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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Uynastsagen

besteht es ein Graf von Clettenberg, und ihm löst auch Adelheid das Ver-
sprechen ein. Als Gewissensbisse sie später peinigen wegen der zahlreichen
Opfer, deren Tod sie verschuldet hat, stiftet sie das Kloster Walkenried.
Übrigens steht diese Thatsache, wie die Heirat eines Volkmar von Clettenberg
mit Adelheid von Lvhra urkundlich fest (Thüringen und der Harz, 1842, VII,
39 ff.). Der ähnlichen Züge zwischen der thüringischen und der schlesischen Über¬
lieferung sind zu viele, als daß man nicht einen Zusammenhang annehmen
sollte, und da die thüringische einen geschichtlich beglaubigten Kern birgt, so
kann die Sage nur von Thüringe" nach Schlesien, nicht umgekehrt, gebracht
worden sein.

Daß aber Fischer zur Heldin seiner Kynastsagc eine Kunigunde, keine
Adelheid machte, zu dieser Abweichung hat ihn vermutlich Schillers Handschuh
geführt. Am 16. Juni 1797 war Goethe bei seinem Freunde in Jena zum
Besuch, und am 18. schreibt Schiller an ihn, er habe poetisiert und, auf¬
gemuntert durch eine Anekdote im IZssAi sur l'-u-is von Se. Foix, den Hand¬
schuh gedichtet. Bei der ungemein schnellen Verbreitung, die die poetischen
Produkte unsrer großen Dichter fanden, bei dem nachhaltigen Eindruck, den
sie überall machten, ist es wohl denkbar, daß Fischer, durch Schillers Ballade
beeinflußt, der Heldin der Khnastsage den Name" der gefühllosen Dame ge¬
geben, hat, die um einer Laune willen den Ritter Delvrges in den Löwen-
zwinger hinuntertreibt. Eine Ähnlichkeit im Charakter zeigen ja auch beide
Kunigunden. Alle Zweifel sind damit noch nicht gehoben, und auch darein ist
noch nicht Klarheit gebracht, weshalb gerade ein Landgraf von Thüringen
Kunigundens Trotz demütigt. Nur die Heroen der Litteratur, die auf eine
reiche Thätigkeit zurückschauen, enthüllen bisweilen am Abend ihres Lebens
die poetischen Motive, die ihren Schöpfungen zu Grunde liegen, die große
Schar der Alltagsschriftsteller dagegen verschleiert sorgfältig alles, was einen
Einblick in die Werkstatt ihres Schaffens gewähren könnte, und zu diesen ge¬
hört auch Fischer, der Autor der Kunigundensage.

Da ihr eine sichere geschichtliche Überlieferung fehlt, so ist es ohne weiteres
erklärlich, daß sich soviel Variationen von ihr finden. Ganz verschieden und
nicht immer glücklich wird zunächst die Fordrung Kunigundens begründet;
einmal will sie Rache nehmen an den Männern, weil der Vater verunglückt
ist, ein andres mal will der angebliche Ritter von Scharfeneck nur dem Furcht¬
losesten die Hand seiner Tochter geben und stellt selbst die lebensgefährliche
Bedingung. Nicht minder schwanken die Namen; mehrfach wird der Landgraf
von Thüringen als Albrecht der Erlauchte bezeichnet, trägt also fälschlich den
Beinamen seines Vaters Heinrich, in einzelnen Berichten führt er den Namen
von Albrechts Sohn und heißt Friedrich der Freidige. Am weitesten aber gehn
die Angaben über das auseinander, was dein Ritte folgt. Einige Versionen
lassen Kunigunde ein Kloster aufsuchen, noch andre lasse" sie sich von der
Burgmauer i" die Schlucht stürzen, da sie ihre Liebe verschmäht sieht; nach
Fischer heiratet sie den Ritter von Erbach, um endlich noch ein nützliches Glied


