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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die englische Tokalvenvaltmig

der Verfasser aus Gründen, die seine Darstellung ergiebt, die Bezeichnung
Selbstverwaltung verwirft. Außerdem sei bemerkt, das; er sich auf England
im engsten Sinne beschränkt, Irland, Schottland und anch London ausschließt.

Die älteste Zeit wird kurz behandelt. Als das charakteristische der eng¬
lischen Entwicklung wird hervorgehoben, daß seit der Verschmelzung der sieben
Königreiche die Staatseinheit in England nicht mehr in Frage gestellt worden
ist; der Gegensatz zwischen der Zentralgewalt und den Territorien hat dort
niemals den Sinn gehabt, das; diese die Auflösung des Staats erstrebt hätten.
Vielmehr wurde nur gefordert, daß die Zentralgewalt gesetzlich verfahre und
mit deu Territorialverwaltungcn organisch verbunden werde. Gegen die Willkür
der Normanuenhäuptlinge ist die Magna Charta gerichtet, und deu geschichtlich
gewordnen angelsächsischen Territorien, den Grafschaften, sichert sie ihr Recht.
Als die in dieser Beziehung wichtigsten Bestimmungen der alten Verfassungs-
urkunde hebt Redlich hervor: daß die Gerichtsbarkeit nicht mehr dem Königs¬
hofe folgen, sondern einen festen Sitz haben soll, daß reisende Richter im
ganzen Lande Gerichtstage (assi^Sö) abhalten, und daß bei der Verurteilung
zu Polizcistrafcn die Nachbarn des Angeklagten mitwirken sollen. Eduard III.
macht dann die Friedensrichter zu Trägern der Königsgewalt. Sie müssen
in der Grafschaft ansässig sein und werden vom König ans Widerruf ernannt.
In den Vicrteljahrssitzungcn urteilen sie mit den reisenden Richtern des Königs
und einer Jury zusammen über die Kriminalfälle, außerdem übt jeder in
seinem Bezirk die Polizeigewalt und führt die von demselben König erlassenen
Arbeitergesetze aus. Die Friedensrichter sind vor allem Richter, d. h. zur Aus¬
führung der Gesetze berufen und um diese, das ungeschriebne Coiumon Law und
das ans königlichen Erlassen und StaatSverträgen bestehende Statute Law,
gebunden; el" Teil von ihnen muß rechtsgelehrt sein. Gegen die Verfügungen
des Friedensrichters kann in Form eines Bittgesuchs beim König Beschwerde
geführt werden. Wenn auch die Friedensrichter der Grafschaften Gutsbesitzer
sind, so richten sie doch nicht als solche, sondern als absetzbare königliche Be¬
amte. Es giebt also von da ab in England, einige privilegierte Ausnahme"
abgerechnet, keinen Jurisdiktiousfeudalismus mehr, sondern uur uoch einen
wirtschaftlichen. Die Zins- und Fronbauern sind nicht Unterthanen des Guts¬
herrn. Zur Gesetzgebung wirken die Grafschaften und Gemeinden, deren Ver¬
treter die Parlamentsmitglieder siud, in doppelter Weise mit, einmal dnrch die
Mitarbeit an den Public General Statutes, deu für das ganze Land erlassenen
Gesetzen, dann als Schöpfer der Private oder Local Statutes, die auf die
Beschwerde" einzelner Gemeinden nur für diese allem erlassen werden. So
war "ans der einen Seite die königliche Zentralgewalt dnrch das Institut der
Friedensrichter gleichsam tcrritorialisiert, und dadurch el" für allemal die
lebendige Individualität der territorialen Verbände für Gericht und Verwal¬
tung feierlich anerkannt worden; andrerseits war diesen Verbänden durch ihre
Zusammenfassung im Parlament ein neuer direkter Einfluß auf die Gesetz¬
gebung und Zentralverwaltung, sowie ein neues Zentralorgan zur Befriedigung


Die englische Tokalvenvaltmig

der Verfasser aus Gründen, die seine Darstellung ergiebt, die Bezeichnung
Selbstverwaltung verwirft. Außerdem sei bemerkt, das; er sich auf England
im engsten Sinne beschränkt, Irland, Schottland und anch London ausschließt.

