Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs dazu nicht imstande sei. Hätten die fremden Mächte dem chinesischen Reiche Darüber hinaus hat Deutschland seine eigne Stellung in China ganz Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs dazu nicht imstande sei. Hätten die fremden Mächte dem chinesischen Reiche Darüber hinaus hat Deutschland seine eigne Stellung in China ganz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235230"/> <fw type="header" place="top"> Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs</fw><lb/> <p xml:id="ID_221" prev="#ID_220"> dazu nicht imstande sei. Hätten die fremden Mächte dem chinesischen Reiche<lb/> förmlich den Krieg erklärt, wozu sie ohne Zweifel das volle Recht gehabt<lb/> Hütten, was wäre die Folge gewesen? Unsre Handelsbeziehungen zu China<lb/> wären vollständig unterbrochen, die friedlichen Elemente in China zur Gegen¬<lb/> wehr, also zum Anschluß an die Boxer getrieben worden, die Integrität des<lb/> Reichs wäre uicht mehr zu behaupten, die Festsetzung der fremden Mächte in<lb/> den verschiedensten Teilen des Nicsenreichs, also die thatsächliche Teilung<lb/> Chinas nicht zu verhindern gewesen; damit aber wäre ein Zusammenstoß<lb/> zwischen den eifersüchtigen Mächten, vielleicht ein allgemeiner Krieg in drohende<lb/> Nähe gerückt worden, und wir stünden jetzt nicht am Ende, sondern am An¬<lb/> fange unabsehbarer Verwicklungen, ohne auch nur entfernt über die Kriegs¬<lb/> flotte zu gebieten, die uns erst im vollen Sinne zu einem Wertvollen Bundes¬<lb/> genossen oder zu einem gefährlichen Feinde machen würde. Das alles ist<lb/> vermieden worden, ohne daß unser gutes Verhältnis zu Rußland trotz des<lb/> zweideutigen Spiels der russischen Politik in China erschüttert worden wäre,<lb/> und sogar mit dem Gewinn, daß England näher ein Dentschland herangedrängt<lb/> und zum Verzicht auf seinen Lieblingsgedanken genötigt worden ist, das Thal<lb/> des Jcmgtse, den besten Teil Chinas, in seine ausschließliche „Interessensphäre"<lb/> zu verwandeln. Wenn aber trotz großer Schwierigkeiten das Einvernehme»<lb/> der Mächte bis zum Ende erhalten blieb — und nur ein Thor konnte sich<lb/> über diese Schwierigkeiten wundern, die bei jedem Kvnlitionskriege unvermeid¬<lb/> lich sind —, so gebührt daran ohne Frage auch dem Grafen Walversee ein<lb/> großes Verdienst. Sei» persönliches Ausehen, sein Takt und seine Umsicht<lb/> wußten die uicht seltnen Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Trnppenteilen<lb/> auszugleichen, sein militärischer Scharfblick und die Beschränkung auf ein ganz<lb/> bestimmtes Ziel verstanden die ihm gestellte Aufgabe, die Befriedung der Pro¬<lb/> vinz Petschili, mit vollem Erfolge zu losen. Schließlich hat seine energische<lb/> Drohung, eine Expedition gegen die jetzige Residenz Singanfn zu schicken, den<lb/> chinesischen Hof zur raschen Annahme der Bedingungen genötigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_222" next="#ID_223"> Darüber hinaus hat Deutschland seine eigne Stellung in China ganz<lb/> wesentlich verstärkt. Das aufblühende Tsingtau ist schon jetzt so ziemlich mit<lb/> allen Einrichtungen versehen, die ein ansehnlicher Hafen und Garnisonplatz<lb/> verlangt, es ist während der Unruhen auch befestigt worden, und die Eisen¬<lb/> bahnlinie, die ins Innere der Provinz Schankung führen soll, ist bis zur<lb/> Stadt Kiautschou auf eine Strecke von 74 Kilometern trotz manchen Störungen<lb/> vollendet worden. Darüber geben die Denkschriften des Marineamts über<lb/> die Entwicklung des Kiautschongebiets (Berlin 18V8/1900) ausführliche Rechen¬<lb/> schaft. Der Oktvbervertrag mit England hat für das unermeßliche Jangtse-<lb/> gebiet den Grundsatz der offnen Thüren aufgestellt, es also nnserm Handel<lb/> geöffnet; schon befährt eine stattliche Dampferflotte des Norddeutschen Llvyds<lb/> den gewaltigen Strom, und in Shanghai steht eine deutsche Besatzung.<lb/> Ebensoviel oder noch mehr null es bedeuten, daß Deutschland seinen neuen<lb/> Anspruch, als Weltmacht zu gelten, vor aller Welt glänzend gerechtfertigt hat.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs
