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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Karl Schneider

schlössen sich den Radikalen an. So kam auch er zu diesen. Eine Diskussion,
in die er mit einem tschechischen Juristen geriet, führte ihn in atheistische und
Pantheistische Irrwege. In dieser Zeit hospitierte er in den Vorlesungen des
geistvollen Professors Braniß. Hier machte er die Bekanntschaft des Studenten
Adalbert Falk, der später sein Freund fürs Leben wurde.

Auch mit dem Gedanken, umzusatteln und Jurist zu werden, hat er sich
begreiflicherweise damals getragen. Mit seinem Freunde, dem spätern Berliner
Rechtsanwalt Hiersemenzel, ging er zum Dekan der juristischen Fakultät, Pro¬
fessor Wittn, traf ihn aber nicht zu Hause. Darin sah er, der Pantheist,
göttliche Fügung. Er ging wieder zu Middeldorpff in das Kolleg über Jesaias,
wurde dem theologischen Studium wieder gewonnen und arbeitete von da an
fleißig, namentlich in den akademischen Seminaren und Disputatvrien. Sein
Ziel war damals und noch für lange Zeit die akademische Laufbahn.

Dazwischen nahm er aber an den politischen Interessen, die in jener Zeit
alles beherrschten, den lebhaftesten Anteil, und dies brachte ihn auch mit her¬
vorragenden jüngern Männern, die dabei eine Rolle spielten, in vorübergehende
Berührung. So mit Lassnlle, Eduard Laster, Berthold Auerbach. Zum
erstenmal gepredigt hat er in der Elftausend Jungfranenkirche in Breslau am
Neujahrstage 1848, nicht ohne einen politischen Anstrich.

Er giebt uns in seinein Buche wohlweislich keine eigentliche Geschichte
des Jahres 1848, wohl aber eine Reihe von Einzelbildern dessen, was er
selbst damals erlebt hat. Man mag diese flotten Erzählungen im Buche selbst
nachlesen. Sehr zutreffend sagt er von dem "Ministerunn der rettenden That,"
daß ihm zwei starke Verbündete in dem frühen, von häßlichem Wetter be¬
gleiteten Winter und in der Cholera erstanden seien. "Diese unheimlichen
Mächte, fährt er fort -- unheimlich war aber eigentlich nur die Cholera, nicht
das Wetter --, haben kräftiger wie Manteuffels Klugheit und Wrangels
Reden den Aufstand im Keime erstickt; mir aber hat der Einfluß, den erst die
Frühlingssonne und dann der Winterschnee auf die Geschichte des merkwürdigen
Jahres geübt habe", die Frage nahe gelegt, ob der Gang der Natur sich wirk¬
lich so ganz mechanisch vollziehe, wie mir mein tschechischer Freund vor vier
Jahren bewiesen hatte." Ein recht achtbarer Gedanke für den stark demokratisch
angehauchten jungen Theologen.

Die Aussicht auf eine Hauslehrerstelle in Florenz zerschlug sich. Noch
vor dein ersten theologischen Examen übernahm Schneider eine Hilfslehrerstelle
an einer höhern Privattöchterschule in Reiße gegen ein Honorar von zweiund-
zwanzig Thalern monatlich für vierundzwanzig in der Woche zu gebende
Stunden. Hier hat er durch die Praxis den Grund dazu gelegt, daß er später
ein so tüchtiger Schulmeister geworden ist. Die kleinen und die großen Mi߬
griffe und Erfahrungen des Anfängers, die er anschaulich mitteilt, sind wert¬
volle pädagogische und methodische Fingerzeige für den angehenden Schulmann.
Aber schon hier zeigt sich der tüchtige Kern, der in dem jungen Lehrer steckte,
ein gewissenhaftes, ja peinliches Pflichtgefühl, vielleicht ein Erbteil vom Vater,


Karl Schneider

schlössen sich den Radikalen an. So kam auch er zu diesen. Eine Diskussion,
in die er mit einem tschechischen Juristen geriet, führte ihn in atheistische und
Pantheistische Irrwege. In dieser Zeit hospitierte er in den Vorlesungen des
geistvollen Professors Braniß. Hier machte er die Bekanntschaft des Studenten
Adalbert Falk, der später sein Freund fürs Leben wurde.

Auch mit dem Gedanken, umzusatteln und Jurist zu werden, hat er sich
begreiflicherweise damals getragen. Mit seinem Freunde, dem spätern Berliner
Rechtsanwalt Hiersemenzel, ging er zum Dekan der juristischen Fakultät, Pro¬
fessor Wittn, traf ihn aber nicht zu Hause. Darin sah er, der Pantheist,
göttliche Fügung. Er ging wieder zu Middeldorpff in das Kolleg über Jesaias,
wurde dem theologischen Studium wieder gewonnen und arbeitete von da an
fleißig, namentlich in den akademischen Seminaren und Disputatvrien. Sein
Ziel war damals und noch für lange Zeit die akademische Laufbahn.

Dazwischen nahm er aber an den politischen Interessen, die in jener Zeit
alles beherrschten, den lebhaftesten Anteil, und dies brachte ihn auch mit her¬
vorragenden jüngern Männern, die dabei eine Rolle spielten, in vorübergehende
Berührung. So mit Lassnlle, Eduard Laster, Berthold Auerbach. Zum
erstenmal gepredigt hat er in der Elftausend Jungfranenkirche in Breslau am
Neujahrstage 1848, nicht ohne einen politischen Anstrich.

Er giebt uns in seinein Buche wohlweislich keine eigentliche Geschichte
des Jahres 1848, wohl aber eine Reihe von Einzelbildern dessen, was er
selbst damals erlebt hat. Man mag diese flotten Erzählungen im Buche selbst
nachlesen. Sehr zutreffend sagt er von dem „Ministerunn der rettenden That,"
daß ihm zwei starke Verbündete in dem frühen, von häßlichem Wetter be¬
gleiteten Winter und in der Cholera erstanden seien. „Diese unheimlichen
Mächte, fährt er fort — unheimlich war aber eigentlich nur die Cholera, nicht
das Wetter —, haben kräftiger wie Manteuffels Klugheit und Wrangels
Reden den Aufstand im Keime erstickt; mir aber hat der Einfluß, den erst die
Frühlingssonne und dann der Winterschnee auf die Geschichte des merkwürdigen
Jahres geübt habe», die Frage nahe gelegt, ob der Gang der Natur sich wirk¬
lich so ganz mechanisch vollziehe, wie mir mein tschechischer Freund vor vier
Jahren bewiesen hatte." Ein recht achtbarer Gedanke für den stark demokratisch
angehauchten jungen Theologen.

Die Aussicht auf eine Hauslehrerstelle in Florenz zerschlug sich. Noch
vor dein ersten theologischen Examen übernahm Schneider eine Hilfslehrerstelle
an einer höhern Privattöchterschule in Reiße gegen ein Honorar von zweiund-
zwanzig Thalern monatlich für vierundzwanzig in der Woche zu gebende
Stunden. Hier hat er durch die Praxis den Grund dazu gelegt, daß er später
ein so tüchtiger Schulmeister geworden ist. Die kleinen und die großen Mi߬
griffe und Erfahrungen des Anfängers, die er anschaulich mitteilt, sind wert¬
volle pädagogische und methodische Fingerzeige für den angehenden Schulmann.
Aber schon hier zeigt sich der tüchtige Kern, der in dem jungen Lehrer steckte,
ein gewissenhaftes, ja peinliches Pflichtgefühl, vielleicht ein Erbteil vom Vater,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/31>, abgerufen am 22.05.2024.