Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der posener Schulstreit

ausgesprochner Weise zu den Bestrebungen der Regierung in Gegensatz stellt.
Vom deutschen Standpunkte kann man nur wünschen, daß er möglichst bald
vor diese Entscheidung gestellt werde. Die Staatsregierung hat zwar den
Anspruch der Kirche nie anerkannt, daß die unter Mitwirkung der Kirche vor¬
gebildeten und geprüften Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts noch
einer besondern Erlaubnis der Kirche bedürfen. Aber sie würde, wenn die
Drohung wahr gemacht würde, keinen Lehrer zwingen, gegen sein kirchliches
Gewissen Religionsunterricht zu erteilen, und müßte darauf verzichten, der
Kirche durch die Schule die unschätzbaren Dienste weiter zu leisten, die ihr
durch die religiöse Erziehung der Jugend in der Schule so lange geleistet
worden sind. Der Religionsunterricht in der Schule würde aufhören, und
was an seine Stelle treten würde, könnte diesen Verlust auf keine Weise er¬
setzen. Ohne die Hilfe des Staats, die zu solchem Unternehmen versagt werden
müßte, könnten die Geistlichen weder die Schulkinder vollzählig und regelmäßig
zu ihrem Unterricht zusammenbringen, noch die erforderliche Zeit und die
nötigen Räume dazu finden. Sie wären auf die Kirchen als Unterrichtslokale
und hinsichtlich der Unterrichtszeit auf die Sonntage und freien Nachmittage
angewiesen.

Und wie wollten die Geistlichen mit ihrer eignen Zeit auskommen? Die
Schule giebt den Kindern vier bis sechs Stunden Religionsunterricht in der
Woche. Auch nur für eine Schule das zu leisten, würde dein Pfarrer sehr
schwer werden. Und wenn nun, wie es in der Erzdiözese Gnesen vorkommt,
drei, vier und fünf Schulen zu versorgen sind, wenn die Kinder zur Kirche
meilenweite Wege zurückzulegen haben, da liegt schon die physische Unmöglichkeit
eines regelmäßigen, wirksamen Unterrichts auf der Hand. Überdies wolle man
aber auch nicht übersehen, daß der katholische Geistliche für das Lehrmut prak¬
tisch nicht vorgebildet, daß er im allgemeinen in rein schultechnischer Hinsicht
der Aufgabe nicht gewachsen ist. Viel Freude würde die Kirche an solchem
Religionsunterrichte nicht haben. Die katholischen Kinder sind in der Provinz
Posen nie so gut für die Kirche erzogen worden, wie seit der Zeit, wo sich
der Staat des Unterrichts kraftvoll angenommen und ihn unter geordneter
Aufsicht durch seine Lehrer hat erteilen lassen. Die katholische Kirche würde
selber den Ast absägen, auf dem sie sitzt, wollte sie sich dieser Unterstützung
seitens der Schule durch eine übereilte Maßregelung der Lehrer begeben. Und
wenn der Inhaber des erzbischöflichen Stuhls zu Gnesen nicht den Primas
von Polen über den Erzbischof stellt, wird er sich wohl hüten, einen Schritt
zu thun, der der katholischen Kirche unermeßlichen Schaden zufügen müßte.

Aber, wie gesagt, so weit sind wir noch nicht. Einstweilen hat die Regie¬
rung noch nichts gethan, was zu einem so offnen Ausbruche des Kampfes auch
nur einen Vorwand böte. Die Verfügung, die die katholische Presse in so
hellen Zorn versetzt hat, entbehrt durchaus der großen Bedeutung, die ihr bei¬
gelegt wird. Sie gilt nur für die Schicken der Stadt Posen und hält sich
genau innerhalb der Grenzen, die vom Staate seit siebenundzwanzig Jahren


