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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Probe auf die nordamerikanische Iveltxolitik

für den Krieg mit geworlmcu Freiwilligein Denn in der That, die für ein großes
stehendes Heer unentbehrlichen Bedingungen: eine von den politischen Schwan¬
kungen unabhängige Oberleitung, die straffe Disziplin und der Korpsgeist von
Berufsoffizieren vertragen sich nicht mit der Verfassung und dem Geiste dieser
Demokratie; ja eine große Armee könnte unter der Führung eines ehrgeizigen,
populären Generals, namentlich eines solchen, der etwa auf Kuba oder auf deu
Philippinen jahrelang als Pascha gewirtschaftet hätte, was die harten Jankees
sehr wohl können, unter Umstünden eine Gefahr für die Verfassung selber
werden. So fehlt der Union auch heute noch eines der wichtigsten Rüstzeuge
für die Weltpolitik, in die sie doch eingetreten ist. Aber auch ein andres fehlt
ihr, die feste, stetige, sachkundige Verwaltung ihrer auswärtigen Angelegen¬
heiten. Eine Bundesgewalt, die aller vier Jahre dein unberechenbaren Spiele
der Volksabstimmung, praktisch dem rücksichtslosen Kampfe kapitalistischer Cliquen
um die Macht ausgesetzt ist, ein Beamtentum, das bei jeder Präsidentenwahl
wechselt, seine Ämter als Beute des Sieges der Partei betrachtet und die sitt¬
lichen Begriffe der Amtspflicht und Amtsehre kaum kennt, die können keine
angestrengte große Politik führen, und am wenigsten eine Weltpolitik.

Die Probe auf das Exempel füllt denn auch vor den Augen der ganzen Welt
herzlich schlecht, ja beschämend aus. Der Sieg im spanische" Kriege war natürlich
keine, denn hier hatte die Union nur die verlotterte Wehrkraft eines schwachen
Feindes allein vor sich, keine ebenbürtige Macht. Daß sie mit den Philippiuos
nicht fertig wird, ist ihr freilich kaum hoch anzurechnen, denn an dieser Auf¬
gabe würden wahrscheinlich auch andre Mächte scheitern. Aber in China!
Hier trat sie neben den andern Großmächten mit dem Anspruch auf Gleich¬
berechtigung auf, hier hieß es: Uio linocws, nie.sg.1eg.! und siehe dn, die Union
versteht nicht zu springen! Schon von Anfang ein nahmen ihre Befehlshaber
eine merkwürdig unsichre Haltung ein, sie beteiligten sich nicht an der Beschießung
der Takuforts; die Kämpfe nur Tientsin und den Marsch auf Peking machten
sie noch mit, aber jetzt ist aus Washington die Weisung eingetroffen, die
Truppen zurückzuziehn, und die Union leitet Friedensverhandlungen mit einem
treulosen, brutalen und hochmütigen Gegner ein, der diese Trennung Amerikas
von seinen "Bundesgenossen" mit Hohn aufnimmt und dadurch in seinem Trotze
nur bestärkt wird.

Das ist einfach ganz jämmerlich, aber aus den Verhältnissen und der Lage
der großen Republik leider erklärlich. Die Präsidentenwahl, die dem ganzen
"Imperialismus" ein Ende machen könnte, steht vor der Thür, und die
Truppen werden auf den Philippinen gebraucht, der innere Parteikampf be¬
stimmt also unbedingt mich die auswärtige Politik, und die gegenwärtige Wehr¬
kraft der Union reicht für ihre neue Weltstellung nicht aus. Geht das so fort,
dann liefert sie den Beweis, daß sie trotz ihres ungeheuern Lündernmfnngs,
trotz ihres Reichtums und ihrer Volkszahl keine Großmacht ist, weil ihre
politischen und militärischen Kräfte für eine solche Stellung nicht organisiert
sind. Soll diese aber behauptet werden, dann erhebt sich die Frage, ob sich


