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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Rynastsagen

Die innern Kriterien echter Sage trägt der Sprung vom Khnast allerdings
an sich. Die Zeit ist bestimmt umschrieben, die mitwirkenden Personen sind
aus der Geschichte bekannt, und Wohl denkbar ist es, daß ein Edelknabe Franz
von Chita sich von den Zinnen der Burg einst in die Tiefe gestürzt hat, nach¬
dem er auf das Wohl der von ihm schwärmerisch geliebten Herzogin Elisabeth,
einer Tochter des erstell Zollern in der Mark und Gemahlin Ludwigs II. von
Liegnitz, einen Becher Wein geleert hatte. Da aber ein so zuverlässiges Buch
wie Müllers "Vaterländische Bilder" (1837) berichtet, dieselbe Sage hafte auch
an der Gröditzburg, so werdeu wir sie nur dieser zuschreiben, da die örtlichen
Beziehungen hier gegeben sind.

Wie kann man aber diese eigentümliche Erscheinung erklären, daß fremde
Stoffe in die schlesischen Berge verpflanzt werden, hier in kürzester Zeit fest
Wurzeln fassen und mit der neuen Umgebung so schnell verwachsen konnten, daß
man ihre alte Heimat ganz vergaß? Litterarische Erzeugnisse tragen den Stempel
ihrer Zeit, und so hängen auch die Khnastsageu mit der romantischen Flut¬
welle zusammen, die nach dem Abschwellen des Kosmopolitismus und des Ratio¬
nalismus und zugleich uuter dem Drucke der Fremdherrschaft weite Kreise
unsers Volkes ergriff. Je teilnahmloser man in der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts, dem Zeitalter des Weltbürgertums, der eignen Nation
und ihrer Geschichte gegenüber gestnuden hatte, um so mehr schwelgte man
nun in der Herrlichkeit verflossener Jahrhunderte, besonders des viel verkannten
Mittelalters, und suchte Verständnis dafür zu erwecken, ihm einen reichern
Inhalt zu geben, es mit leuchtendem Farben zu malen. Die Wende des acht¬
zehnten zum neunzehnten Jahrhundert und dessen erste Jahrzehnte haben
darum in allen Teilen Deutschlands eine stattliche Anzahl von Sagen hervor¬
gebracht, die als reine Kunstprodukte bezeichnet werden müssen. In das Pflnnzen-
kleid der Kulturländer webt der Mensch mit jedem Jahre neue Farben hinein,
indem er Keime, die nicht gerade um einen bestimmten Boden und Himmel
gebunden sind, in fremde Laude und Klimate einführt. Mag es der Fach¬
mann auch bedauerlich finden, daß dadurch manche Eigentümlichkeiten verwischt
und die verschiedensten Gebiete in ihrer Flora immer ähnlicher werden, wir
würden die Farbenpracht der Eindringlinge doch nur ungern missen. Nicht
anders verhält es sich mit den zahlreichen, nicht natürlich gewachsenen, sondern
aus der Ferne geholten lind zurechtgestutzten Sagen, die da, wo sie sich in
den Nahmen der Landschaft einfügen, dieser neue Reize geben. Mag auch eine
kritische Untersuchung die Uuechtheit der meisten Khnastsageu nachweisen, sie
haben sich nun doch einmal Bürgerrecht erworben und sind untrennbar mit den
Ruinen der Burg verknüpft. Auch von ihnen gilt das Dichterwort:


Das Jahr übt eine heiligende Kraft.


Die Rynastsagen

Die innern Kriterien echter Sage trägt der Sprung vom Khnast allerdings
an sich. Die Zeit ist bestimmt umschrieben, die mitwirkenden Personen sind
aus der Geschichte bekannt, und Wohl denkbar ist es, daß ein Edelknabe Franz
von Chita sich von den Zinnen der Burg einst in die Tiefe gestürzt hat, nach¬
dem er auf das Wohl der von ihm schwärmerisch geliebten Herzogin Elisabeth,
einer Tochter des erstell Zollern in der Mark und Gemahlin Ludwigs II. von
Liegnitz, einen Becher Wein geleert hatte. Da aber ein so zuverlässiges Buch
wie Müllers „Vaterländische Bilder" (1837) berichtet, dieselbe Sage hafte auch
an der Gröditzburg, so werdeu wir sie nur dieser zuschreiben, da die örtlichen
Beziehungen hier gegeben sind.