Der posener Schulstreit

ausgesprochner Weise zu den Bestrebungen der Regierung in Gegensatz stellt.
Vom deutschen Standpunkte kann man nur wünschen, daß er möglichst bald
vor diese Entscheidung gestellt werde. Die Staatsregierung hat zwar den
Anspruch der Kirche nie anerkannt, daß die unter Mitwirkung der Kirche vor¬
gebildeten und geprüften Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts noch
einer besondern Erlaubnis der Kirche bedürfen. Aber sie würde, wenn die
Drohung wahr gemacht würde, keinen Lehrer zwingen, gegen sein kirchliches
Gewissen Religionsunterricht zu erteilen, und müßte darauf verzichten, der
Kirche durch die Schule die unschätzbaren Dienste weiter zu leisten, die ihr
durch die religiöse Erziehung der Jugend in der Schule so lange geleistet
worden sind. Der Religionsunterricht in der Schule würde aufhören, und
was an seine Stelle treten würde, könnte diesen Verlust auf keine Weise er¬
setzen. Ohne die Hilfe des Staats, die zu solchem Unternehmen versagt werden
müßte, könnten die Geistlichen weder die Schulkinder vollzählig und regelmäßig
zu ihrem Unterricht zusammenbringen, noch die erforderliche Zeit und die
nötigen Räume dazu finden. Sie wären auf die Kirchen als Unterrichtslokale
und hinsichtlich der Unterrichtszeit auf die Sonntage und freien Nachmittage
angewiesen.

Und wie wollten die Geistlichen mit ihrer eignen Zeit auskommen? Die
Schule giebt den Kindern vier bis sechs Stunden Religionsunterricht in der
Woche. Auch nur für eine Schule das zu leisten, würde dein Pfarrer sehr
schwer werden. Und wenn nun, wie es in der Erzdiözese Gnesen vorkommt,
drei, vier und fünf Schulen zu versorgen sind, wenn die Kinder zur Kirche
meilenweite Wege zurückzulegen haben, da liegt schon die physische Unmöglichkeit
eines regelmäßigen, wirksamen Unterrichts auf der Hand. Überdies wolle man
aber auch nicht übersehen, daß der katholische Geistliche für das Lehrmut prak¬
tisch nicht vorgebildet, daß er im allgemeinen in rein schultechnischer Hinsicht
der Aufgabe nicht gewachsen ist. Viel Freude würde die Kirche an solchem
Religionsunterrichte nicht haben. Die katholischen Kinder sind in der Provinz
Posen nie so gut für die Kirche erzogen worden, wie seit der Zeit, wo sich
der Staat des Unterrichts kraftvoll angenommen und ihn unter geordneter
Aufsicht durch seine Lehrer hat erteilen lassen. Die katholische Kirche würde
selber den Ast absägen, auf dem sie sitzt, wollte sie sich dieser Unterstützung
seitens der Schule durch eine übereilte Maßregelung der Lehrer begeben. Und
wenn der Inhaber des erzbischöflichen Stuhls zu Gnesen nicht den Primas
von Polen über den Erzbischof stellt, wird er sich wohl hüten, einen Schritt
zu thun, der der katholischen Kirche unermeßlichen Schaden zufügen müßte.

