Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Thomas Balnngtc'it Macaulay

Keller speiste, der eine Halsbinde aus Papier und ein Stuckchen Holz als
Busennadel trug, ein glücklicherer Mensch war als irgend einer der Tafelrunde
Friedrichs." Es gehörte allerdings zu der Theorie Macaulays, daß die besten
Porträts die seien, in denen sich eine leichte Beimischung von Karikatur finde;
doch zuweilen ist die Dose zu stark ausgefallen.

Aber wir würden Macaulay Unrecht thun, wenn U>ir nicht gleich hinzu¬
fügten, daß diese unklugen Übertreibungen im ganzen selten sind. Dazu war
er doch ein zu herzenskundiger Mann. Viele Porträts, die er mit Worten
schuf, find denen an die Seite zu stellen, die der Pinsel van Dyls hervor¬
gebracht hat. Und außer diesen scharf gezeichneten Charakterköpfen von Karl 11,
und Wilhelm von Oranien, von Lord Clive und Wnrren Hastings, von Halifax
und Charles Montague, von William Pitt und Addison überzeugen uns auch
einzelne feine psychologische Bemerkungen, daß er in die Geheimnisse des
menschlichen Herzens gedrungen ist. So wenn er die plötzliche Abneigung der
Engländer gegen Bhron mit den Worten erklärt: "Er hatte sich das Vergehn
zu schulden kommen lassen, das von allen Vergehungen am strengsten bestraft
wird: er war übermäßig gelobt worden, er hatte ein zu warmes Interesse
erregt; und mit dem ihnen eigentümlichen Gerechtigkeitsgefühl bestraften ihn die
Leute für ihre eigne Narrheit." Oder wenn er erklärt, wie das Schicksal Samuel
Johnson zu einem unhöflichen Manne machte. "Höflichkeit ist richtig definiert
worden als Herzensgüte bei kleinen Dingen. Johnson war unhöflich, nicht
weil es ihm um Gutartigkeit fehlte, sondern weil ihm kleine Dinge kleiner er¬
schienen als Leuten, die nie erfahren hatten, was es hieß, mit täglich Pence
zu leben."

Wenn aber Macaulays Stärke im allgemeine" in seiner Urteilsschärfe bei
historischen, politischen oder moralischen Fragen liegt, so ist andrerseits nicht schwer
zu erkennen, daß die litterarische Kritik seine schwache Seite ist. Er war sich
übrigens dieser Schwäche mich bewußt; er, der ein starkes Selbstbewußtsein
hatte, schrieb am 26. Juni 1838 an den Redakteur der I'..ki"!>uru1> Rvviv>v:
"Solche Bücher wie Lessings Laokoon, solche Stellen wie die Kritik über Hamlet
in Wilhelm Meister erfüllen mich mit Bewundrung und Verzweiflung." Er
sucht meistens das Werk, das er bespricht, nicht von innen heraus, aus seiner
Zeit, den Bedingungen seines Entstehens, der Besonderheit des Dichters zu
erklären, sondern er entwickelt ein allgemeines Gesetz und wendet dann dieses
auf den speziell vorliegenden Fall um. Dann aber wirkt es zuweilen geradezu
komisch, wie er gewissermaßen als "Zeremonienmeister, der die Gebräuche
litterarischen Vortritts genau kennt," jedem den bestimmten Platz unweise, zu
dem er berechtigt ist. So sagt er z. B von Addisons Cato: "Unter den
Dramen, die nach französischem Muster geschrieben sind, darf man ihm einen
hohen Rang einräumen; zwar steht es nicht auf gleicher Stufe wie Athalie,
aber nicht unter Cinna und sicherlich über jeder andern englischen Tragödie
derselben Schule, über vielen Stücken von Corneille, über vielen Voltaires und
Alfieris und über einigen Stücken von Racine," Oder von Dante sagt er:


Thomas Balnngtc'it Macaulay

Keller speiste, der eine Halsbinde aus Papier und ein Stuckchen Holz als
Busennadel trug, ein glücklicherer Mensch war als irgend einer der Tafelrunde
Friedrichs." Es gehörte allerdings zu der Theorie Macaulays, daß die besten
Porträts die seien, in denen sich eine leichte Beimischung von Karikatur finde;
doch zuweilen ist die Dose zu stark ausgefallen.

