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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

Gesellschaft" des Louvre, wo ein eingeschlafner junger Herr in einem feinaus-
gestnttete>l Zimmer von den Weibern ausgeplündert wird, während der Violinist
noch spielt, mehr in der Art eines Dirck Hals oder Pot <man vergleiche dessen
Bild im Haag).

Die besten Bilder Jan seems sind, wie die nun häufiger werdenden
Datierungen zeigen, zwischen 1660 und 1670 entstanden. In der Malerei
hat ihn Haarlem am meisten gefördert, aber als erfindender Künstler überholt
er die Haarlemer, ein Leydener Kind, das in Hochschnllnft aufgewachsen und
sogar einmal als Student eingeschrieben worden ist. Ein lehrhafter und mora¬
lisierender Zug geht durch seine Kunst und sucht sich bisweilen el" Ventil in
gereimten Beischriften. Er hat das Interesse seines Stadtgenossen Rembrandt
für das Physiognomische und außerdem noch den Sinn für das Lächerliche,
die Schwächen des menschlichen Lebens. Aber sein Spott ist nicht boshaft
oder gar bitter, und wenn er die Stilhöhe des Satirikers erreicht Hütte, die
ihm manche gewünscht haben, so würde er uns als Künstler sicher um so
langweiliger sein. Ein gutherziger, leichtlebiger Gesell, dem das Lachen Be¬
dürfnis war, wie Frans Hals. Man sieht es seinem Gesicht an, denn immer
wieder hat er sich selbst ans seinen Bildern dargestellt, sehr oft auch im Kreise
der Seinen, sodaß wir die Entwicklung der einzelnen Kinder verfolgen können,
und eine Nikolasbescheruug oder eine Prinzengeburtstagsfeier (Prinsjesdag --
beide im Reichsmuseum, um 1660) zugleich ein Jan Steensches Familienbildnis
ist. Er muß überhaupt sehr kinderlieb gewesen sein, und manchmal, wenn er
Kinder und junge Leute malt, wird er förmlich zart und weich. Dieses persön¬
liche Verhältnis zu seiner Kunst giebt seinen vollkommensten Bildern eine große
natürliche Wärme, die minder vollendeten und flüchtigen sind dafür aber, weil
ihm das Modellmäßige widerstrebte, um so kunstloser ausgefallen. Man hat
ihn später oft mit Moliere verglichen, weil er sich über das Possenhafte er¬
hoben und die Komödie des menschlichen Lebens gemalt habe mit allgemeinen,
nicht bloß holländischen Typen. Die Zeit, die unsre heutige" öffentlichen
Galerien füllte, dachte noch nicht so, darum ist Jan Steen von allen hollän¬
dischen Genremalern bei uns am wenigsten gut vertreten. In England da¬
gegen, wo man auf ihn durch den Hogarthkultus einigermaßen vorbereitet war
erläuterte ihn im achtzehnten Jahrhundert Reynolds nach seinen künstlerischen
Vorzügen und fand sogar Beziehungen mit Raffacl, und dann wanderten seine
Bilder in Menge über den Kanal, sodaß im ganzen Wohl ein Fünftel drüben
zu finden sein wird. Smith hatte nur etwa zweihundert, heute kennen wir
fünfhundert. Am besten aber kann man Jan Steen immer noch in Holland
kennen lernen an einer großen Zahl eigentümlicher Bilder, achtzehn im Reichs-
musenm, sieben im Moritzhans.

Von der Art des Amsterdamer "Prinsjesdags," der mit seinen zahlreichen
kleinen Figuren eine nusgelasseue Fnnnlienlnstbarkeit darstellt, ist eine fröhliche
Wirtshausschmanserei im Haag (Ur. 170), unter deren Teilnehmern man eben¬
falls Mitglieder der Familie Steen erkennt. Dann kommen zwei "Familien-


Jan Steen und das Sittenbild der Holländer

Gesellschaft" des Louvre, wo ein eingeschlafner junger Herr in einem feinaus-
gestnttete>l Zimmer von den Weibern ausgeplündert wird, während der Violinist
noch spielt, mehr in der Art eines Dirck Hals oder Pot <man vergleiche dessen
Bild im Haag).

Die besten Bilder Jan seems sind, wie die nun häufiger werdenden
Datierungen zeigen, zwischen 1660 und 1670 entstanden. In der Malerei
hat ihn Haarlem am meisten gefördert, aber als erfindender Künstler überholt
er die Haarlemer, ein Leydener Kind, das in Hochschnllnft aufgewachsen und
sogar einmal als Student eingeschrieben worden ist. Ein lehrhafter und mora¬
lisierender Zug geht durch seine Kunst und sucht sich bisweilen el» Ventil in
gereimten Beischriften. Er hat das Interesse seines Stadtgenossen Rembrandt
für das Physiognomische und außerdem noch den Sinn für das Lächerliche,
die Schwächen des menschlichen Lebens. Aber sein Spott ist nicht boshaft
oder gar bitter, und wenn er die Stilhöhe des Satirikers erreicht Hütte, die
ihm manche gewünscht haben, so würde er uns als Künstler sicher um so
langweiliger sein. Ein gutherziger, leichtlebiger Gesell, dem das Lachen Be¬
dürfnis war, wie Frans Hals. Man sieht es seinem Gesicht an, denn immer
wieder hat er sich selbst ans seinen Bildern dargestellt, sehr oft auch im Kreise
der Seinen, sodaß wir die Entwicklung der einzelnen Kinder verfolgen können,
und eine Nikolasbescheruug oder eine Prinzengeburtstagsfeier (Prinsjesdag —
beide im Reichsmuseum, um 1660) zugleich ein Jan Steensches Familienbildnis
ist. Er muß überhaupt sehr kinderlieb gewesen sein, und manchmal, wenn er
Kinder und junge Leute malt, wird er förmlich zart und weich. Dieses persön¬
liche Verhältnis zu seiner Kunst giebt seinen vollkommensten Bildern eine große
natürliche Wärme, die minder vollendeten und flüchtigen sind dafür aber, weil
ihm das Modellmäßige widerstrebte, um so kunstloser ausgefallen. Man hat
ihn später oft mit Moliere verglichen, weil er sich über das Possenhafte er¬
hoben und die Komödie des menschlichen Lebens gemalt habe mit allgemeinen,
nicht bloß holländischen Typen. Die Zeit, die unsre heutige» öffentlichen
Galerien füllte, dachte noch nicht so, darum ist Jan Steen von allen hollän¬
dischen Genremalern bei uns am wenigsten gut vertreten. In England da¬
gegen, wo man auf ihn durch den Hogarthkultus einigermaßen vorbereitet war
erläuterte ihn im achtzehnten Jahrhundert Reynolds nach seinen künstlerischen
Vorzügen und fand sogar Beziehungen mit Raffacl, und dann wanderten seine
Bilder in Menge über den Kanal, sodaß im ganzen Wohl ein Fünftel drüben
zu finden sein wird. Smith hatte nur etwa zweihundert, heute kennen wir
fünfhundert. Am besten aber kann man Jan Steen immer noch in Holland
kennen lernen an einer großen Zahl eigentümlicher Bilder, achtzehn im Reichs-
musenm, sieben im Moritzhans.

