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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

feinem Porzellan, Fayencegut und Metallgerät, wieviel kleine Skulpturen,
Teppiche und Vorhänge dazumal sogar in Zimmern zu finden waren, deren
Bewohner nach der Art, wie wir sie ihre Arbeit und ihr Vergnügen betreiben
sehen, wenig zu einer so kostbaren Umgebung zu passen scheinen. Bezeugt uns
doch allein schon die ungeheure Menge dieser Bilder selbst, bis in wie tiefe
Schichten hinab der Wohlstand und mit ihm die Freude am Schönen, die
künstlerische Kultur, gedrungen war. Wie äußerlich und plunderhnft nimmt
sich dagegen der Prunk aus, mit dem sich heute unsre Allerreichsten umgeben!
Zu was für Betrachtungen wird Wohl ihr "Sittenbild" dermaleinst die Nach¬
welt anregen?

Wir sahen, daß Terborch und die Gesellschaftsmaler des Frans Haifischen
Kreises die angedeuteten Voraussetzungen ebenso erfüllten wie die Bauernmaler
Ostade oder wie Teniers, und wenn bei Brouwer und den vlämischen Bauern-
malern die Aktion lebhafter und heftiger war, so wurde sie dadurch nicht
weniger allgemein verständlich, denn eine Prügelei wird niemand für ein be¬
stimmtes historisches Ereignis halten, nach dessen Erklärung er suchen müßte.
Die feinern holländischen Genremaler, gleichviel ob sie wie Terborch höhere
oder wie die beiden Ostade niedere Menschen darstellen, wirken -- wie die
Venetianer in ihrem Existenz- und Sittenbilde -- weniger durch den Vorgang
als durch das Zustündliche, wobei außer den Figuren die Umgebung und das
Malerische der Erscheinung in Farben und Licht bedeutend mitsprechen. Dieses
Wie wurde dann bei den Malern des Rembrandtschen Kreises zur Hauptsache,
sodaß wir bei Nikolaus Mach oder dem Deister van der Meer und bei Pieter
de Hooch kaum noch gefragt haben, was der Gegenstand bedeute.

Eine andre Richtung wieder nehmen die Maler, die wir hier zu betrachten
haben. Sie stammen fast alle aus Leyden, und die meisten von ihnen bleiben
auch mit ihrer Heimat verbunden; der älteste ist Gerard Don, Rembrandts
einstiger Schüler. Mehr als das Porträt, das immer unter dem Eindruck und
im Angesicht der auffrischenden Natur entsteht, war dieses Genrebild mit seinem
geringen Handlungsinhalt der Gefahr der Verflachung ausgesetzt. Brouwer
und die vlämischen Bauernmaler suchten ihr durch Derbheit bis zur Karikierung
zu entgehn. Don hingegen und seine zahlreichen Nachfolger verfeinern den
Ausdruck ihrer Gegenstände in Zeichnung und farbigem Licht, ohne ihn zu
vertiefen, Personen und Sachen gelten ihnen gleich, und zuletzt werden wir
sie bei einer äußerlichen, seelenlosen Kunstfertigkeit anlangen sehen. Metsu,
der nach Amsterdam geht, bleibt nicht bei der Feinmalerei stehn, er ist viel¬
seitiger, psychologisch merkwürdiger, auch im Malerischen reicher. Der inter¬
essanteste aber ist Jan Steen, er giebt der Genremalerei ganz neue Inhalte,
sein Stoffgebiet ist umfangreicher als das aller andern. Sie können einförmig
werden, sogar Metsu, weil er zu wenig Handlung hat. Jan Steen bleibt
immer frisch, und wir könnten sein ganzes Werk ohne Ermüdung bis zu Ende
durchgehn. In der Auffassung und, wenn er sorgfältig ist, auch in der künst¬
lerischen Durchführung nimmt er es mit jedem auf.


Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

feinem Porzellan, Fayencegut und Metallgerät, wieviel kleine Skulpturen,
Teppiche und Vorhänge dazumal sogar in Zimmern zu finden waren, deren
Bewohner nach der Art, wie wir sie ihre Arbeit und ihr Vergnügen betreiben
sehen, wenig zu einer so kostbaren Umgebung zu passen scheinen. Bezeugt uns
doch allein schon die ungeheure Menge dieser Bilder selbst, bis in wie tiefe
Schichten hinab der Wohlstand und mit ihm die Freude am Schönen, die
künstlerische Kultur, gedrungen war. Wie äußerlich und plunderhnft nimmt
sich dagegen der Prunk aus, mit dem sich heute unsre Allerreichsten umgeben!
Zu was für Betrachtungen wird Wohl ihr „Sittenbild" dermaleinst die Nach¬
welt anregen?

Wir sahen, daß Terborch und die Gesellschaftsmaler des Frans Haifischen
Kreises die angedeuteten Voraussetzungen ebenso erfüllten wie die Bauernmaler
Ostade oder wie Teniers, und wenn bei Brouwer und den vlämischen Bauern-
malern die Aktion lebhafter und heftiger war, so wurde sie dadurch nicht
weniger allgemein verständlich, denn eine Prügelei wird niemand für ein be¬
stimmtes historisches Ereignis halten, nach dessen Erklärung er suchen müßte.
Die feinern holländischen Genremaler, gleichviel ob sie wie Terborch höhere
oder wie die beiden Ostade niedere Menschen darstellen, wirken — wie die
Venetianer in ihrem Existenz- und Sittenbilde — weniger durch den Vorgang
als durch das Zustündliche, wobei außer den Figuren die Umgebung und das
Malerische der Erscheinung in Farben und Licht bedeutend mitsprechen. Dieses
Wie wurde dann bei den Malern des Rembrandtschen Kreises zur Hauptsache,
sodaß wir bei Nikolaus Mach oder dem Deister van der Meer und bei Pieter
de Hooch kaum noch gefragt haben, was der Gegenstand bedeute.