Aber, wie gesagt, so weit sind wir noch nicht. Einstweilen hat die Regie¬
rung noch nichts gethan, was zu einem so offnen Ausbruche des Kampfes auch
nur einen Vorwand böte. Die Verfügung, die die katholische Presse in so
hellen Zorn versetzt hat, entbehrt durchaus der großen Bedeutung, die ihr bei¬
gelegt wird. Sie gilt nur für die Schicken der Stadt Posen und hält sich
genau innerhalb der Grenzen, die vom Staate seit siebenundzwanzig Jahren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291167"/>
            <fw type="header" place="top"> Der posener Schulstreit</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_304" prev="#ID_303"> ausgesprochner Weise zu den Bestrebungen der Regierung in Gegensatz stellt.<lb/>
Vom deutschen Standpunkte kann man nur wünschen, daß er möglichst bald<lb/>
vor diese Entscheidung gestellt werde. Die Staatsregierung hat zwar den<lb/>
Anspruch der Kirche nie anerkannt, daß die unter Mitwirkung der Kirche vor¬<lb/>
gebildeten und geprüften Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts noch<lb/>
einer besondern Erlaubnis der Kirche bedürfen. Aber sie würde, wenn die<lb/>
Drohung wahr gemacht würde, keinen Lehrer zwingen, gegen sein kirchliches<lb/>
Gewissen Religionsunterricht zu erteilen, und müßte darauf verzichten, der<lb/>
Kirche durch die Schule die unschätzbaren Dienste weiter zu leisten, die ihr<lb/>
durch die religiöse Erziehung der Jugend in der Schule so lange geleistet<lb/>
worden sind. Der Religionsunterricht in der Schule würde aufhören, und<lb/>
was an seine Stelle treten würde, könnte diesen Verlust auf keine Weise er¬<lb/>
setzen. Ohne die Hilfe des Staats, die zu solchem Unternehmen versagt werden<lb/>
müßte, könnten die Geistlichen weder die Schulkinder vollzählig und regelmäßig<lb/>
zu ihrem Unterricht zusammenbringen, noch die erforderliche Zeit und die<lb/>
nötigen Räume dazu finden. Sie wären auf die Kirchen als Unterrichtslokale<lb/>
und hinsichtlich der Unterrichtszeit auf die Sonntage und freien Nachmittage<lb/>
angewiesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_305"> Und wie wollten die Geistlichen mit ihrer eignen Zeit auskommen? Die<lb/>
Schule giebt den Kindern vier bis sechs Stunden Religionsunterricht in der<lb/>
Woche. Auch nur für eine Schule das zu leisten, würde dein Pfarrer sehr<lb/>
schwer werden. Und wenn nun, wie es in der Erzdiözese Gnesen vorkommt,<lb/>
drei, vier und fünf Schulen zu versorgen sind, wenn die Kinder zur Kirche<lb/>
meilenweite Wege zurückzulegen haben, da liegt schon die physische Unmöglichkeit<lb/>
eines regelmäßigen, wirksamen Unterrichts auf der Hand. Überdies wolle man<lb/>
aber auch nicht übersehen, daß der katholische Geistliche für das Lehrmut prak¬<lb/>
tisch nicht vorgebildet, daß er im allgemeinen in rein schultechnischer Hinsicht<lb/>
der Aufgabe nicht gewachsen ist. Viel Freude würde die Kirche an solchem<lb/>
Religionsunterrichte nicht haben. Die katholischen Kinder sind in der Provinz<lb/>
Posen nie so gut für die Kirche erzogen worden, wie seit der Zeit, wo sich<lb/>
der Staat des Unterrichts kraftvoll angenommen und ihn unter geordneter<lb/>
Aufsicht durch seine Lehrer hat erteilen lassen. Die katholische Kirche würde<lb/>
selber den Ast absägen, auf dem sie sitzt, wollte sie sich dieser Unterstützung<lb/>
seitens der Schule durch eine übereilte Maßregelung der Lehrer begeben. Und<lb/>
wenn der Inhaber des erzbischöflichen Stuhls zu Gnesen nicht den Primas<lb/>
von Polen über den Erzbischof stellt, wird er sich wohl hüten, einen Schritt<lb/>
zu thun, der der katholischen Kirche unermeßlichen Schaden zufügen müßte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_306" next="#ID_307"> Aber, wie gesagt, so weit sind wir noch nicht. Einstweilen hat die Regie¬<lb/>