Aber wir würden Macaulay Unrecht thun, wenn U>ir nicht gleich hinzu¬
fügten, daß diese unklugen Übertreibungen im ganzen selten sind. Dazu war
er doch ein zu herzenskundiger Mann. Viele Porträts, die er mit Worten
schuf, find denen an die Seite zu stellen, die der Pinsel van Dyls hervor¬
gebracht hat. Und außer diesen scharf gezeichneten Charakterköpfen von Karl 11,
und Wilhelm von Oranien, von Lord Clive und Wnrren Hastings, von Halifax
und Charles Montague, von William Pitt und Addison überzeugen uns auch
einzelne feine psychologische Bemerkungen, daß er in die Geheimnisse des
menschlichen Herzens gedrungen ist. So wenn er die plötzliche Abneigung der
Engländer gegen Bhron mit den Worten erklärt: „Er hatte sich das Vergehn
zu schulden kommen lassen, das von allen Vergehungen am strengsten bestraft
wird: er war übermäßig gelobt worden, er hatte ein zu warmes Interesse
erregt; und mit dem ihnen eigentümlichen Gerechtigkeitsgefühl bestraften ihn die
Leute für ihre eigne Narrheit." Oder wenn er erklärt, wie das Schicksal Samuel
Johnson zu einem unhöflichen Manne machte. „Höflichkeit ist richtig definiert
worden als Herzensgüte bei kleinen Dingen. Johnson war unhöflich, nicht
weil es ihm um Gutartigkeit fehlte, sondern weil ihm kleine Dinge kleiner er¬
schienen als Leuten, die nie erfahren hatten, was es hieß, mit täglich Pence
zu leben."

