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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Aus Reichsrat und Delegationen

Daß in der verhältnismäßig kurzen Zeit so viele und so große Vorlagen
erledigt werden konnten, ist auch ein Verdienst des Abgeordneten Bärnreither
vom verfassnngstrenen Grundbesitz, auf dessen Anregung und mit dessen werk¬
thätiger Hilfe zwischen den Obmännern der Parteien ein Verhandlnngskalen-
dariuin vor Pfingsten und ein solches unes Pfingsten vereinbart wurde, das
allen Parteien eine große Selbstbeschränkung im Reden auferlegte. Nur durch
jedesmaligen Schluß der Debatte, sobald ein Redner jeder Partei, oft anch
nur der größern Parteien, gesprochen hatte, wurde die Einhaltung des Kalen-
darinms'ermöglicht, dessen Grenze" durch die der Eröffnung des böhmischen
Landtags vorangehende Kaiserreise nach Böhmen gesteckt waren. Der Besuch
des Monarchen in Prag, ans den die Tschechen unes längerer Entfremdung
zwischen ihnen und der Krone großen Wert legen, war eben anch von ihrem
Parlamentarischen Versälle" abhängig gemacht worden und mußte natürlich,
obwohl auch in der Landeshauptstadt an der Anerkennung und Beobachtung
der sprachlichen Parität und parteipolitischer Neutralität auf Verlangen des
Kaisers streng festgehalten wird, eine Ergänzung in einem wenn auch nnr
kürzern Besuche der beiden dentschen Städte Leitmeritz und Aussig finden.
Daß sich die Bevölkerung der beiden Städte bei aller Loyalität das Aufhängen
schwnrzrotgvldner Fahnen neben den schwarzgelben nicht nehmen läßt, zeugt
von ihrer strammdeutscheu Gesinnung. Die von Dr. Körber auf Verlangen
der Altdeutschen ausgesprochnc Anerkennung dieses Rechts zeigt, daß in Öster¬
reich nie mehr gegen die Dentschen, überhaupt nie mehr gegen ein Volk regiert
werden wird.

Neben der Selbstverleugnung, die die Befreiung des verfcchrnen Staats¬
karrens allen Parteien des Reichsrath auferlegte, ist der Verzicht auf eine
grundsätzlich wohl gebotne Ahndung der Verstöße gegen die Verfassung durch
den Gebrauch des K 14 ein vielleicht zu weit getriebnes Entgegenkommen
der gemäßigten Parteien gewesen und auch nur gegen den Widerspruch der
radikalen Gruppen, der Altdeutschen und der Sozialdenwträte" erfolgt. Der
offenbare Mißbrauch des Notverordnuugsrechts durch den tschechischen Finanz¬
minister Kaizl, der Erlaß neuer Gcbührenvorschrifteu, der neben andern Ur¬
sachen eine verhängnisvolle Wirkung auf die Vanthätigkeit der Städte aus¬
geübt und darum eine so starke Erregung in den Erwerbskreisen hervorgerufen
hatte, daß das Kabinett Körber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung
erkannte, hat wenigstens im Herrenhause bei der Beratung der Gebühreuuovellc
dazu geführt, daß wohl in einer für alle Zeiten wirksamen Weise diese haar¬
sträubende Mißachtung des Gesetzes verurteilt wurde, indem der Vizepräsident
des Verwaltungsgerichtshofs, Freiherr von Lehmaycr. in einer glänzenden Rede
einen Protest der Verfassnngspartei des Herrenhauses gegen die Wiederholung
eines solchen Vorgangs begründete.

Formell der wichtigste Schritt der Rückkehr zu streng verfassungsmäßigen
Zuständen ist übrigens die Bewilligung eines halbjährigen Budgetprovisoriums,
wodurch der Reichsrat nach vierjähriger Unterbrechung endlich sein wichtigstes


Aus Reichsrat und Delegationen

Daß in der verhältnismäßig kurzen Zeit so viele und so große Vorlagen
erledigt werden konnten, ist auch ein Verdienst des Abgeordneten Bärnreither
vom verfassnngstrenen Grundbesitz, auf dessen Anregung und mit dessen werk¬
thätiger Hilfe zwischen den Obmännern der Parteien ein Verhandlnngskalen-
dariuin vor Pfingsten und ein solches unes Pfingsten vereinbart wurde, das
allen Parteien eine große Selbstbeschränkung im Reden auferlegte. Nur durch
jedesmaligen Schluß der Debatte, sobald ein Redner jeder Partei, oft anch
nur der größern Parteien, gesprochen hatte, wurde die Einhaltung des Kalen-
darinms'ermöglicht, dessen Grenze» durch die der Eröffnung des böhmischen
Landtags vorangehende Kaiserreise nach Böhmen gesteckt waren. Der Besuch
des Monarchen in Prag, ans den die Tschechen unes längerer Entfremdung
zwischen ihnen und der Krone großen Wert legen, war eben anch von ihrem
Parlamentarischen Versälle» abhängig gemacht worden und mußte natürlich,
obwohl auch in der Landeshauptstadt an der Anerkennung und Beobachtung
der sprachlichen Parität und parteipolitischer Neutralität auf Verlangen des
Kaisers streng festgehalten wird, eine Ergänzung in einem wenn auch nnr
kürzern Besuche der beiden dentschen Städte Leitmeritz und Aussig finden.
Daß sich die Bevölkerung der beiden Städte bei aller Loyalität das Aufhängen
schwnrzrotgvldner Fahnen neben den schwarzgelben nicht nehmen läßt, zeugt
von ihrer strammdeutscheu Gesinnung. Die von Dr. Körber auf Verlangen
der Altdeutschen ausgesprochnc Anerkennung dieses Rechts zeigt, daß in Öster¬
reich nie mehr gegen die Dentschen, überhaupt nie mehr gegen ein Volk regiert
werden wird.

Neben der Selbstverleugnung, die die Befreiung des verfcchrnen Staats¬
karrens allen Parteien des Reichsrath auferlegte, ist der Verzicht auf eine
grundsätzlich wohl gebotne Ahndung der Verstöße gegen die Verfassung durch
den Gebrauch des K 14 ein vielleicht zu weit getriebnes Entgegenkommen
der gemäßigten Parteien gewesen und auch nur gegen den Widerspruch der
radikalen Gruppen, der Altdeutschen und der Sozialdenwträte» erfolgt. Der
offenbare Mißbrauch des Notverordnuugsrechts durch den tschechischen Finanz¬
minister Kaizl, der Erlaß neuer Gcbührenvorschrifteu, der neben andern Ur¬
sachen eine verhängnisvolle Wirkung auf die Vanthätigkeit der Städte aus¬
geübt und darum eine so starke Erregung in den Erwerbskreisen hervorgerufen
hatte, daß das Kabinett Körber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung
erkannte, hat wenigstens im Herrenhause bei der Beratung der Gebühreuuovellc
dazu geführt, daß wohl in einer für alle Zeiten wirksamen Weise diese haar¬
sträubende Mißachtung des Gesetzes verurteilt wurde, indem der Vizepräsident
des Verwaltungsgerichtshofs, Freiherr von Lehmaycr. in einer glänzenden Rede
einen Protest der Verfassnngspartei des Herrenhauses gegen die Wiederholung
eines solchen Vorgangs begründete.

Formell der wichtigste Schritt der Rückkehr zu streng verfassungsmäßigen
Zuständen ist übrigens die Bewilligung eines halbjährigen Budgetprovisoriums,
wodurch der Reichsrat nach vierjähriger Unterbrechung endlich sein wichtigstes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/21>, abgerufen am 12.05.2024.