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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der j)os>!ner Zchulstreit

durch den Nachweis dauernder Dienstunfähigkeit ihre Versetzung in den Ruhe¬
stand erlangten oder durch ärztliche Zeugnisse, in denen sie nachwiesen, daß
ihre Frauen an unheilbarem Heimweh litten, die Rückversetzung in die Provinz
Posen durchsetzten. Die Staatsregierung wich zurück. Ans der ganzen Linie
wurde Halt! geblnseu. Während früher mit der in den Oberpräsidialbestim-
mungeu unter gewissen Bedingungen vorgesehenen Einführung der deutschen
Unterrichtssprache im Religionsunterrichte von Fall zu Fall mit Entschiedenheit
vorgegangen worden war, mußte die deutsche Sprache es nun aufgeben, in der
polnischen Schule mehr Terrain zu gewinnen, und froh sein, wenn sie das
erworbne behaupten konnte. Dem polnische" Pinscher fing der Schwanz
wieder an zu wachsen, und dem polnischen Kampfhahn schwoll aufs neue der
Kamin.

Zu Heller Wut aber steigerte sich der Deutschenhaß, als sich die Deutschen
in der Provinz, da sie sich von der Regierung verlassen sahen, ans ihre eigne
Kraft besannen und zur Stärkung des Deutschtums und zur Abwehr der pol¬
nischen Übergriffe den von den Gegnern verächtlich so genannten Hakatistenverein
gründeten. Der polnische Haß kannte nnn keine Grenzen mehr und vergaß
in seiner Wut, seine wahren Ziele zu verbergen. Durch diese gar nicht beab¬
sichtigte Wirkung hat der Hakatistenverein der deutschen Sache vielleicht den
größten Dienst erwiesen. Zahlreiche Ausbrüche des Deutschenhasses öffneten
der Negierung die Augen und lehrten sie, daß von einer Versöhnungspolitik
nimmermehr die Rede sein kann, wenn nicht der gesamte deutsche Kulturbesitz,
den deutscher Fleiß und deutsche Kraft in jahrhundertelanger mühevoller
Arbeit erworben haben, verloren gehn soll, daß die polnische Propaganda nur
auf der Grundlage der völligen Vernichtung des Deutschtums und der unbe-
strittnen Herrschaft des Polentums in Handel und Wandel, Recht und Sitte,
Sprache und Religion ihren Frieden zu machen bereit ist, daß sie nicht eher
ruhen will, als bis alles Land, so weit die polnische Zunge klingt, vom
preußischen Staate losgetrennt, zu einem neuen Königreiche Polen er¬
standen ist.

Erst nachdem unzweideutige Thatsachen diese Endziele der polnischen Be¬
strebungen aufgedeckt haben, entschloß sich die Staatsregierung wieder zu kräf¬
tiger Abwehr, erklangen vom Ministertische des Abgeordnetenhauses Worte der
entschiednen Absage an die polnischen Ansprüche, erging vom Staatsministerium
die Weisung an die Staatsbeamten, die ihnen zur Pflicht machte, überall und
uuter allen Uniständen, auch im Privatleben, die deutsche Fahne hochzuhalten.
Erst jetzt entschloß sich die Negierung, die Maßregeln in der Schulpolitik
wieder aufzunehmen, die auf die Einschränkung und Verdrängung der pol¬
nischen Sprache abzielen, und unter denen die Verfügung der Posener Regie¬
rung über den Religionsunterricht in der Stadt Posen wie das rote Tuch bei
Stierkämpfen gewirkt hat. Ohne das aggressive Vorgehn der Polen hätte die
Regierung nicht daran gedacht, die Stille zu unterbrechen, die in den letzten
Jahren in der Schulpolitik eingetreten war. So still war es auf diesem Ge-


Der j)os>!ner Zchulstreit

durch den Nachweis dauernder Dienstunfähigkeit ihre Versetzung in den Ruhe¬
stand erlangten oder durch ärztliche Zeugnisse, in denen sie nachwiesen, daß
ihre Frauen an unheilbarem Heimweh litten, die Rückversetzung in die Provinz
Posen durchsetzten. Die Staatsregierung wich zurück. Ans der ganzen Linie
wurde Halt! geblnseu. Während früher mit der in den Oberpräsidialbestim-
mungeu unter gewissen Bedingungen vorgesehenen Einführung der deutschen
Unterrichtssprache im Religionsunterrichte von Fall zu Fall mit Entschiedenheit
vorgegangen worden war, mußte die deutsche Sprache es nun aufgeben, in der
polnischen Schule mehr Terrain zu gewinnen, und froh sein, wenn sie das
erworbne behaupten konnte. Dem polnische» Pinscher fing der Schwanz
wieder an zu wachsen, und dem polnischen Kampfhahn schwoll aufs neue der
Kamin.

Zu Heller Wut aber steigerte sich der Deutschenhaß, als sich die Deutschen
in der Provinz, da sie sich von der Regierung verlassen sahen, ans ihre eigne
Kraft besannen und zur Stärkung des Deutschtums und zur Abwehr der pol¬
nischen Übergriffe den von den Gegnern verächtlich so genannten Hakatistenverein
gründeten. Der polnische Haß kannte nnn keine Grenzen mehr und vergaß
in seiner Wut, seine wahren Ziele zu verbergen. Durch diese gar nicht beab¬
sichtigte Wirkung hat der Hakatistenverein der deutschen Sache vielleicht den
größten Dienst erwiesen. Zahlreiche Ausbrüche des Deutschenhasses öffneten
der Negierung die Augen und lehrten sie, daß von einer Versöhnungspolitik
nimmermehr die Rede sein kann, wenn nicht der gesamte deutsche Kulturbesitz,
den deutscher Fleiß und deutsche Kraft in jahrhundertelanger mühevoller
Arbeit erworben haben, verloren gehn soll, daß die polnische Propaganda nur
auf der Grundlage der völligen Vernichtung des Deutschtums und der unbe-
strittnen Herrschaft des Polentums in Handel und Wandel, Recht und Sitte,
Sprache und Religion ihren Frieden zu machen bereit ist, daß sie nicht eher
ruhen will, als bis alles Land, so weit die polnische Zunge klingt, vom
preußischen Staate losgetrennt, zu einem neuen Königreiche Polen er¬
standen ist.