Wenn aber Macaulays Stärke im allgemeine» in seiner Urteilsschärfe bei
historischen, politischen oder moralischen Fragen liegt, so ist andrerseits nicht schwer
zu erkennen, daß die litterarische Kritik seine schwache Seite ist. Er war sich
übrigens dieser Schwäche mich bewußt; er, der ein starkes Selbstbewußtsein
hatte, schrieb am 26. Juni 1838 an den Redakteur der I'..ki»!>uru1> Rvviv>v:
„Solche Bücher wie Lessings Laokoon, solche Stellen wie die Kritik über Hamlet
in Wilhelm Meister erfüllen mich mit Bewundrung und Verzweiflung." Er
sucht meistens das Werk, das er bespricht, nicht von innen heraus, aus seiner
Zeit, den Bedingungen seines Entstehens, der Besonderheit des Dichters zu
erklären, sondern er entwickelt ein allgemeines Gesetz und wendet dann dieses
auf den speziell vorliegenden Fall um. Dann aber wirkt es zuweilen geradezu
komisch, wie er gewissermaßen als „Zeremonienmeister, der die Gebräuche
litterarischen Vortritts genau kennt," jedem den bestimmten Platz unweise, zu
dem er berechtigt ist. So sagt er z. B von Addisons Cato: „Unter den
Dramen, die nach französischem Muster geschrieben sind, darf man ihm einen
hohen Rang einräumen; zwar steht es nicht auf gleicher Stufe wie Athalie,
aber nicht unter Cinna und sicherlich über jeder andern englischen Tragödie
derselben Schule, über vielen Stücken von Corneille, über vielen Voltaires und
Alfieris und über einigen Stücken von Racine," Oder von Dante sagt er:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234669"/>
            <fw type="header" place="top"> Thomas Balnngtc'it Macaulay</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_362" prev="#ID_361"> Keller speiste, der eine Halsbinde aus Papier und ein Stuckchen Holz als<lb/>
Busennadel trug, ein glücklicherer Mensch war als irgend einer der Tafelrunde<lb/>
Friedrichs." Es gehörte allerdings zu der Theorie Macaulays, daß die besten<lb/>
Porträts die seien, in denen sich eine leichte Beimischung von Karikatur finde;<lb/>
doch zuweilen ist die Dose zu stark ausgefallen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_363"> Aber wir würden Macaulay Unrecht thun, wenn U&gt;ir nicht gleich hinzu¬<lb/>
fügten, daß diese unklugen Übertreibungen im ganzen selten sind. Dazu war<lb/>
er doch ein zu herzenskundiger Mann. Viele Porträts, die er mit Worten<lb/>
schuf, find denen an die Seite zu stellen, die der Pinsel van Dyls hervor¬<lb/>
gebracht hat. Und außer diesen scharf gezeichneten Charakterköpfen von Karl 11,<lb/>
und Wilhelm von Oranien, von Lord Clive und Wnrren Hastings, von Halifax<lb/>
und Charles Montague, von William Pitt und Addison überzeugen uns auch<lb/>
einzelne feine psychologische Bemerkungen, daß er in die Geheimnisse des<lb/>
menschlichen Herzens gedrungen ist. So wenn er die plötzliche Abneigung der<lb/>
Engländer gegen Bhron mit den Worten erklärt: &#x201E;Er hatte sich das Vergehn<lb/>
zu schulden kommen lassen, das von allen Vergehungen am strengsten bestraft<lb/>
wird: er war übermäßig gelobt worden, er hatte ein zu warmes Interesse<lb/>
erregt; und mit dem ihnen eigentümlichen Gerechtigkeitsgefühl bestraften ihn die<lb/>
Leute für ihre eigne Narrheit." Oder wenn er erklärt, wie das Schicksal Samuel<lb/>
Johnson zu einem unhöflichen Manne machte. &#x201E;Höflichkeit ist richtig definiert<lb/>
worden als Herzensgüte bei kleinen Dingen. Johnson war unhöflich, nicht<lb/>
weil es ihm um Gutartigkeit fehlte, sondern weil ihm kleine Dinge kleiner er¬<lb/>
schienen als Leuten, die nie erfahren hatten, was es hieß, mit täglich Pence<lb/>
zu leben."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> Wenn aber Macaulays Stärke im allgemeine» in seiner Urteilsschärfe bei<lb/>
historischen, politischen oder moralischen Fragen liegt, so ist andrerseits nicht schwer<lb/>
zu erkennen, daß die litterarische Kritik seine schwache Seite ist. Er war sich<lb/>
übrigens dieser Schwäche mich bewußt; er, der ein starkes Selbstbewußtsein<lb/>
hatte, schrieb am 26. Juni 1838 an den Redakteur der I'..ki»!&gt;uru1&gt; Rvviv&gt;v:<lb/>
&#x201E;Solche Bücher wie Lessings Laokoon, solche Stellen wie die Kritik über Hamlet<lb/>
in Wilhelm Meister erfüllen mich mit Bewundrung und Verzweiflung." Er<lb/>
sucht meistens das Werk, das er bespricht, nicht von innen heraus, aus seiner<lb/>
