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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs

großen Worten bei der Ausreise die Thaten keineswegs entsprächen, man
spöttelte über den "Wcltmarschall," der jn, wie man höhnisch bemerkte, bei
den Truppen der andern Machte kaum Gehorsam finde und zum Entsatze von
Peking zu spät gekommen sei, als ob damit schon alles zu Ende gewesen
wäre, und die Hauptarbeit nicht vielmehr erst begonnen hätte, bis endlich das
Wolzogensche "Überbrettl" es fertig brachte, ihn ans offner Buhne zu ver¬
höhnen, eine nackte Gemeinheit, die nur von der Gemeinheit der beifall-
klatschenden großstädtischen Zuhörerschaften in Berlin, Leipzig und anderwärts
übertroffen und nicht etwa von einem reichsdentschen Publikum, sondern erst
von den wackern Deutsch-Österreichern in Graz mit gebührender Entrüstung
zurückgewiesen wurde, Vou der nicht viel größern Niederträchtigkeit der sozial-
demokratischen Erfindung der "Hunneubriefe" wollen wir ganz schweigen.
Kurz, ein guter Teil unsrer "nationalen" Presse und der Leserwelt, die aus
ihr die politischen Meinungen holt, weit entfernt davon, patriotischen Stolz
über das, was in China geleistet wurde, zu empfinden und sich darüber zu
freuen, daß unsre ruhmvollen Fahnen in Peking und an der Große" Mauer
wehte", hat sich während des ersten deutschen Kolonialkriegs, wo Dentschland
die Probe auf die kaiserliche Weltpolitik rühmlich bestand, kleinlich, feig, ja
gemein benommen, niieingedeuk des alten derben Sprichworts: "Ein schlechter
Vogel, der sein eignes Nest beschmutzt," Dabei schimpft man aus allen Ton¬
arten auf die Engländer und will nicht scheu, daß das englische Volk in dem
verlustvollcn, aufreibenden, endlosen afrikanischen Kriege trotz der schwersten
Enttäuschungen und ungeheurer Opfer wie ein Mann hinter seiner Regierung
steht, der ganzen außerenglischen Welt zum Trotze, die ihn mit vollem Rechte
für ungerecht und verwerflich hält. Wie weit sind wir Deutschen doch noch
von der stolzen, mannhaften Gesinnung des Satzes entfernt: KiZut or vrou^,
oountrzs! und das bei einem Feldzuge, der zur Sühne des schwersten Ver¬
brechens gegen das Völkerrecht unternommen werden mußte!

"Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können,"
so rief einst Fürst Bismarck ans. Das amtliche und das militärische Deutsch¬
land hat bewiese", daß es auch die schwersten Hindernisse nehmen kann aber
,* das deutsche Volk hat noch immer nicht reiten gelernt.




Die Ergebnisse des chinesischen Feldzugs

großen Worten bei der Ausreise die Thaten keineswegs entsprächen, man
spöttelte über den „Wcltmarschall," der jn, wie man höhnisch bemerkte, bei
den Truppen der andern Machte kaum Gehorsam finde und zum Entsatze von
Peking zu spät gekommen sei, als ob damit schon alles zu Ende gewesen
wäre, und die Hauptarbeit nicht vielmehr erst begonnen hätte, bis endlich das
Wolzogensche „Überbrettl" es fertig brachte, ihn ans offner Buhne zu ver¬
höhnen, eine nackte Gemeinheit, die nur von der Gemeinheit der beifall-
klatschenden großstädtischen Zuhörerschaften in Berlin, Leipzig und anderwärts
übertroffen und nicht etwa von einem reichsdentschen Publikum, sondern erst
von den wackern Deutsch-Österreichern in Graz mit gebührender Entrüstung
zurückgewiesen wurde, Vou der nicht viel größern Niederträchtigkeit der sozial-
demokratischen Erfindung der „Hunneubriefe" wollen wir ganz schweigen.
Kurz, ein guter Teil unsrer „nationalen" Presse und der Leserwelt, die aus
ihr die politischen Meinungen holt, weit entfernt davon, patriotischen Stolz
über das, was in China geleistet wurde, zu empfinden und sich darüber zu
freuen, daß unsre ruhmvollen Fahnen in Peking und an der Große» Mauer
wehte», hat sich während des ersten deutschen Kolonialkriegs, wo Dentschland
die Probe auf die kaiserliche Weltpolitik rühmlich bestand, kleinlich, feig, ja
gemein benommen, niieingedeuk des alten derben Sprichworts: „Ein schlechter
Vogel, der sein eignes Nest beschmutzt," Dabei schimpft man aus allen Ton¬
arten auf die Engländer und will nicht scheu, daß das englische Volk in dem
verlustvollcn, aufreibenden, endlosen afrikanischen Kriege trotz der schwersten
Enttäuschungen und ungeheurer Opfer wie ein Mann hinter seiner Regierung
steht, der ganzen außerenglischen Welt zum Trotze, die ihn mit vollem Rechte
für ungerecht und verwerflich hält. Wie weit sind wir Deutschen doch noch
von der stolzen, mannhaften Gesinnung des Satzes entfernt: KiZut or vrou^,
oountrzs! und das bei einem Feldzuge, der zur Sühne des schwersten Ver¬
brechens gegen das Völkerrecht unternommen werden mußte!

„Setzen wir Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können,"
so rief einst Fürst Bismarck ans. Das amtliche und das militärische Deutsch¬
land hat bewiese«, daß es auch die schwersten Hindernisse nehmen kann aber
,* das deutsche Volk hat noch immer nicht reiten gelernt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/61>, abgerufen am 11.05.2024.