, ist aufgegeben, und die Union
beansprucht die Geltung einer Weltmacht.

Das sieht alles sehr glänzend ans, aber thatsächlich steht eS ganz anders.
Kleine Jnsellünder, wie die Südseeinseln und selbst Portorico, kann die Union
ohne besondre Anstrengungen beherrsche», aber in so ausgebreiteten und fremd¬
artigen Gebieten, wie Kuba und vollends die Philippinen sind, erwachsen ihr
die allergrößten Schwierigkeiten. Sie als Staaten in die Union aufzunehmen,
auch wenn die Philippiner schon unterworfen wären, wozu trotz eines nord¬
amerikanischen Okkupationshcers von 60000 Mann augenblicklich nicht die
allergeringste Aussicht ist, verbietet sich schlechterdings. Haben die Jankecs
schon mit den rebellischen Südstaaten trotz der Vorherrschaft des angelsächsische»
Elements die allergrößte Not gehabt, und ist ihnen dort noch heute die „be¬
freite" Negerbevölkerung eine Quelle der ärgsten Verlegenheiten, so würde es
vollends ganz unmöglich sein, die kubanischen Kreolen, Mulatten und Neger
oder gar die philippinischen Tagalen als vollberechtigte Bürger in die Union
aufzunehmen, Menschen, die seit Jahrhunderten unter einer despotischen Fremd-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/72>, abgerufen am 16.06.2024.