Die Uynastsagen

besteht es ein Graf von Clettenberg, und ihm löst auch Adelheid das Ver-
sprechen ein. Als Gewissensbisse sie später peinigen wegen der zahlreichen
Opfer, deren Tod sie verschuldet hat, stiftet sie das Kloster Walkenried.
Übrigens steht diese Thatsache, wie die Heirat eines Volkmar von Clettenberg
mit Adelheid von Lvhra urkundlich fest (Thüringen und der Harz, 1842, VII,
39 ff.). Der ähnlichen Züge zwischen der thüringischen und der schlesischen Über¬
lieferung sind zu viele, als daß man nicht einen Zusammenhang annehmen
sollte, und da die thüringische einen geschichtlich beglaubigten Kern birgt, so
kann die Sage nur von Thüringe» nach Schlesien, nicht umgekehrt, gebracht
worden sein.

Daß aber Fischer zur Heldin seiner Kynastsagc eine Kunigunde, keine
Adelheid machte, zu dieser Abweichung hat ihn vermutlich Schillers Handschuh
geführt. Am 16. Juni 1797 war Goethe bei seinem Freunde in Jena zum
Besuch, und am 18. schreibt Schiller an ihn, er habe poetisiert und, auf¬
gemuntert durch eine Anekdote im IZssAi sur l'-u-is von Se. Foix, den Hand¬
schuh gedichtet. Bei der ungemein schnellen Verbreitung, die die poetischen
Produkte unsrer großen Dichter fanden, bei dem nachhaltigen Eindruck, den
sie überall machten, ist es wohl denkbar, daß Fischer, durch Schillers Ballade
beeinflußt, der Heldin der Khnastsage den Name» der gefühllosen Dame ge¬
geben, hat, die um einer Laune willen den Ritter Delvrges in den Löwen-
zwinger hinuntertreibt. Eine Ähnlichkeit im Charakter zeigen ja auch beide
Kunigunden. Alle Zweifel sind damit noch nicht gehoben, und auch darein ist
noch nicht Klarheit gebracht, weshalb gerade ein Landgraf von Thüringen
Kunigundens Trotz demütigt. Nur die Heroen der Litteratur, die auf eine
reiche Thätigkeit zurückschauen, enthüllen bisweilen am Abend ihres Lebens
die poetischen Motive, die ihren Schöpfungen zu Grunde liegen, die große
Schar der Alltagsschriftsteller dagegen verschleiert sorgfältig alles, was einen
Einblick in die Werkstatt ihres Schaffens gewähren könnte, und zu diesen ge¬
hört auch Fischer, der Autor der Kunigundensage.

Da ihr eine sichere geschichtliche Überlieferung fehlt, so ist es ohne weiteres
erklärlich, daß sich soviel Variationen von ihr finden. Ganz verschieden und
nicht immer glücklich wird zunächst die Fordrung Kunigundens begründet;
einmal will sie Rache nehmen an den Männern, weil der Vater verunglückt
ist, ein andres mal will der angebliche Ritter von Scharfeneck nur dem Furcht¬
losesten die Hand seiner Tochter geben und stellt selbst die lebensgefährliche
Bedingung. Nicht minder schwanken die Namen; mehrfach wird der Landgraf
von Thüringen als Albrecht der Erlauchte bezeichnet, trägt also fälschlich den
Beinamen seines Vaters Heinrich, in einzelnen Berichten führt er den Namen
von Albrechts Sohn und heißt Friedrich der Freidige. Am weitesten aber gehn
die Angaben über das auseinander, was dein Ritte folgt. Einige Versionen
lassen Kunigunde ein Kloster aufsuchen, noch andre lasse» sie sich von der
Burgmauer i» die Schlucht stürzen, da sie ihre Liebe verschmäht sieht; nach
Fischer heiratet sie den Ritter von Erbach, um endlich noch ein nützliches Glied


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/90>, abgerufen am 23.05.2024.