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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Icihre ^9^^

der vstelbischen Großlandwirte hat vielfach eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem
der Börsianer gehabt, und bei der ganzen politischen Aktion des Bundes der
Landwirte ist die Spekulation auf eine neue Hauffe in deu Güterprcisen wohl
auch jetzt wieder die eigentliche oimss, moveirs. Die Freunde der Miquelschen
Neaktionspläne gegen die Stein-Hardenbergsche Agrarreform in Preußen alten
Bestands wissen diesen wirtschaftsmoralischen Defekt trefflich hervorzukehren
und zugleich zu bemänteln und dadurch auch die Getreidezollfragc im Sinne ihres
Ideals bestens zu verwerten, d, h, im Sinne der Rückkehr zu möglichst all¬
gemeiner und vollständiger Gebundenheit, Geschlossenheit und weitgehender Un-
verschuldbarkeit des landwirtschaftlichen Grundeigentums. Thiel verlangt das
nicht nur für die Bauern, souderu für alle mittlern und größern Landwirte,
also im ostclbischen Sinne für Bauern und Rittergutsbesitzer, Es muß hier
auf eine umfassende und eingehende Kritik dieser Pläne verzichtet werden; dazu
wird sich später noch Gelegenheit finden. Hier war uur ihr Zusammenhang
mit der Getreidezollfrage und damit ihre Bedeutung für die handelspolitischen
Probleme der Gegenwart hervorzuheben. Die deutschen Nationalökonomen,
die sich der weitern handelspolitischen Reaktion entgegen stemmen, haben bisher
von diesem Zusammenhang wenig oder gar keine Notiz genommen, auch soweit
sie entschiedne Gegner der Miquelschen Agrarreaktion sind. Die altpreußischen
Landwirte selbst denken nicht daran, dafür zu schwärmen. Sie sind für cilt-
hmmoversche Erbrcchtsidcale vorläufig noch nicht zu haben. Wie es scheint,
soll um aber von Amts wegen mit Hochdruck für diese ins Zeug gegangen
werden.

Die sehr wichtige Stellung der im "Zentralverband deutscher Industrieller"
organisierten schntzzöllnerischen Großindustrie zu den agrarischen Forderungen
ist nicht ganz klar. Sie hat wiederholt verlauten lassen, daß sie für höhere
Kornzölle eintrete, aber auch für die Industrie eine Verstärkung des Zoll¬
schutzes verlange. Eine im Oktober 1900 erschienene Denkschrift des Ge¬
schäftsführers des Verbandes, H. A. Bneck, mit dem Titel "Für und wider
die gesetzliche Feststellung eines Maximal- und Minimalzolltarifs als Grund¬
lage für die Handelspolitik Deutschlands" läßt erkennen, daß eine Minderheit
dieser Industriellen den Agrariern sogar in der Forderung des Doppeltarifs
zustimmt, in dem, was die Hauptsache ist, für alle oder gewisse wichtige Waren
Miuimalzollsütze gesetzlich festgelegt werden sollen, unter die die Unterhändler
bei den Verhandlungen über die neuen Handelsverträge nicht herabgehn dürfen.
Sehr geschickt und unsers Erachtens überzeugend plaidiert der Verfasser, wie
es scheint, namens der Verbandsmehrheit gegen den Doppeltarif und die
Bindung der Unterhändler an solche vorher gesetzlich festzulegende Minimal¬
zollsätze. Er exemplifiziert auf das Ausland, wo mau schlechte Erfahrungen mit
diesem System gemacht hat, ja es überhaupt gar nicht durchzuführen imstande
gewesen ist. Um zu Haudelsvcrträgen zu kommen, sei man schließlich doch unter
die Miuimalsätze hernnterzugehn gezwungen worden. Die Gesetze über die Ver¬
trüge hätten einfach die vorher so fein auskalkulierten Minimalsätze in den