Die älteste Zeit wird kurz behandelt. Als das charakteristische der eng¬
lischen Entwicklung wird hervorgehoben, daß seit der Verschmelzung der sieben
Königreiche die Staatseinheit in England nicht mehr in Frage gestellt worden
ist; der Gegensatz zwischen der Zentralgewalt und den Territorien hat dort
niemals den Sinn gehabt, das; diese die Auflösung des Staats erstrebt hätten.
Vielmehr wurde nur gefordert, daß die Zentralgewalt gesetzlich verfahre und
mit deu Territorialverwaltungcn organisch verbunden werde. Gegen die Willkür
der Normanuenhäuptlinge ist die Magna Charta gerichtet, und deu geschichtlich
gewordnen angelsächsischen Territorien, den Grafschaften, sichert sie ihr Recht.
Als die in dieser Beziehung wichtigsten Bestimmungen der alten Verfassungs-
urkunde hebt Redlich hervor: daß die Gerichtsbarkeit nicht mehr dem Königs¬
hofe folgen, sondern einen festen Sitz haben soll, daß reisende Richter im
ganzen Lande Gerichtstage (assi^Sö) abhalten, und daß bei der Verurteilung
zu Polizcistrafcn die Nachbarn des Angeklagten mitwirken sollen. Eduard III.
macht dann die Friedensrichter zu Trägern der Königsgewalt. Sie müssen
in der Grafschaft ansässig sein und werden vom König ans Widerruf ernannt.
In den Vicrteljahrssitzungcn urteilen sie mit den reisenden Richtern des Königs
und einer Jury zusammen über die Kriminalfälle, außerdem übt jeder in
seinem Bezirk die Polizeigewalt und führt die von demselben König erlassenen
Arbeitergesetze aus. Die Friedensrichter sind vor allem Richter, d. h. zur Aus¬
führung der Gesetze berufen und um diese, das ungeschriebne Coiumon Law und
das ans königlichen Erlassen und StaatSverträgen bestehende Statute Law,
gebunden; el» Teil von ihnen muß rechtsgelehrt sein. Gegen die Verfügungen
des Friedensrichters kann in Form eines Bittgesuchs beim König Beschwerde
geführt werden. Wenn auch die Friedensrichter der Grafschaften Gutsbesitzer
sind, so richten sie doch nicht als solche, sondern als absetzbare königliche Be¬
amte. Es giebt also von da ab in England, einige privilegierte Ausnahme»
abgerechnet, keinen Jurisdiktiousfeudalismus mehr, sondern uur uoch einen
wirtschaftlichen. Die Zins- und Fronbauern sind nicht Unterthanen des Guts¬
herrn. Zur Gesetzgebung wirken die Grafschaften und Gemeinden, deren Ver¬
treter die Parlamentsmitglieder siud, in doppelter Weise mit, einmal dnrch die
Mitarbeit an den Public General Statutes, deu für das ganze Land erlassenen
Gesetzen, dann als Schöpfer der Private oder Local Statutes, die auf die
Beschwerde» einzelner Gemeinden nur für diese allem erlassen werden. So
war „ans der einen Seite die königliche Zentralgewalt dnrch das Institut der
Friedensrichter gleichsam tcrritorialisiert, und dadurch el» für allemal die
lebendige Individualität der territorialen Verbände für Gericht und Verwal¬
tung feierlich anerkannt worden; andrerseits war diesen Verbänden durch ihre
Zusammenfassung im Parlament ein neuer direkter Einfluß auf die Gesetz¬
gebung und Zentralverwaltung, sowie ein neues Zentralorgan zur Befriedigung


