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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aarl Schneider

Das ist es auch, und glücklicherweise nicht bloß in dein üblichen engern Sinne.
Es giebt erfrischende und nicht selten poetisch gefärbte Auskunft nicht bloß
über die Zustände und Vorgänge auf dein Gebiete des Kirchen- und Schul¬
wesens, sondern auch über das Leben in der Kinderstube, über die Universitäts¬
jahre, über die Zeit des Jahres 1818, über das Familien- und gesellschaft¬
liche Leben des Verfassers. Dadurch bekommt die Darstellung der amtlichen
Verhältnisse, der amtlichen Aufgaben und Zwecke Farbe und Frische; die amt¬
liche Thätigkeit Schneiders erhält erst dadurch den lebendigen, wirkungsvollen
Hintergrund.

Schneider ist im Jahre 1826 in Umsatz an der Oder geboren, also ein
Niederschlesier. Eine warme Anhänglichkeit des Verfassers an seine Heimat-
Provinz durchzieht das ganze Buch. Seinen Sommerurlaub hat er mit
wenig Ausnahmen fast immer in Schmiedeberg im Riesengebirge verlebt.
Erst sehr spät hat er die Herrlichkeit der Alpenwelt mit seiner Frau kennen
gelernt. Vou Jugend auf aber hat er uicht uur ein offnes Auge, sondern
auch ein warmes Herz für die Schönheit und die Wunder der Natur, für die
kleinen nicht minder als für die großen gehabt.

Der Vater war Patrimouialrichter, Kreisjustizrat und Justitiar, ursprüng¬
lich in guten Verhältnissen. Das großväterliche Rittergut mußte aber in der
Not verkauft werden. Auch das Vermögen der Mutter, der hochgebildeten
Tochter des Hof- und Kriminnlrats Michaelis in Glogau, ging verloren. Die
Eltern lebten seitdem getrennt voneinander. Der Vater starb früh. Die
ganze Last der aus drei Brüdern und drei Schwestern bestehenden Familie
lag auf der Mutter. Schneider hat der Treffliche", die in äußerst knappen
Verhältnissen mit großer Tapferkeit und bewundernswerter pädagogischer Weis¬
heit die .Kinder erzog, in seinem Buche ein schönes Denkmal gesetzt. Die
Pietätvolle Liebe, mit der er die Mutter, die seine Charakteristik, mit der er
nicht ohne Humor die Geschwister schildert, sind, auch rein litterarisch an¬
gesehen, eine wertvolle und fesselnde Leistung. Was Schneider aus seinen
ersten Schuljahren und aus der Zeit erzählt, in der er das Gymnasium in
Schweidnitz besuchte, was er über seine Lehrer und deren methodische Absonder¬
lichkeiten, auch über die Kinderstube nud die Pädagogik seiner Mutter erzählt,
ist auch kulturgeschichtlich von Interesse und wird natürlich vielfach von den
spätern pädagogischen Erfahrungen des gereiften Schulmanns beleuchtet. Schon
in seinen letzten Schuljahren erwachte bei ihn: das politische Interesse. Kein
Wunder. Es war die gärende Zeit der ersten Regierungsjahre Friedrich
Wilhelms IV., der schlesischen Webertumulte, der Verweisung Rudolf Gottschalks
von Königsberg und Breslau. Im September 1844 bestand Schneider die
Reifeprüfung. Er ging nach Breslau, um Theologie zu studieren.

Die beiden Kapitel über die Universität und das Jahr 1848 sind für
den, der das Schneidersche Buch nicht gerade als Fachmann, d. h. als Pädagoge
oder Lehrer liest, zweifellos die beiden interessantesten. Sie enthalten in frischer
Darstellung eine Menge kulturgeschichtliches Material in prägnanten, oft


Aarl Schneider

Das ist es auch, und glücklicherweise nicht bloß in dein üblichen engern Sinne.
Es giebt erfrischende und nicht selten poetisch gefärbte Auskunft nicht bloß
über die Zustände und Vorgänge auf dein Gebiete des Kirchen- und Schul¬
wesens, sondern auch über das Leben in der Kinderstube, über die Universitäts¬
jahre, über die Zeit des Jahres 1818, über das Familien- und gesellschaft¬
liche Leben des Verfassers. Dadurch bekommt die Darstellung der amtlichen
Verhältnisse, der amtlichen Aufgaben und Zwecke Farbe und Frische; die amt¬
liche Thätigkeit Schneiders erhält erst dadurch den lebendigen, wirkungsvollen
Hintergrund.

Schneider ist im Jahre 1826 in Umsatz an der Oder geboren, also ein
Niederschlesier. Eine warme Anhänglichkeit des Verfassers an seine Heimat-
Provinz durchzieht das ganze Buch. Seinen Sommerurlaub hat er mit
wenig Ausnahmen fast immer in Schmiedeberg im Riesengebirge verlebt.
Erst sehr spät hat er die Herrlichkeit der Alpenwelt mit seiner Frau kennen
gelernt. Vou Jugend auf aber hat er uicht uur ein offnes Auge, sondern
auch ein warmes Herz für die Schönheit und die Wunder der Natur, für die
kleinen nicht minder als für die großen gehabt.