Wie kann man aber diese eigentümliche Erscheinung erklären, daß fremde
Stoffe in die schlesischen Berge verpflanzt werden, hier in kürzester Zeit fest
Wurzeln fassen und mit der neuen Umgebung so schnell verwachsen konnten, daß
man ihre alte Heimat ganz vergaß? Litterarische Erzeugnisse tragen den Stempel
ihrer Zeit, und so hängen auch die Khnastsageu mit der romantischen Flut¬
welle zusammen, die nach dem Abschwellen des Kosmopolitismus und des Ratio¬
nalismus und zugleich uuter dem Drucke der Fremdherrschaft weite Kreise
unsers Volkes ergriff. Je teilnahmloser man in der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts, dem Zeitalter des Weltbürgertums, der eignen Nation
und ihrer Geschichte gegenüber gestnuden hatte, um so mehr schwelgte man
nun in der Herrlichkeit verflossener Jahrhunderte, besonders des viel verkannten
Mittelalters, und suchte Verständnis dafür zu erwecken, ihm einen reichern
Inhalt zu geben, es mit leuchtendem Farben zu malen. Die Wende des acht¬
zehnten zum neunzehnten Jahrhundert und dessen erste Jahrzehnte haben
darum in allen Teilen Deutschlands eine stattliche Anzahl von Sagen hervor¬
gebracht, die als reine Kunstprodukte bezeichnet werden müssen. In das Pflnnzen-
kleid der Kulturländer webt der Mensch mit jedem Jahre neue Farben hinein,
indem er Keime, die nicht gerade um einen bestimmten Boden und Himmel
gebunden sind, in fremde Laude und Klimate einführt. Mag es der Fach¬
mann auch bedauerlich finden, daß dadurch manche Eigentümlichkeiten verwischt
und die verschiedensten Gebiete in ihrer Flora immer ähnlicher werden, wir
würden die Farbenpracht der Eindringlinge doch nur ungern missen. Nicht
anders verhält es sich mit den zahlreichen, nicht natürlich gewachsenen, sondern
aus der Ferne geholten lind zurechtgestutzten Sagen, die da, wo sie sich in
den Nahmen der Landschaft einfügen, dieser neue Reize geben. Mag auch eine
kritische Untersuchung die Uuechtheit der meisten Khnastsageu nachweisen, sie
haben sich nun doch einmal Bürgerrecht erworben und sind untrennbar mit den
Ruinen der Burg verknüpft. Auch von ihnen gilt das Dichterwort:


Das Jahr übt eine heiligende Kraft.


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[0093] Die Rynastsagen Die innern Kriterien echter Sage trägt der Sprung vom Khnast allerdings an sich. Die Zeit ist bestimmt umschrieben, die mitwirkenden Personen sind aus der Geschichte bekannt, und Wohl denkbar ist es, daß ein Edelknabe Franz von Chita sich von den Zinnen der Burg einst in die Tiefe gestürzt hat, nach¬ dem er auf das Wohl der von ihm schwärmerisch geliebten Herzogin Elisabeth, einer Tochter des erstell Zollern in der Mark und Gemahlin Ludwigs II. von Liegnitz, einen Becher Wein geleert hatte. Da aber ein so zuverlässiges Buch wie Müllers „Vaterländische Bilder" (1837) berichtet, dieselbe Sage hafte auch an der Gröditzburg, so werdeu wir sie nur dieser zuschreiben, da die örtlichen Beziehungen hier gegeben sind. Wie kann man aber diese eigentümliche Erscheinung erklären, daß fremde Stoffe in die schlesischen Berge verpflanzt werden, hier in kürzester Zeit fest Wurzeln fassen und mit der neuen Umgebung so schnell verwachsen konnten, daß man ihre alte Heimat ganz vergaß? Litterarische Erzeugnisse tragen den Stempel ihrer Zeit, und so hängen auch die Khnastsageu mit der romantischen Flut¬ welle zusammen, die nach dem Abschwellen des Kosmopolitismus und des Ratio¬ nalismus und zugleich uuter dem Drucke der Fremdherrschaft weite Kreise unsers Volkes ergriff. Je teilnahmloser man in der zweiten Hälfte des acht¬ zehnten Jahrhunderts, dem Zeitalter des Weltbürgertums, der eignen Nation und ihrer Geschichte gegenüber gestnuden hatte, um so mehr schwelgte man nun in der Herrlichkeit verflossener Jahrhunderte, besonders des viel verkannten Mittelalters, und suchte Verständnis dafür zu erwecken, ihm einen reichern Inhalt zu geben, es mit leuchtendem Farben zu malen. Die Wende des acht¬ zehnten zum neunzehnten Jahrhundert und dessen erste Jahrzehnte haben darum in allen Teilen Deutschlands eine stattliche Anzahl von Sagen hervor¬ gebracht, die als reine Kunstprodukte bezeichnet werden müssen. In das Pflnnzen- kleid der Kulturländer webt der Mensch mit jedem Jahre neue Farben hinein, indem er Keime, die nicht gerade um einen bestimmten Boden und Himmel gebunden sind, in fremde Laude und Klimate einführt. Mag es der Fach¬ mann auch bedauerlich finden, daß dadurch manche Eigentümlichkeiten verwischt und die verschiedensten Gebiete in ihrer Flora immer ähnlicher werden, wir würden die Farbenpracht der Eindringlinge doch nur ungern missen. Nicht anders verhält es sich mit den zahlreichen, nicht natürlich gewachsenen, sondern aus der Ferne geholten lind zurechtgestutzten Sagen, die da, wo sie sich in den Nahmen der Landschaft einfügen, dieser neue Reize geben. Mag auch eine kritische Untersuchung die Uuechtheit der meisten Khnastsageu nachweisen, sie haben sich nun doch einmal Bürgerrecht erworben und sind untrennbar mit den Ruinen der Burg verknüpft. Auch von ihnen gilt das Dichterwort: Das Jahr übt eine heiligende Kraft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/93>, abgerufen am 14.05.2024.