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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Schulsircit

Wenigstens, nachdem sie 1873 schon die erste Gelegenheit dazu verabsäumt
hatte, zu dem Entschlüsse lUifrasfen konnte, das Polnische auch als Unterrichts¬
sprache im Religionsunterrichte zu beseitigen und damit ganz aus der Schule
zu entfernen, sondern wieder bei der halben Maßregel stehn blieb. In dieser
Zeit, wo in Posen die Ansiedlungskommission und ein deutscher Erzbischof ein¬
gesetzt wurden, wo das Gesetz vom 15. Juli 1886 über die Dienstverhältnisse
und die Anstellung der Lehrer und Lehrerinnen an den Volksschulen der
Provinzen Westpreußen und Posen den Regierungen die Möglichkeit gab, sich
der unzuverlässigen polnischen Lehrer zu entledigen und an ihre Stelle deutsche
Lehrer aus den westlichen Provinzen zu berufe", wo zur Förderung des deutscheu
Volks- und Mädchenschulwesens in den genannten Provinzen Summen von
nie dagewesener Höhe dem Minister zur Verfügung gestellt und mit der Er¬
richtung neuer deutscher Schulen und der Ausgestaltung des Mädchenschul-
wesens zur Förderung deutscher Sitte und deutschen Wesens nach großem Plane
vorgegangen wurde -- in dieser Zeit hätte es in der That nicht allzuviel aus¬
gemacht, wenn die Staatsregierung der polnischen Sprache die Thür zur Volks¬
schule ganz und für immer verschlossen Hütte. Das Entrüstungsgeschrei wäre
darum nicht schlimmer gewesen; man hätte poluischerseits nicht nur für den
polnischen Sprachunterricht, sondern auch für den polnischen Religionsunterricht
auf privatem. Wege zu sorgen unternommen, die Sache wäre eine Zeit laug
langsam vorwärts gegangen, Hütte daun eine rückläufige Bewegung genommen
und wäre, wenn nicht Ereignisse auf dem Gebiete der hohen Politik die pol¬
nische Frage neu angefacht Hütten, schließlich eingeschlafen.

Aber die preußische Staatsregierung fand zu einer ganzen und ent¬
schiednen Maßregel keinen Mut. Sie ließ dem polnischen Pinscher, dein sie
den Schwanz wiederholt gekürzt hatte, einen Stummel stehn mit dem Vor¬
behalt, ihn allmählich ganz abzuschneiden, wenn er nicht von selber abfallen
sollte. Man knüpfte nämlich an die Beseitigung des polnischen Sprachunter¬
richts aus dein Lehrplane der Volksschule und des Lehrerseminars die theo¬
retisch sehr richtige Forderung, daß allmählich Lehrern und Schülern die
Kenntnis des Polnischen abhanden kommen würde, die zur Erteilung und
Entgegennahme des Religionsunterrichts in dieser Sprache erforderlich ist, und
gab sich der Täuschung hin, daß dann die polnische Sprache als Unterrichts¬
sprache ganz von selber fallen würde. Aber in der Praxis erwies sich diese
Rechnung als falsch. Die Beibehaltung der polnischen Unterrichtssprache im
Religionsunterrichte wurde im Gegenteil die Thür, durch die das Polnische
auch als Unterrichtsgegenstand wieder seinen Einzug in die Schule halten sollte.
Die Regierung selber räumte ihm diese Stellung zunächst im Seminar ein,
allerdings mit der Beschnittkuug, daß nur die Seminaristen deutscher Zunge
polnisch lernen sollten. Man hatte nämlich, teils um die katholischen Semi¬
nare, die nach der Erschwerung der Aufnahmeprüfung durch strengere Anforde¬
rungen an die Kenntnis der deutschen Sprache nicht mehr genügend mit An¬
wärtern aus der Provinz besetzt werden konnte", zu füllen, teils um dem