Der Vater war Patrimouialrichter, Kreisjustizrat und Justitiar, ursprüng¬
lich in guten Verhältnissen. Das großväterliche Rittergut mußte aber in der
Not verkauft werden. Auch das Vermögen der Mutter, der hochgebildeten
Tochter des Hof- und Kriminnlrats Michaelis in Glogau, ging verloren. Die
Eltern lebten seitdem getrennt voneinander. Der Vater starb früh. Die
ganze Last der aus drei Brüdern und drei Schwestern bestehenden Familie
lag auf der Mutter. Schneider hat der Treffliche», die in äußerst knappen
Verhältnissen mit großer Tapferkeit und bewundernswerter pädagogischer Weis¬
heit die .Kinder erzog, in seinem Buche ein schönes Denkmal gesetzt. Die
Pietätvolle Liebe, mit der er die Mutter, die seine Charakteristik, mit der er
nicht ohne Humor die Geschwister schildert, sind, auch rein litterarisch an¬
gesehen, eine wertvolle und fesselnde Leistung. Was Schneider aus seinen
ersten Schuljahren und aus der Zeit erzählt, in der er das Gymnasium in
Schweidnitz besuchte, was er über seine Lehrer und deren methodische Absonder¬
lichkeiten, auch über die Kinderstube nud die Pädagogik seiner Mutter erzählt,
ist auch kulturgeschichtlich von Interesse und wird natürlich vielfach von den
spätern pädagogischen Erfahrungen des gereiften Schulmanns beleuchtet. Schon
in seinen letzten Schuljahren erwachte bei ihn: das politische Interesse. Kein
Wunder. Es war die gärende Zeit der ersten Regierungsjahre Friedrich
Wilhelms IV., der schlesischen Webertumulte, der Verweisung Rudolf Gottschalks
von Königsberg und Breslau. Im September 1844 bestand Schneider die
Reifeprüfung. Er ging nach Breslau, um Theologie zu studieren.

Die beiden Kapitel über die Universität und das Jahr 1848 sind für
den, der das Schneidersche Buch nicht gerade als Fachmann, d. h. als Pädagoge
oder Lehrer liest, zweifellos die beiden interessantesten. Sie enthalten in frischer
Darstellung eine Menge kulturgeschichtliches Material in prägnanten, oft


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[0029] Aarl Schneider Das ist es auch, und glücklicherweise nicht bloß in dein üblichen engern Sinne. Es giebt erfrischende und nicht selten poetisch gefärbte Auskunft nicht bloß über die Zustände und Vorgänge auf dein Gebiete des Kirchen- und Schul¬ wesens, sondern auch über das Leben in der Kinderstube, über die Universitäts¬ jahre, über die Zeit des Jahres 1818, über das Familien- und gesellschaft¬ liche Leben des Verfassers. Dadurch bekommt die Darstellung der amtlichen Verhältnisse, der amtlichen Aufgaben und Zwecke Farbe und Frische; die amt¬ liche Thätigkeit Schneiders erhält erst dadurch den lebendigen, wirkungsvollen Hintergrund. Schneider ist im Jahre 1826 in Umsatz an der Oder geboren, also ein Niederschlesier. Eine warme Anhänglichkeit des Verfassers an seine Heimat- Provinz durchzieht das ganze Buch. Seinen Sommerurlaub hat er mit wenig Ausnahmen fast immer in Schmiedeberg im Riesengebirge verlebt. Erst sehr spät hat er die Herrlichkeit der Alpenwelt mit seiner Frau kennen gelernt. Vou Jugend auf aber hat er uicht uur ein offnes Auge, sondern auch ein warmes Herz für die Schönheit und die Wunder der Natur, für die kleinen nicht minder als für die großen gehabt. Der Vater war Patrimouialrichter, Kreisjustizrat und Justitiar, ursprüng¬ lich in guten Verhältnissen. Das großväterliche Rittergut mußte aber in der Not verkauft werden. Auch das Vermögen der Mutter, der hochgebildeten Tochter des Hof- und Kriminnlrats Michaelis in Glogau, ging verloren. Die Eltern lebten seitdem getrennt voneinander. Der Vater starb früh. Die ganze Last der aus drei Brüdern und drei Schwestern bestehenden Familie lag auf der Mutter. Schneider hat der Treffliche», die in äußerst knappen Verhältnissen mit großer Tapferkeit und bewundernswerter pädagogischer Weis¬ heit die .Kinder erzog, in seinem Buche ein schönes Denkmal gesetzt. Die Pietätvolle Liebe, mit der er die Mutter, die seine Charakteristik, mit der er nicht ohne Humor die Geschwister schildert, sind, auch rein litterarisch an¬ gesehen, eine wertvolle und fesselnde Leistung. Was Schneider aus seinen ersten Schuljahren und aus der Zeit erzählt, in der er das Gymnasium in Schweidnitz besuchte, was er über seine Lehrer und deren methodische Absonder¬ lichkeiten, auch über die Kinderstube nud die Pädagogik seiner Mutter erzählt, ist auch kulturgeschichtlich von Interesse und wird natürlich vielfach von den spätern pädagogischen Erfahrungen des gereiften Schulmanns beleuchtet. Schon in seinen letzten Schuljahren erwachte bei ihn: das politische Interesse. Kein Wunder. Es war die gärende Zeit der ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms IV., der schlesischen Webertumulte, der Verweisung Rudolf Gottschalks von Königsberg und Breslau. Im September 1844 bestand Schneider die Reifeprüfung. Er ging nach Breslau, um Theologie zu studieren. Die beiden Kapitel über die Universität und das Jahr 1848 sind für den, der das Schneidersche Buch nicht gerade als Fachmann, d. h. als Pädagoge oder Lehrer liest, zweifellos die beiden interessantesten. Sie enthalten in frischer Darstellung eine Menge kulturgeschichtliches Material in prägnanten, oft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/29>, abgerufen am 22.05.2024.