Die Probe auf die nordamerikanische Iveltxolitik

für den Krieg mit geworlmcu Freiwilligein Denn in der That, die für ein großes
stehendes Heer unentbehrlichen Bedingungen: eine von den politischen Schwan¬
kungen unabhängige Oberleitung, die straffe Disziplin und der Korpsgeist von
Berufsoffizieren vertragen sich nicht mit der Verfassung und dem Geiste dieser
Demokratie; ja eine große Armee könnte unter der Führung eines ehrgeizigen,
populären Generals, namentlich eines solchen, der etwa auf Kuba oder auf deu
Philippinen jahrelang als Pascha gewirtschaftet hätte, was die harten Jankees
sehr wohl können, unter Umstünden eine Gefahr für die Verfassung selber
werden. So fehlt der Union auch heute noch eines der wichtigsten Rüstzeuge
für die Weltpolitik, in die sie doch eingetreten ist. Aber auch ein andres fehlt
ihr, die feste, stetige, sachkundige Verwaltung ihrer auswärtigen Angelegen¬
heiten. Eine Bundesgewalt, die aller vier Jahre dein unberechenbaren Spiele
der Volksabstimmung, praktisch dem rücksichtslosen Kampfe kapitalistischer Cliquen
um die Macht ausgesetzt ist, ein Beamtentum, das bei jeder Präsidentenwahl
wechselt, seine Ämter als Beute des Sieges der Partei betrachtet und die sitt¬
lichen Begriffe der Amtspflicht und Amtsehre kaum kennt, die können keine
angestrengte große Politik führen, und am wenigsten eine Weltpolitik.

Die Probe auf das Exempel füllt denn auch vor den Augen der ganzen Welt
herzlich schlecht, ja beschämend aus. Der Sieg im spanische» Kriege war natürlich
keine, denn hier hatte die Union nur die verlotterte Wehrkraft eines schwachen
Feindes allein vor sich, keine ebenbürtige Macht. Daß sie mit den Philippiuos
nicht fertig wird, ist ihr freilich kaum hoch anzurechnen, denn an dieser Auf¬
gabe würden wahrscheinlich auch andre Mächte scheitern. Aber in China!
Hier trat sie neben den andern Großmächten mit dem Anspruch auf Gleich¬
berechtigung auf, hier hieß es: Uio linocws, nie.sg.1eg.! und siehe dn, die Union
versteht nicht zu springen! Schon von Anfang ein nahmen ihre Befehlshaber
eine merkwürdig unsichre Haltung ein, sie beteiligten sich nicht an der Beschießung
der Takuforts; die Kämpfe nur Tientsin und den Marsch auf Peking machten
sie noch mit, aber jetzt ist aus Washington die Weisung eingetroffen, die
Truppen zurückzuziehn, und die Union leitet Friedensverhandlungen mit einem
treulosen, brutalen und hochmütigen Gegner ein, der diese Trennung Amerikas
von seinen „Bundesgenossen" mit Hohn aufnimmt und dadurch in seinem Trotze
nur bestärkt wird.

Das ist einfach ganz jämmerlich, aber aus den Verhältnissen und der Lage
der großen Republik leider erklärlich. Die Präsidentenwahl, die dem ganzen
„Imperialismus" ein Ende machen könnte, steht vor der Thür, und die
Truppen werden auf den Philippinen gebraucht, der innere Parteikampf be¬
stimmt also unbedingt mich die auswärtige Politik, und die gegenwärtige Wehr¬
kraft der Union reicht für ihre neue Weltstellung nicht aus. Geht das so fort,
dann liefert sie den Beweis, daß sie trotz ihres ungeheuern Lündernmfnngs,
trotz ihres Reichtums und ihrer Volkszahl keine Großmacht ist, weil ihre
politischen und militärischen Kräfte für eine solche Stellung nicht organisiert
sind. Soll diese aber behauptet werden, dann erhebt sich die Frage, ob sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/74>, abgerufen am 16.06.2024.