Zeit, den Bedingungen seines Entstehens, der Besonderheit des Dichters zu<lb/>
erklären, sondern er entwickelt ein allgemeines Gesetz und wendet dann dieses<lb/>
auf den speziell vorliegenden Fall um. Dann aber wirkt es zuweilen geradezu<lb/>
komisch, wie er gewissermaßen als &#x201E;Zeremonienmeister, der die Gebräuche<lb/>
litterarischen Vortritts genau kennt," jedem den bestimmten Platz unweise, zu<lb/>
dem er berechtigt ist. So sagt er z. B von Addisons Cato: &#x201E;Unter den<lb/>
Dramen, die nach französischem Muster geschrieben sind, darf man ihm einen<lb/>
hohen Rang einräumen; zwar steht es nicht auf gleicher Stufe wie Athalie,<lb/>
aber nicht unter Cinna und sicherlich über jeder andern englischen Tragödie<lb/>
derselben Schule, über vielen Stücken von Corneille, über vielen Voltaires und<lb/>
Alfieris und über einigen Stücken von Racine,"  Oder von Dante sagt er:</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] Thomas Balnngtc'it Macaulay Keller speiste, der eine Halsbinde aus Papier und ein Stuckchen Holz als Busennadel trug, ein glücklicherer Mensch war als irgend einer der Tafelrunde Friedrichs." Es gehörte allerdings zu der Theorie Macaulays, daß die besten Porträts die seien, in denen sich eine leichte Beimischung von Karikatur finde; doch zuweilen ist die Dose zu stark ausgefallen. Aber wir würden Macaulay Unrecht thun, wenn U>ir nicht gleich hinzu¬ fügten, daß diese unklugen Übertreibungen im ganzen selten sind. Dazu war er doch ein zu herzenskundiger Mann. Viele Porträts, die er mit Worten schuf, find denen an die Seite zu stellen, die der Pinsel van Dyls hervor¬ gebracht hat. Und außer diesen scharf gezeichneten Charakterköpfen von Karl 11, und Wilhelm von Oranien, von Lord Clive und Wnrren Hastings, von Halifax und Charles Montague, von William Pitt und Addison überzeugen uns auch einzelne feine psychologische Bemerkungen, daß er in die Geheimnisse des menschlichen Herzens gedrungen ist. So wenn er die plötzliche Abneigung der Engländer gegen Bhron mit den Worten erklärt: „Er hatte sich das Vergehn zu schulden kommen lassen, das von allen Vergehungen am strengsten bestraft wird: er war übermäßig gelobt worden, er hatte ein zu warmes Interesse erregt; und mit dem ihnen eigentümlichen Gerechtigkeitsgefühl bestraften ihn die Leute für ihre eigne Narrheit." Oder wenn er erklärt, wie das Schicksal Samuel Johnson zu einem unhöflichen Manne machte. „Höflichkeit ist richtig definiert worden als Herzensgüte bei kleinen Dingen. Johnson war unhöflich, nicht weil es ihm um Gutartigkeit fehlte, sondern weil ihm kleine Dinge kleiner er¬ schienen als Leuten, die nie erfahren hatten, was es hieß, mit täglich Pence zu leben." Wenn aber Macaulays Stärke im allgemeine» in seiner Urteilsschärfe bei historischen, politischen oder moralischen Fragen liegt, so ist andrerseits nicht schwer zu erkennen, daß die litterarische Kritik seine schwache Seite ist. Er war sich übrigens dieser Schwäche mich bewußt; er, der ein starkes Selbstbewußtsein hatte, schrieb am 26. Juni 1838 an den Redakteur der I'..ki»!>uru1> Rvviv>v: „Solche Bücher wie Lessings Laokoon, solche Stellen wie die Kritik über Hamlet in Wilhelm Meister erfüllen mich mit Bewundrung und Verzweiflung." Er sucht meistens das Werk, das er bespricht, nicht von innen heraus, aus seiner Zeit, den Bedingungen seines Entstehens, der Besonderheit des Dichters zu erklären, sondern er entwickelt ein allgemeines Gesetz und wendet dann dieses auf den speziell vorliegenden Fall um. Dann aber wirkt es zuweilen geradezu komisch, wie er gewissermaßen als „Zeremonienmeister, der die Gebräuche litterarischen Vortritts genau kennt," jedem den bestimmten Platz unweise, zu dem er berechtigt ist. So sagt er z. B von Addisons Cato: „Unter den Dramen, die nach französischem Muster geschrieben sind, darf man ihm einen hohen Rang einräumen; zwar steht es nicht auf gleicher Stufe wie Athalie, aber nicht unter Cinna und sicherlich über jeder andern englischen Tragödie derselben Schule, über vielen Stücken von Corneille, über vielen Voltaires und Alfieris und über einigen Stücken von Racine," Oder von Dante sagt er:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/139>, abgerufen am 18.05.2024.