Der Posener Schulsircit

Wenigstens, nachdem sie 1873 schon die erste Gelegenheit dazu verabsäumt
hatte, zu dem Entschlüsse lUifrasfen konnte, das Polnische auch als Unterrichts¬
sprache im Religionsunterrichte zu beseitigen und damit ganz aus der Schule
zu entfernen, sondern wieder bei der halben Maßregel stehn blieb. In dieser
Zeit, wo in Posen die Ansiedlungskommission und ein deutscher Erzbischof ein¬
gesetzt wurden, wo das Gesetz vom 15. Juli 1886 über die Dienstverhältnisse
und die Anstellung der Lehrer und Lehrerinnen an den Volksschulen der
Provinzen Westpreußen und Posen den Regierungen die Möglichkeit gab, sich
der unzuverlässigen polnischen Lehrer zu entledigen und an ihre Stelle deutsche
Lehrer aus den westlichen Provinzen zu berufe», wo zur Förderung des deutscheu
Volks- und Mädchenschulwesens in den genannten Provinzen Summen von
nie dagewesener Höhe dem Minister zur Verfügung gestellt und mit der Er¬
richtung neuer deutscher Schulen und der Ausgestaltung des Mädchenschul-
wesens zur Förderung deutscher Sitte und deutschen Wesens nach großem Plane
vorgegangen wurde — in dieser Zeit hätte es in der That nicht allzuviel aus¬
gemacht, wenn die Staatsregierung der polnischen Sprache die Thür zur Volks¬
schule ganz und für immer verschlossen Hütte. Das Entrüstungsgeschrei wäre
darum nicht schlimmer gewesen; man hätte poluischerseits nicht nur für den
polnischen Sprachunterricht, sondern auch für den polnischen Religionsunterricht
auf privatem. Wege zu sorgen unternommen, die Sache wäre eine Zeit laug
langsam vorwärts gegangen, Hütte daun eine rückläufige Bewegung genommen
und wäre, wenn nicht Ereignisse auf dem Gebiete der hohen Politik die pol¬
nische Frage neu angefacht Hütten, schließlich eingeschlafen.

Aber die preußische Staatsregierung fand zu einer ganzen und ent¬
schiednen Maßregel keinen Mut. Sie ließ dem polnischen Pinscher, dein sie
den Schwanz wiederholt gekürzt hatte, einen Stummel stehn mit dem Vor¬
behalt, ihn allmählich ganz abzuschneiden, wenn er nicht von selber abfallen
sollte. Man knüpfte nämlich an die Beseitigung des polnischen Sprachunter¬
richts aus dein Lehrplane der Volksschule und des Lehrerseminars die theo¬
retisch sehr richtige Forderung, daß allmählich Lehrern und Schülern die
Kenntnis des Polnischen abhanden kommen würde, die zur Erteilung und
Entgegennahme des Religionsunterrichts in dieser Sprache erforderlich ist, und
gab sich der Täuschung hin, daß dann die polnische Sprache als Unterrichts¬
sprache ganz von selber fallen würde. Aber in der Praxis erwies sich diese
Rechnung als falsch. Die Beibehaltung der polnischen Unterrichtssprache im
Religionsunterrichte wurde im Gegenteil die Thür, durch die das Polnische
auch als Unterrichtsgegenstand wieder seinen Einzug in die Schule halten sollte.
Die Regierung selber räumte ihm diese Stellung zunächst im Seminar ein,
allerdings mit der Beschnittkuug, daß nur die Seminaristen deutscher Zunge
polnisch lernen sollten. Man hatte nämlich, teils um die katholischen Semi¬
nare, die nach der Erschwerung der Aufnahmeprüfung durch strengere Anforde¬
rungen an die Kenntnis der deutschen Sprache nicht mehr genügend mit An¬
wärtern aus der Provinz besetzt werden konnte», zu füllen, teils um dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/83>, abgerufen am 16.06.2024.