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[0442] Die englische Tokalvenvaltmig der Verfasser aus Gründen, die seine Darstellung ergiebt, die Bezeichnung Selbstverwaltung verwirft. Außerdem sei bemerkt, das; er sich auf England im engsten Sinne beschränkt, Irland, Schottland und anch London ausschließt. Die älteste Zeit wird kurz behandelt. Als das charakteristische der eng¬ lischen Entwicklung wird hervorgehoben, daß seit der Verschmelzung der sieben Königreiche die Staatseinheit in England nicht mehr in Frage gestellt worden ist; der Gegensatz zwischen der Zentralgewalt und den Territorien hat dort niemals den Sinn gehabt, das; diese die Auflösung des Staats erstrebt hätten. Vielmehr wurde nur gefordert, daß die Zentralgewalt gesetzlich verfahre und mit deu Territorialverwaltungcn organisch verbunden werde. Gegen die Willkür der Normanuenhäuptlinge ist die Magna Charta gerichtet, und deu geschichtlich gewordnen angelsächsischen Territorien, den Grafschaften, sichert sie ihr Recht. Als die in dieser Beziehung wichtigsten Bestimmungen der alten Verfassungs- urkunde hebt Redlich hervor: daß die Gerichtsbarkeit nicht mehr dem Königs¬ hofe folgen, sondern einen festen Sitz haben soll, daß reisende Richter im ganzen Lande Gerichtstage (assi^Sö) abhalten, und daß bei der Verurteilung zu Polizcistrafcn die Nachbarn des Angeklagten mitwirken sollen. Eduard III. macht dann die Friedensrichter zu Trägern der Königsgewalt. Sie müssen in der Grafschaft ansässig sein und werden vom König ans Widerruf ernannt. In den Vicrteljahrssitzungcn urteilen sie mit den reisenden Richtern des Königs und einer Jury zusammen über die Kriminalfälle, außerdem übt jeder in seinem Bezirk die Polizeigewalt und führt die von demselben König erlassenen Arbeitergesetze aus. Die Friedensrichter sind vor allem Richter, d. h. zur Aus¬ führung der Gesetze berufen und um diese, das ungeschriebne Coiumon Law und das ans königlichen Erlassen und StaatSverträgen bestehende Statute Law, gebunden; el» Teil von ihnen muß rechtsgelehrt sein. Gegen die Verfügungen des Friedensrichters kann in Form eines Bittgesuchs beim König Beschwerde geführt werden. Wenn auch die Friedensrichter der Grafschaften Gutsbesitzer sind, so richten sie doch nicht als solche, sondern als absetzbare königliche Be¬ amte. Es giebt also von da ab in England, einige privilegierte Ausnahme» abgerechnet, keinen Jurisdiktiousfeudalismus mehr, sondern uur uoch einen wirtschaftlichen. Die Zins- und Fronbauern sind nicht Unterthanen des Guts¬ herrn. Zur Gesetzgebung wirken die Grafschaften und Gemeinden, deren Ver¬ treter die Parlamentsmitglieder siud, in doppelter Weise mit, einmal dnrch die Mitarbeit an den Public General Statutes, deu für das ganze Land erlassenen Gesetzen, dann als Schöpfer der Private oder Local Statutes, die auf die Beschwerde» einzelner Gemeinden nur für diese allem erlassen werden. So war „ans der einen Seite die königliche Zentralgewalt dnrch das Institut der Friedensrichter gleichsam tcrritorialisiert, und dadurch el» für allemal die lebendige Individualität der territorialen Verbände für Gericht und Verwal¬ tung feierlich anerkannt worden; andrerseits war diesen Verbänden durch ihre Zusammenfassung im Parlament ein neuer direkter Einfluß auf die Gesetz¬ gebung und Zentralverwaltung, sowie ein neues Zentralorgan zur Befriedigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/442>, abgerufen am 13.05.2024.