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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Uynastsagen

Tag durch lehrreiche Gespräche und gegenseitige Mitteilungen beschloß." Nirgends
also eine Hindeutung auf Kunigunde, die ohne Zweifel dastünde, wenn die
Sage 1793 schon bekannt gewesen wäre.

Damit ist ein Jndizieubeweis, soweit er sich überhaupt geben läßt, gegen
ein höheres Alter dieser Überlieferung geführt worden. Aber eine neue Frage
schließt sich sofort an dieses Ergebnis an: Hat Fischer den der Gegend fremden
Stoff selbständig ersonnen, oder ihn schon an einem andern Orte vorgefunden
und nur auf deu Kynast übertragen? naso liebt es, mit seiner Verskunst zu
glänzen, und so glaubt er, seiner Schilderung der Burg einen besondern Reiz
zu verleihen, indem er sie in vier recht schwülstigen lateinischen Distichen feiert.
Sie lauten in deutscher Übersetzung:

Im Anschluß daran sei gleich noch der Schlußverse des Rückertschen Ge¬
dichts gedacht, "Begrüßung auf dem Kynast" (1817):

Zweierlei ist also in frühern Zeiten von den Besuchern des Khnasts ge¬
fordert worden. Um den Ruhm der nie eingenommnen Feste zu verkünden,
stand in dem Burghof "eine steinerne Säule mit Halß-Eisen, an welche zum
Zeichen der erhaltenen Jungfrauschaft ein jedweder, der dieses Alterthum und
die darin verwnhrliche denk-würdige Sachen in Augenschein nehmen wil, wird
anvermählet" (naso 27V), und vor nicht ganz hundert Jahren noch wurde
deu Fremden, um sie an die männermordende Kttuignnde zu erinnern, ein
Popanz entgegengebracht, den sie küssen sollten, wenn sie es nicht vorzogen,
sich durch eine Geldspende davon zu lösen. Der wahre Sinn dieser Sitten
würde schwer verstündlich sein, wenn nicht in Fülleborns Breslauer Erzähler,
einer reichen Fundgrube sür Folkloristik, auch aus andern Gegenden Deutsch¬
lands Bräuche zusammengetragen wären, die den auf dem Khnast geübten voll¬
kommen gleichen und uus ihre tiefe Bedeutung erst erschließen. Ihre Verbreitung
über die verschiedenste!! Gaue Deutschlands macht es klar, daß es sich nicht
um eine Sitte handeln kann, die auf engem lokalem Boden erwachsen war und
die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis auf der Burg festhalten sollte, sondern
um allgemeine Volksbrüuche. "Im Trierschen Gebiet, schreibt Füllebvrn si, 525),


Die Uynastsagen

Tag durch lehrreiche Gespräche und gegenseitige Mitteilungen beschloß." Nirgends
also eine Hindeutung auf Kunigunde, die ohne Zweifel dastünde, wenn die
Sage 1793 schon bekannt gewesen wäre.

Damit ist ein Jndizieubeweis, soweit er sich überhaupt geben läßt, gegen
ein höheres Alter dieser Überlieferung geführt worden. Aber eine neue Frage
schließt sich sofort an dieses Ergebnis an: Hat Fischer den der Gegend fremden
Stoff selbständig ersonnen, oder ihn schon an einem andern Orte vorgefunden
und nur auf deu Kynast übertragen? naso liebt es, mit seiner Verskunst zu
glänzen, und so glaubt er, seiner Schilderung der Burg einen besondern Reiz
zu verleihen, indem er sie in vier recht schwülstigen lateinischen Distichen feiert.
Sie lauten in deutscher Übersetzung:

Im Anschluß daran sei gleich noch der Schlußverse des Rückertschen Ge¬
dichts gedacht, „Begrüßung auf dem Kynast" (1817):