dazu nicht imstande sei. Hätten die fremden Mächte dem chinesischen Reiche
förmlich den Krieg erklärt, wozu sie ohne Zweifel das volle Recht gehabt
Hütten, was wäre die Folge gewesen? Unsre Handelsbeziehungen zu China
wären vollständig unterbrochen, die friedlichen Elemente in China zur Gegen¬
wehr, also zum Anschluß an die Boxer getrieben worden, die Integrität des
Reichs wäre uicht mehr zu behaupten, die Festsetzung der fremden Mächte in
den verschiedensten Teilen des Nicsenreichs, also die thatsächliche Teilung
Chinas nicht zu verhindern gewesen; damit aber wäre ein Zusammenstoß
zwischen den eifersüchtigen Mächten, vielleicht ein allgemeiner Krieg in drohende
Nähe gerückt worden, und wir stünden jetzt nicht am Ende, sondern am An¬
fange unabsehbarer Verwicklungen, ohne auch nur entfernt über die Kriegs¬
flotte zu gebieten, die uns erst im vollen Sinne zu einem Wertvollen Bundes¬
genossen oder zu einem gefährlichen Feinde machen würde. Das alles ist
vermieden worden, ohne daß unser gutes Verhältnis zu Rußland trotz des
zweideutigen Spiels der russischen Politik in China erschüttert worden wäre,
und sogar mit dem Gewinn, daß England näher ein Dentschland herangedrängt
und zum Verzicht auf seinen Lieblingsgedanken genötigt worden ist, das Thal
des Jcmgtse, den besten Teil Chinas, in seine ausschließliche „Interessensphäre"
zu verwandeln. Wenn aber trotz großer Schwierigkeiten das Einvernehme»
der Mächte bis zum Ende erhalten blieb — und nur ein Thor konnte sich
über diese Schwierigkeiten wundern, die bei jedem Kvnlitionskriege unvermeid¬
lich sind —, so gebührt daran ohne Frage auch dem Grafen Walversee ein
großes Verdienst. Sei» persönliches Ausehen, sein Takt und seine Umsicht
wußten die uicht seltnen Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Trnppenteilen
auszugleichen, sein militärischer Scharfblick und die Beschränkung auf ein ganz
bestimmtes Ziel verstanden die ihm gestellte Aufgabe, die Befriedung der Pro¬
vinz Petschili, mit vollem Erfolge zu losen. Schließlich hat seine energische
Drohung, eine Expedition gegen die jetzige Residenz Singanfn zu schicken, den
chinesischen Hof zur raschen Annahme der Bedingungen genötigt.
Darüber hinaus hat Deutschland seine eigne Stellung in China ganz
wesentlich verstärkt. Das aufblühende Tsingtau ist schon jetzt so ziemlich mit
allen Einrichtungen versehen, die ein ansehnlicher Hafen und Garnisonplatz
verlangt, es ist während der Unruhen auch befestigt worden, und die Eisen¬
bahnlinie, die ins Innere der Provinz Schankung führen soll, ist bis zur
Stadt Kiautschou auf eine Strecke von 74 Kilometern trotz manchen Störungen
vollendet worden. Darüber geben die Denkschriften des Marineamts über
die Entwicklung des Kiautschongebiets (Berlin 18V8/1900) ausführliche Rechen¬
schaft. Der Oktvbervertrag mit England hat für das unermeßliche Jangtse-
gebiet den Grundsatz der offnen Thüren aufgestellt, es also nnserm Handel
geöffnet; schon befährt eine stattliche Dampferflotte des Norddeutschen Llvyds
den gewaltigen Strom, und in Shanghai steht eine deutsche Besatzung.
Ebensoviel oder noch mehr null es bedeuten, daß Deutschland seinen neuen
Anspruch, als Weltmacht zu gelten, vor aller Welt glänzend gerechtfertigt hat.
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