Erst nachdem unzweideutige Thatsachen diese Endziele der polnischen Be¬
strebungen aufgedeckt haben, entschloß sich die Staatsregierung wieder zu kräf¬
tiger Abwehr, erklangen vom Ministertische des Abgeordnetenhauses Worte der
entschiednen Absage an die polnischen Ansprüche, erging vom Staatsministerium
die Weisung an die Staatsbeamten, die ihnen zur Pflicht machte, überall und
uuter allen Uniständen, auch im Privatleben, die deutsche Fahne hochzuhalten.
Erst jetzt entschloß sich die Negierung, die Maßregeln in der Schulpolitik
wieder aufzunehmen, die auf die Einschränkung und Verdrängung der pol¬
nischen Sprache abzielen, und unter denen die Verfügung der Posener Regie¬
rung über den Religionsunterricht in der Stadt Posen wie das rote Tuch bei
Stierkämpfen gewirkt hat. Ohne das aggressive Vorgehn der Polen hätte die
Regierung nicht daran gedacht, die Stille zu unterbrechen, die in den letzten
Jahren in der Schulpolitik eingetreten war. So still war es auf diesem Ge-


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[0085] Der j)os>!ner Zchulstreit durch den Nachweis dauernder Dienstunfähigkeit ihre Versetzung in den Ruhe¬ stand erlangten oder durch ärztliche Zeugnisse, in denen sie nachwiesen, daß ihre Frauen an unheilbarem Heimweh litten, die Rückversetzung in die Provinz Posen durchsetzten. Die Staatsregierung wich zurück. Ans der ganzen Linie wurde Halt! geblnseu. Während früher mit der in den Oberpräsidialbestim- mungeu unter gewissen Bedingungen vorgesehenen Einführung der deutschen Unterrichtssprache im Religionsunterrichte von Fall zu Fall mit Entschiedenheit vorgegangen worden war, mußte die deutsche Sprache es nun aufgeben, in der polnischen Schule mehr Terrain zu gewinnen, und froh sein, wenn sie das erworbne behaupten konnte. Dem polnische» Pinscher fing der Schwanz wieder an zu wachsen, und dem polnischen Kampfhahn schwoll aufs neue der Kamin. Zu Heller Wut aber steigerte sich der Deutschenhaß, als sich die Deutschen in der Provinz, da sie sich von der Regierung verlassen sahen, ans ihre eigne Kraft besannen und zur Stärkung des Deutschtums und zur Abwehr der pol¬ nischen Übergriffe den von den Gegnern verächtlich so genannten Hakatistenverein gründeten. Der polnische Haß kannte nnn keine Grenzen mehr und vergaß in seiner Wut, seine wahren Ziele zu verbergen. Durch diese gar nicht beab¬ sichtigte Wirkung hat der Hakatistenverein der deutschen Sache vielleicht den größten Dienst erwiesen. Zahlreiche Ausbrüche des Deutschenhasses öffneten der Negierung die Augen und lehrten sie, daß von einer Versöhnungspolitik nimmermehr die Rede sein kann, wenn nicht der gesamte deutsche Kulturbesitz, den deutscher Fleiß und deutsche Kraft in jahrhundertelanger mühevoller Arbeit erworben haben, verloren gehn soll, daß die polnische Propaganda nur auf der Grundlage der völligen Vernichtung des Deutschtums und der unbe- strittnen Herrschaft des Polentums in Handel und Wandel, Recht und Sitte, Sprache und Religion ihren Frieden zu machen bereit ist, daß sie nicht eher ruhen will, als bis alles Land, so weit die polnische Zunge klingt, vom preußischen Staate losgetrennt, zu einem neuen Königreiche Polen er¬ standen ist. Erst nachdem unzweideutige Thatsachen diese Endziele der polnischen Be¬ strebungen aufgedeckt haben, entschloß sich die Staatsregierung wieder zu kräf¬ tiger Abwehr, erklangen vom Ministertische des Abgeordnetenhauses Worte der entschiednen Absage an die polnischen Ansprüche, erging vom Staatsministerium die Weisung an die Staatsbeamten, die ihnen zur Pflicht machte, überall und uuter allen Uniständen, auch im Privatleben, die deutsche Fahne hochzuhalten. Erst jetzt entschloß sich die Negierung, die Maßregeln in der Schulpolitik wieder aufzunehmen, die auf die Einschränkung und Verdrängung der pol¬ nischen Sprache abzielen, und unter denen die Verfügung der Posener Regie¬ rung über den Religionsunterricht in der Stadt Posen wie das rote Tuch bei Stierkämpfen gewirkt hat. Ohne das aggressive Vorgehn der Polen hätte die Regierung nicht daran gedacht, die Stille zu unterbrechen, die in den letzten Jahren in der Schulpolitik eingetreten war. So still war es auf diesem Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/85>, abgerufen am 16.06.2024.