Die Handelspolitik im Icihre ^9^^

der vstelbischen Großlandwirte hat vielfach eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem
der Börsianer gehabt, und bei der ganzen politischen Aktion des Bundes der
Landwirte ist die Spekulation auf eine neue Hauffe in deu Güterprcisen wohl
auch jetzt wieder die eigentliche oimss, moveirs. Die Freunde der Miquelschen
Neaktionspläne gegen die Stein-Hardenbergsche Agrarreform in Preußen alten
Bestands wissen diesen wirtschaftsmoralischen Defekt trefflich hervorzukehren
und zugleich zu bemänteln und dadurch auch die Getreidezollfragc im Sinne ihres
Ideals bestens zu verwerten, d, h, im Sinne der Rückkehr zu möglichst all¬
gemeiner und vollständiger Gebundenheit, Geschlossenheit und weitgehender Un-
verschuldbarkeit des landwirtschaftlichen Grundeigentums. Thiel verlangt das
nicht nur für die Bauern, souderu für alle mittlern und größern Landwirte,
also im ostclbischen Sinne für Bauern und Rittergutsbesitzer, Es muß hier
auf eine umfassende und eingehende Kritik dieser Pläne verzichtet werden; dazu
wird sich später noch Gelegenheit finden. Hier war uur ihr Zusammenhang
mit der Getreidezollfrage und damit ihre Bedeutung für die handelspolitischen
Probleme der Gegenwart hervorzuheben. Die deutschen Nationalökonomen,
die sich der weitern handelspolitischen Reaktion entgegen stemmen, haben bisher
von diesem Zusammenhang wenig oder gar keine Notiz genommen, auch soweit
sie entschiedne Gegner der Miquelschen Agrarreaktion sind. Die altpreußischen
Landwirte selbst denken nicht daran, dafür zu schwärmen. Sie sind für cilt-
hmmoversche Erbrcchtsidcale vorläufig noch nicht zu haben. Wie es scheint,
soll um aber von Amts wegen mit Hochdruck für diese ins Zeug gegangen
werden.

Die sehr wichtige Stellung der im „Zentralverband deutscher Industrieller"
organisierten schntzzöllnerischen Großindustrie zu den agrarischen Forderungen
ist nicht ganz klar. Sie hat wiederholt verlauten lassen, daß sie für höhere
Kornzölle eintrete, aber auch für die Industrie eine Verstärkung des Zoll¬
schutzes verlange. Eine im Oktober 1900 erschienene Denkschrift des Ge¬
schäftsführers des Verbandes, H. A. Bneck, mit dem Titel „Für und wider
die gesetzliche Feststellung eines Maximal- und Minimalzolltarifs als Grund¬
lage für die Handelspolitik Deutschlands" läßt erkennen, daß eine Minderheit
dieser Industriellen den Agrariern sogar in der Forderung des Doppeltarifs
zustimmt, in dem, was die Hauptsache ist, für alle oder gewisse wichtige Waren
Miuimalzollsütze gesetzlich festgelegt werden sollen, unter die die Unterhändler
bei den Verhandlungen über die neuen Handelsverträge nicht herabgehn dürfen.
Sehr geschickt und unsers Erachtens überzeugend plaidiert der Verfasser, wie
es scheint, namens der Verbandsmehrheit gegen den Doppeltarif und die
Bindung der Unterhändler an solche vorher gesetzlich festzulegende Minimal¬
zollsätze. Er exemplifiziert auf das Ausland, wo mau schlechte Erfahrungen mit
diesem System gemacht hat, ja es überhaupt gar nicht durchzuführen imstande
gewesen ist. Um zu Haudelsvcrträgen zu kommen, sei man schließlich doch unter
die Miuimalsätze hernnterzugehn gezwungen worden. Die Gesetze über die Ver¬
trüge hätten einfach die vorher so fein auskalkulierten Minimalsätze in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/79>, abgerufen am 05.06.2024.