Von der Art des Amsterdamer „Prinsjesdags," der mit seinen zahlreichen
kleinen Figuren eine nusgelasseue Fnnnlienlnstbarkeit darstellt, ist eine fröhliche
Wirtshausschmanserei im Haag (Ur. 170), unter deren Teilnehmern man eben¬
falls Mitglieder der Familie Steen erkennt. Dann kommen zwei „Familien-


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[0634] Jan Steen und das Sittenbild der Holländer Gesellschaft" des Louvre, wo ein eingeschlafner junger Herr in einem feinaus- gestnttete>l Zimmer von den Weibern ausgeplündert wird, während der Violinist noch spielt, mehr in der Art eines Dirck Hals oder Pot <man vergleiche dessen Bild im Haag). Die besten Bilder Jan seems sind, wie die nun häufiger werdenden Datierungen zeigen, zwischen 1660 und 1670 entstanden. In der Malerei hat ihn Haarlem am meisten gefördert, aber als erfindender Künstler überholt er die Haarlemer, ein Leydener Kind, das in Hochschnllnft aufgewachsen und sogar einmal als Student eingeschrieben worden ist. Ein lehrhafter und mora¬ lisierender Zug geht durch seine Kunst und sucht sich bisweilen el» Ventil in gereimten Beischriften. Er hat das Interesse seines Stadtgenossen Rembrandt für das Physiognomische und außerdem noch den Sinn für das Lächerliche, die Schwächen des menschlichen Lebens. Aber sein Spott ist nicht boshaft oder gar bitter, und wenn er die Stilhöhe des Satirikers erreicht Hütte, die ihm manche gewünscht haben, so würde er uns als Künstler sicher um so langweiliger sein. Ein gutherziger, leichtlebiger Gesell, dem das Lachen Be¬ dürfnis war, wie Frans Hals. Man sieht es seinem Gesicht an, denn immer wieder hat er sich selbst ans seinen Bildern dargestellt, sehr oft auch im Kreise der Seinen, sodaß wir die Entwicklung der einzelnen Kinder verfolgen können, und eine Nikolasbescheruug oder eine Prinzengeburtstagsfeier (Prinsjesdag — beide im Reichsmuseum, um 1660) zugleich ein Jan Steensches Familienbildnis ist. Er muß überhaupt sehr kinderlieb gewesen sein, und manchmal, wenn er Kinder und junge Leute malt, wird er förmlich zart und weich. Dieses persön¬ liche Verhältnis zu seiner Kunst giebt seinen vollkommensten Bildern eine große natürliche Wärme, die minder vollendeten und flüchtigen sind dafür aber, weil ihm das Modellmäßige widerstrebte, um so kunstloser ausgefallen. Man hat ihn später oft mit Moliere verglichen, weil er sich über das Possenhafte er¬ hoben und die Komödie des menschlichen Lebens gemalt habe mit allgemeinen, nicht bloß holländischen Typen. Die Zeit, die unsre heutige» öffentlichen Galerien füllte, dachte noch nicht so, darum ist Jan Steen von allen hollän¬ dischen Genremalern bei uns am wenigsten gut vertreten. In England da¬ gegen, wo man auf ihn durch den Hogarthkultus einigermaßen vorbereitet war erläuterte ihn im achtzehnten Jahrhundert Reynolds nach seinen künstlerischen Vorzügen und fand sogar Beziehungen mit Raffacl, und dann wanderten seine Bilder in Menge über den Kanal, sodaß im ganzen Wohl ein Fünftel drüben zu finden sein wird. Smith hatte nur etwa zweihundert, heute kennen wir fünfhundert. Am besten aber kann man Jan Steen immer noch in Holland kennen lernen an einer großen Zahl eigentümlicher Bilder, achtzehn im Reichs- musenm, sieben im Moritzhans. Von der Art des Amsterdamer „Prinsjesdags," der mit seinen zahlreichen kleinen Figuren eine nusgelasseue Fnnnlienlnstbarkeit darstellt, ist eine fröhliche Wirtshausschmanserei im Haag (Ur. 170), unter deren Teilnehmern man eben¬ falls Mitglieder der Familie Steen erkennt. Dann kommen zwei „Familien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/634>, abgerufen am 07.06.2024.