Eine andre Richtung wieder nehmen die Maler, die wir hier zu betrachten
haben. Sie stammen fast alle aus Leyden, und die meisten von ihnen bleiben
auch mit ihrer Heimat verbunden; der älteste ist Gerard Don, Rembrandts
einstiger Schüler. Mehr als das Porträt, das immer unter dem Eindruck und
im Angesicht der auffrischenden Natur entsteht, war dieses Genrebild mit seinem
geringen Handlungsinhalt der Gefahr der Verflachung ausgesetzt. Brouwer
und die vlämischen Bauernmaler suchten ihr durch Derbheit bis zur Karikierung
zu entgehn. Don hingegen und seine zahlreichen Nachfolger verfeinern den
Ausdruck ihrer Gegenstände in Zeichnung und farbigem Licht, ohne ihn zu
vertiefen, Personen und Sachen gelten ihnen gleich, und zuletzt werden wir
sie bei einer äußerlichen, seelenlosen Kunstfertigkeit anlangen sehen. Metsu,
der nach Amsterdam geht, bleibt nicht bei der Feinmalerei stehn, er ist viel¬
seitiger, psychologisch merkwürdiger, auch im Malerischen reicher. Der inter¬
essanteste aber ist Jan Steen, er giebt der Genremalerei ganz neue Inhalte,
sein Stoffgebiet ist umfangreicher als das aller andern. Sie können einförmig
werden, sogar Metsu, weil er zu wenig Handlung hat. Jan Steen bleibt
immer frisch, und wir könnten sein ganzes Werk ohne Ermüdung bis zu Ende
durchgehn. In der Auffassung und, wenn er sorgfältig ist, auch in der künst¬
lerischen Durchführung nimmt er es mit jedem auf.


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[0631] Jan Steen und das Sittenbild der Holländer feinem Porzellan, Fayencegut und Metallgerät, wieviel kleine Skulpturen, Teppiche und Vorhänge dazumal sogar in Zimmern zu finden waren, deren Bewohner nach der Art, wie wir sie ihre Arbeit und ihr Vergnügen betreiben sehen, wenig zu einer so kostbaren Umgebung zu passen scheinen. Bezeugt uns doch allein schon die ungeheure Menge dieser Bilder selbst, bis in wie tiefe Schichten hinab der Wohlstand und mit ihm die Freude am Schönen, die künstlerische Kultur, gedrungen war. Wie äußerlich und plunderhnft nimmt sich dagegen der Prunk aus, mit dem sich heute unsre Allerreichsten umgeben! Zu was für Betrachtungen wird Wohl ihr „Sittenbild" dermaleinst die Nach¬ welt anregen? Wir sahen, daß Terborch und die Gesellschaftsmaler des Frans Haifischen Kreises die angedeuteten Voraussetzungen ebenso erfüllten wie die Bauernmaler Ostade oder wie Teniers, und wenn bei Brouwer und den vlämischen Bauern- malern die Aktion lebhafter und heftiger war, so wurde sie dadurch nicht weniger allgemein verständlich, denn eine Prügelei wird niemand für ein be¬ stimmtes historisches Ereignis halten, nach dessen Erklärung er suchen müßte. Die feinern holländischen Genremaler, gleichviel ob sie wie Terborch höhere oder wie die beiden Ostade niedere Menschen darstellen, wirken — wie die Venetianer in ihrem Existenz- und Sittenbilde — weniger durch den Vorgang als durch das Zustündliche, wobei außer den Figuren die Umgebung und das Malerische der Erscheinung in Farben und Licht bedeutend mitsprechen. Dieses Wie wurde dann bei den Malern des Rembrandtschen Kreises zur Hauptsache, sodaß wir bei Nikolaus Mach oder dem Deister van der Meer und bei Pieter de Hooch kaum noch gefragt haben, was der Gegenstand bedeute. Eine andre Richtung wieder nehmen die Maler, die wir hier zu betrachten haben. Sie stammen fast alle aus Leyden, und die meisten von ihnen bleiben auch mit ihrer Heimat verbunden; der älteste ist Gerard Don, Rembrandts einstiger Schüler. Mehr als das Porträt, das immer unter dem Eindruck und im Angesicht der auffrischenden Natur entsteht, war dieses Genrebild mit seinem geringen Handlungsinhalt der Gefahr der Verflachung ausgesetzt. Brouwer und die vlämischen Bauernmaler suchten ihr durch Derbheit bis zur Karikierung zu entgehn. Don hingegen und seine zahlreichen Nachfolger verfeinern den Ausdruck ihrer Gegenstände in Zeichnung und farbigem Licht, ohne ihn zu vertiefen, Personen und Sachen gelten ihnen gleich, und zuletzt werden wir sie bei einer äußerlichen, seelenlosen Kunstfertigkeit anlangen sehen. Metsu, der nach Amsterdam geht, bleibt nicht bei der Feinmalerei stehn, er ist viel¬ seitiger, psychologisch merkwürdiger, auch im Malerischen reicher. Der inter¬ essanteste aber ist Jan Steen, er giebt der Genremalerei ganz neue Inhalte, sein Stoffgebiet ist umfangreicher als das aller andern. Sie können einförmig werden, sogar Metsu, weil er zu wenig Handlung hat. Jan Steen bleibt immer frisch, und wir könnten sein ganzes Werk ohne Ermüdung bis zu Ende durchgehn. In der Auffassung und, wenn er sorgfältig ist, auch in der künst¬ lerischen Durchführung nimmt er es mit jedem auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/631>, abgerufen am 12.05.2024.