Zweierlei ist also in frühern Zeiten von den Besuchern des Khnasts ge¬
fordert worden. Um den Ruhm der nie eingenommnen Feste zu verkünden,
stand in dem Burghof „eine steinerne Säule mit Halß-Eisen, an welche zum
Zeichen der erhaltenen Jungfrauschaft ein jedweder, der dieses Alterthum und
die darin verwnhrliche denk-würdige Sachen in Augenschein nehmen wil, wird
anvermählet" (naso 27V), und vor nicht ganz hundert Jahren noch wurde
deu Fremden, um sie an die männermordende Kttuignnde zu erinnern, ein
Popanz entgegengebracht, den sie küssen sollten, wenn sie es nicht vorzogen,
sich durch eine Geldspende davon zu lösen. Der wahre Sinn dieser Sitten
würde schwer verstündlich sein, wenn nicht in Fülleborns Breslauer Erzähler,
einer reichen Fundgrube sür Folkloristik, auch aus andern Gegenden Deutsch¬
lands Bräuche zusammengetragen wären, die den auf dem Khnast geübten voll¬
kommen gleichen und uus ihre tiefe Bedeutung erst erschließen. Ihre Verbreitung
über die verschiedenste!! Gaue Deutschlands macht es klar, daß es sich nicht
um eine Sitte handeln kann, die auf engem lokalem Boden erwachsen war und
die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis auf der Burg festhalten sollte, sondern
um allgemeine Volksbrüuche. „Im Trierschen Gebiet, schreibt Füllebvrn si, 525),


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[0088] Die Uynastsagen Tag durch lehrreiche Gespräche und gegenseitige Mitteilungen beschloß." Nirgends also eine Hindeutung auf Kunigunde, die ohne Zweifel dastünde, wenn die Sage 1793 schon bekannt gewesen wäre. Damit ist ein Jndizieubeweis, soweit er sich überhaupt geben läßt, gegen ein höheres Alter dieser Überlieferung geführt worden. Aber eine neue Frage schließt sich sofort an dieses Ergebnis an: Hat Fischer den der Gegend fremden Stoff selbständig ersonnen, oder ihn schon an einem andern Orte vorgefunden und nur auf deu Kynast übertragen? naso liebt es, mit seiner Verskunst zu glänzen, und so glaubt er, seiner Schilderung der Burg einen besondern Reiz zu verleihen, indem er sie in vier recht schwülstigen lateinischen Distichen feiert. Sie lauten in deutscher Übersetzung: Im Anschluß daran sei gleich noch der Schlußverse des Rückertschen Ge¬ dichts gedacht, „Begrüßung auf dem Kynast" (1817): Zweierlei ist also in frühern Zeiten von den Besuchern des Khnasts ge¬ fordert worden. Um den Ruhm der nie eingenommnen Feste zu verkünden, stand in dem Burghof „eine steinerne Säule mit Halß-Eisen, an welche zum Zeichen der erhaltenen Jungfrauschaft ein jedweder, der dieses Alterthum und die darin verwnhrliche denk-würdige Sachen in Augenschein nehmen wil, wird anvermählet" (naso 27V), und vor nicht ganz hundert Jahren noch wurde deu Fremden, um sie an die männermordende Kttuignnde zu erinnern, ein Popanz entgegengebracht, den sie küssen sollten, wenn sie es nicht vorzogen, sich durch eine Geldspende davon zu lösen. Der wahre Sinn dieser Sitten würde schwer verstündlich sein, wenn nicht in Fülleborns Breslauer Erzähler, einer reichen Fundgrube sür Folkloristik, auch aus andern Gegenden Deutsch¬ lands Bräuche zusammengetragen wären, die den auf dem Khnast geübten voll¬ kommen gleichen und uus ihre tiefe Bedeutung erst erschließen. Ihre Verbreitung über die verschiedenste!! Gaue Deutschlands macht es klar, daß es sich nicht um eine Sitte handeln kann, die auf engem lokalem Boden erwachsen war und die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis auf der Burg festhalten sollte, sondern um allgemeine Volksbrüuche. „Im Trierschen Gebiet, schreibt Füllebvrn si, 525),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/88>, abgerufen am 23.05.2024.