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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line Denkschrift des Ministers Witte

war die Furcht. Und mit diese"! elenden Instrument hat man seither viel
erreicht. . , .

In dieser Denkschrift vom Jahre 1899 sagt Witte ans Seite 200: "Die
landschaftlichen Institutionen sind jetzt fast aller Selbständigkeit beraubt und
unter strenge administrative Bevormundung gestellt; sie haben einen ständischen
Anstrich bekommen; ihre Exekntivvrgane erhielten eine büreaukratische Färbung
und sind in starke Abhängigkeit von Gouverneur gesetzt worden; in kurzer Zeit
beabsichtigt mau die strengste Reglementierung der landschaftlichen Thätigkeit
und ihre Herabsetzung auf ein Minimum,"

Nun, das ist offen gesprochen, und wie die Erfahrung gezeigt hat, mich
offen gehandelt. Am 12,/25, Juni 1900 wurde gesetzlich verordnet, daß die
landschaftliche Junnobiliensteuer um nicht mehr als 3 Prozent jährlich erhöht
werden dürfe, und da dies die hauptsächliche Einnahmequelle der Landschaften
ist, so ist ihre ganze Thätigkeit fast zum Stillstand gebracht worden. Zugleich
verloren sie die Selbständigkeit völlig, da ihr Beschlußrecht in die Befugnis
verwandelt wurde, Anträge zu stellen und Vorschläge zu machen. Das heißt
freilich gründlich reglementieren, lind wie kam dieses die Landschaften völlig
lähmende Gesetz vom 12, Juni 190", daS Witte schon 1899 voraussagte, zu¬
stande? Nach den Ergänzungen des Herausgebers der Denkschrift in der Weise,
daß in dein Reichsrate neunzehn Stimmen gegen, zehn Stimmen für den Ent¬
wurf abgegeben wurden, der Zur aber der Minderheit zustimmte. Der Finanz-
minister, Pvbedouoszew, Sipägin vereint vermögen viel, und der Finanz
minister vermochte -- wenigstens vor einem Jahre noch -- am meisten. Eben
deshalb muß uns Deutsche seine Denkschrift doppelt interessieren. Denn wen"
jeder Gebildete hente a"es Anteil nehmen wird a" der Erzählung staatlich-
sozialer Kämpfe, über die bisher wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist, so
werde" wir ganz besonders acht haben müssen ans Äußerungen eines Mannes,
der den Willen und die Macht gezeigt hat, unser großes Nachbarreich in
Bahnen zu zwingen, die vielleicht für lange Zeit entscheidend sein werden.
Entscheidend nicht darüber, ob Rußland bureaukratisch-zentralistisch oder
dezeutrnlistisch - selbstverN'attend regiert werde" soll, denn für uns ist kein
Zweifel a" der llnhaltbarkeit des Wittische", oder sagen wir lieber von Witte
vertretne" Systems für längere Dauer möglich. Zweifelhaft bleibt mir,
welches Eude diese, "ach der Ansicht des Herausgebers der Denkschrift "letzte
Anstrengung des selbstherrlich-bureaukratischen Regimes" nehmen wird. Die
Empfindung von der UnHaltbarkeit dieses Regimes, von der Notwendigkeit,
die Erstarrung zu brechen; das Bedürfnis nach freier Bewegung auf deu
Hanptgebietm des sittlichen Volkslebens, nach kirchlicher und politischer Frei¬
heit und Selbstbestimmung, diese Empfiiiduug, die schon zu el"er Meinung
geworden ist, ist heute sehr groß in Rußland, sehr verbreitet auch bis in die
obersten Schichten des Beamtentums hinauf, Und diesen: Drange" nach Luft
und Licht setzt der thatsächlich leitende Minister die Erklärung entgegen, es
solle SclbstverUialtiing geben, aber nur auf dem Gebiet privater Interessen,


Line Denkschrift des Ministers Witte

war die Furcht. Und mit diese»! elenden Instrument hat man seither viel
erreicht. . , .

In dieser Denkschrift vom Jahre 1899 sagt Witte ans Seite 200: „Die
landschaftlichen Institutionen sind jetzt fast aller Selbständigkeit beraubt und
unter strenge administrative Bevormundung gestellt; sie haben einen ständischen
Anstrich bekommen; ihre Exekntivvrgane erhielten eine büreaukratische Färbung
und sind in starke Abhängigkeit von Gouverneur gesetzt worden; in kurzer Zeit
beabsichtigt mau die strengste Reglementierung der landschaftlichen Thätigkeit
und ihre Herabsetzung auf ein Minimum,"

Nun, das ist offen gesprochen, und wie die Erfahrung gezeigt hat, mich
offen gehandelt. Am 12,/25, Juni 1900 wurde gesetzlich verordnet, daß die
landschaftliche Junnobiliensteuer um nicht mehr als 3 Prozent jährlich erhöht
werden dürfe, und da dies die hauptsächliche Einnahmequelle der Landschaften
ist, so ist ihre ganze Thätigkeit fast zum Stillstand gebracht worden. Zugleich
verloren sie die Selbständigkeit völlig, da ihr Beschlußrecht in die Befugnis
verwandelt wurde, Anträge zu stellen und Vorschläge zu machen. Das heißt
freilich gründlich reglementieren, lind wie kam dieses die Landschaften völlig
lähmende Gesetz vom 12, Juni 190«, daS Witte schon 1899 voraussagte, zu¬
stande? Nach den Ergänzungen des Herausgebers der Denkschrift in der Weise,
daß in dein Reichsrate neunzehn Stimmen gegen, zehn Stimmen für den Ent¬
wurf abgegeben wurden, der Zur aber der Minderheit zustimmte. Der Finanz-
minister, Pvbedouoszew, Sipägin vereint vermögen viel, und der Finanz
minister vermochte — wenigstens vor einem Jahre noch — am meisten. Eben
deshalb muß uns Deutsche seine Denkschrift doppelt interessieren. Denn wen»
jeder Gebildete hente a»es Anteil nehmen wird a» der Erzählung staatlich-
sozialer Kämpfe, über die bisher wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist, so
werde» wir ganz besonders acht haben müssen ans Äußerungen eines Mannes,
der den Willen und die Macht gezeigt hat, unser großes Nachbarreich in
Bahnen zu zwingen, die vielleicht für lange Zeit entscheidend sein werden.
Entscheidend nicht darüber, ob Rußland bureaukratisch-zentralistisch oder
dezeutrnlistisch - selbstverN'attend regiert werde» soll, denn für uns ist kein
Zweifel a» der llnhaltbarkeit des Wittische», oder sagen wir lieber von Witte
vertretne» Systems für längere Dauer möglich. Zweifelhaft bleibt mir,
welches Eude diese, »ach der Ansicht des Herausgebers der Denkschrift „letzte
Anstrengung des selbstherrlich-bureaukratischen Regimes" nehmen wird. Die
Empfindung von der UnHaltbarkeit dieses Regimes, von der Notwendigkeit,
die Erstarrung zu brechen; das Bedürfnis nach freier Bewegung auf deu
Hanptgebietm des sittlichen Volkslebens, nach kirchlicher und politischer Frei¬
heit und Selbstbestimmung, diese Empfiiiduug, die schon zu el»er Meinung
geworden ist, ist heute sehr groß in Rußland, sehr verbreitet auch bis in die
obersten Schichten des Beamtentums hinauf, Und diesen: Drange» nach Luft
und Licht setzt der thatsächlich leitende Minister die Erklärung entgegen, es
solle SclbstverUialtiing geben, aber nur auf dem Gebiet privater Interessen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/325>, abgerufen am 13.05.2024.