rung noch nichts gethan, was zu einem so offnen Ausbruche des Kampfes auch<lb/>
nur einen Vorwand böte. Die Verfügung, die die katholische Presse in so<lb/>
hellen Zorn versetzt hat, entbehrt durchaus der großen Bedeutung, die ihr bei¬<lb/>
gelegt wird. Sie gilt nur für die Schicken der Stadt Posen und hält sich<lb/>
genau innerhalb der Grenzen, die vom Staate seit siebenundzwanzig Jahren</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] Der posener Schulstreit ausgesprochner Weise zu den Bestrebungen der Regierung in Gegensatz stellt. Vom deutschen Standpunkte kann man nur wünschen, daß er möglichst bald vor diese Entscheidung gestellt werde. Die Staatsregierung hat zwar den Anspruch der Kirche nie anerkannt, daß die unter Mitwirkung der Kirche vor¬ gebildeten und geprüften Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts noch einer besondern Erlaubnis der Kirche bedürfen. Aber sie würde, wenn die Drohung wahr gemacht würde, keinen Lehrer zwingen, gegen sein kirchliches Gewissen Religionsunterricht zu erteilen, und müßte darauf verzichten, der Kirche durch die Schule die unschätzbaren Dienste weiter zu leisten, die ihr durch die religiöse Erziehung der Jugend in der Schule so lange geleistet worden sind. Der Religionsunterricht in der Schule würde aufhören, und was an seine Stelle treten würde, könnte diesen Verlust auf keine Weise er¬ setzen. Ohne die Hilfe des Staats, die zu solchem Unternehmen versagt werden müßte, könnten die Geistlichen weder die Schulkinder vollzählig und regelmäßig zu ihrem Unterricht zusammenbringen, noch die erforderliche Zeit und die nötigen Räume dazu finden. Sie wären auf die Kirchen als Unterrichtslokale und hinsichtlich der Unterrichtszeit auf die Sonntage und freien Nachmittage angewiesen. Und wie wollten die Geistlichen mit ihrer eignen Zeit auskommen? Die Schule giebt den Kindern vier bis sechs Stunden Religionsunterricht in der Woche. Auch nur für eine Schule das zu leisten, würde dein Pfarrer sehr schwer werden. Und wenn nun, wie es in der Erzdiözese Gnesen vorkommt, drei, vier und fünf Schulen zu versorgen sind, wenn die Kinder zur Kirche meilenweite Wege zurückzulegen haben, da liegt schon die physische Unmöglichkeit eines regelmäßigen, wirksamen Unterrichts auf der Hand. Überdies wolle man aber auch nicht übersehen, daß der katholische Geistliche für das Lehrmut prak¬ tisch nicht vorgebildet, daß er im allgemeinen in rein schultechnischer Hinsicht der Aufgabe nicht gewachsen ist. Viel Freude würde die Kirche an solchem Religionsunterrichte nicht haben. Die katholischen Kinder sind in der Provinz Posen nie so gut für die Kirche erzogen worden, wie seit der Zeit, wo sich der Staat des Unterrichts kraftvoll angenommen und ihn unter geordneter Aufsicht durch seine Lehrer hat erteilen lassen. Die katholische Kirche würde selber den Ast absägen, auf dem sie sitzt, wollte sie sich dieser Unterstützung seitens der Schule durch eine übereilte Maßregelung der Lehrer begeben. Und wenn der Inhaber des erzbischöflichen Stuhls zu Gnesen nicht den Primas von Polen über den Erzbischof stellt, wird er sich wohl hüten, einen Schritt zu thun, der der katholischen Kirche unermeßlichen Schaden zufügen müßte. Aber, wie gesagt, so weit sind wir noch nicht. Einstweilen hat die Regie¬ rung noch nichts gethan, was zu einem so offnen Ausbruche des Kampfes auch nur einen Vorwand böte. Die Verfügung, die die katholische Presse in so hellen Zorn versetzt hat, entbehrt durchaus der großen Bedeutung, die ihr bei¬ gelegt wird. Sie gilt nur für die Schicken der Stadt Posen und hält sich genau innerhalb der Grenzen, die vom Staate seit siebenundzwanzig Jahren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/90>, abgerufen am 16.06.2024.