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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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gewahre" wir heute, noch die langen, nach Art der Weinberge untermauerten,
durch Treppen verbundnen Terrassen, die einst die hölzernen Rahmen zum
Trocknen der Tuchstücke trugen. Es muß einen seltsamen Anblick gewährt
haben, wenn die Berge rings umher mit farbigen Tüchern wie mit Flaggen¬
guirlanden umkränzt waren. Es war eine Musterkarte im größten Stil, die
den fremden Besucher schon bei seinem Eintritt in die Stadt über die Art und
Bedeutung der Textilindustrie Montjoies belehrte.

Man wird vergebens einen Punkt in der Umgegend suche", der einen
Gesamtüberblick über die Stadt böte. Sie hat sich bei ihrer Ausdehnung deu
Krümmungen des Rurthals und des Laufenbachthals anpassen müssen, die
beide durch vorspringende Felsen eingeengt und um einzelnen Stellen scheinbar
gänzlich abgeschlossen sind. Für die Häuser war wenig Platz vorhanden, sie
scheinen bald an die Bergwand angeklebt zu sein, bald, von kühnen Unterbauten ge¬
stützt, über dein Flusse zu hängen. Stockwerk ist aus Stockwerk getürmt; Treppen,
Brücken und Stege stellen die Verbindung mit der Straße her, die, in den
Felsen gesprengt und gehauen, bald steigt und bald wieder fällt. Gerade die
älteste und interessanteste Hänsergruppe, die in dem zur Aukirche gehörende"
Stadtteile liegt, ist im Jahre 1877 einer Feuersbrunst z"in Opfer gefallen,
aber auch noch heute gilt Montjoie mit Recht für eine wahre Fundgrube
malerischer Architekturmotivc. Hohe Giebel mit altertümlichen Wetterfahnen,
zierliche Türmchen und Erker, reich ornamentierte Thür- und Fensterrahmen,
phantastisch geformte Wasserspeier, das alles sind Einzelheiten, die uns in ver¬
änderter Gestalt immer wieder begegnen. Besonders schön ist das Christoffelsche
Haus mit seinem Wnppenschmuck, doch fehlt es auch sonst nicht an Monu¬
mentalbauten von höchst gediegner Pracht. Fast überall hat sich der alte,
schlicht vornehme Hausrat erhalten, und in jedem bessern Bürgerhause begegnen
wir Möbeln aus der Barock- und der Rokokozeit und namentlich ans der Zeit
Ludwigs XV. In meinem Hotelzimmer fand ich Spiegel, Schrünkchen und
Tische, die jedem Kunstgewerbemuseum zur Zierde gereichen würden. Gute
Kupferstiche der französischen Schulen und englische Farbenstiche verrieten, daß
die frühern Bewohner des Hauses Kunstsinn gehabt und mit der großen Welt
w Verbindung gestanden hatten.

Wie schon angedeutet worden ist, liegt auch in Montjoie der Bahnhof
weit außerhalb der Stadt. Wenn man nicht vorzieht, den langgezognen
Schleifen der bequemen Landstraße zu folgen, kann man auf einem sehr steilen
Fußwege in kürzerer Zeit zur Station gelangen und dann, eine Zeit lang auf
der Höhe hinwandernd, die abwechslungsreiche Aussicht auf das zerklüftete
Rurthal und das Hochplateau genießen, das man, wenn man von Gemünd
gekommen ist, passiert hat. Die Abdachung des Hohen Venus, auf der der
Bahnhof liegt, hat annähernd dieselbe Höhe wie das Land jenseits der Nur
und des Laufenbachs. Wer sich also von Nordwesten der Stadt nähert, sieht
die ganze Gegend als unnnterbrochne Hochfläche vor sich liegen und bemerkt
Montjoie erst in dem Augenblick, wo er den Rand des Bennplateaus erreicht


gewahre» wir heute, noch die langen, nach Art der Weinberge untermauerten,
durch Treppen verbundnen Terrassen, die einst die hölzernen Rahmen zum
Trocknen der Tuchstücke trugen. Es muß einen seltsamen Anblick gewährt
haben, wenn die Berge rings umher mit farbigen Tüchern wie mit Flaggen¬
guirlanden umkränzt waren. Es war eine Musterkarte im größten Stil, die
den fremden Besucher schon bei seinem Eintritt in die Stadt über die Art und
Bedeutung der Textilindustrie Montjoies belehrte.

Man wird vergebens einen Punkt in der Umgegend suche», der einen
Gesamtüberblick über die Stadt böte. Sie hat sich bei ihrer Ausdehnung deu
Krümmungen des Rurthals und des Laufenbachthals anpassen müssen, die
beide durch vorspringende Felsen eingeengt und um einzelnen Stellen scheinbar
gänzlich abgeschlossen sind. Für die Häuser war wenig Platz vorhanden, sie
scheinen bald an die Bergwand angeklebt zu sein, bald, von kühnen Unterbauten ge¬
stützt, über dein Flusse zu hängen. Stockwerk ist aus Stockwerk getürmt; Treppen,
Brücken und Stege stellen die Verbindung mit der Straße her, die, in den
Felsen gesprengt und gehauen, bald steigt und bald wieder fällt. Gerade die
älteste und interessanteste Hänsergruppe, die in dem zur Aukirche gehörende»
Stadtteile liegt, ist im Jahre 1877 einer Feuersbrunst z»in Opfer gefallen,
aber auch noch heute gilt Montjoie mit Recht für eine wahre Fundgrube
malerischer Architekturmotivc. Hohe Giebel mit altertümlichen Wetterfahnen,
zierliche Türmchen und Erker, reich ornamentierte Thür- und Fensterrahmen,
phantastisch geformte Wasserspeier, das alles sind Einzelheiten, die uns in ver¬
änderter Gestalt immer wieder begegnen. Besonders schön ist das Christoffelsche
Haus mit seinem Wnppenschmuck, doch fehlt es auch sonst nicht an Monu¬
mentalbauten von höchst gediegner Pracht. Fast überall hat sich der alte,
schlicht vornehme Hausrat erhalten, und in jedem bessern Bürgerhause begegnen
wir Möbeln aus der Barock- und der Rokokozeit und namentlich ans der Zeit
Ludwigs XV. In meinem Hotelzimmer fand ich Spiegel, Schrünkchen und
Tische, die jedem Kunstgewerbemuseum zur Zierde gereichen würden. Gute
Kupferstiche der französischen Schulen und englische Farbenstiche verrieten, daß
die frühern Bewohner des Hauses Kunstsinn gehabt und mit der großen Welt
w Verbindung gestanden hatten.

Wie schon angedeutet worden ist, liegt auch in Montjoie der Bahnhof
weit außerhalb der Stadt. Wenn man nicht vorzieht, den langgezognen
Schleifen der bequemen Landstraße zu folgen, kann man auf einem sehr steilen
Fußwege in kürzerer Zeit zur Station gelangen und dann, eine Zeit lang auf
der Höhe hinwandernd, die abwechslungsreiche Aussicht auf das zerklüftete
Rurthal und das Hochplateau genießen, das man, wenn man von Gemünd
gekommen ist, passiert hat. Die Abdachung des Hohen Venus, auf der der
Bahnhof liegt, hat annähernd dieselbe Höhe wie das Land jenseits der Nur
und des Laufenbachs. Wer sich also von Nordwesten der Stadt nähert, sieht
die ganze Gegend als unnnterbrochne Hochfläche vor sich liegen und bemerkt
Montjoie erst in dem Augenblick, wo er den Rand des Bennplateaus erreicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/181>, abgerufen am 05.06.2024.