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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das Reich und das Reichsland

6. Der Kaiser übt alle Rechte eines Landesherrn in Elsaß-Lothringen
ans, aber nicht in eignem Namen, sondern in fremdem Namen, im Namen
der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte. Seine ganze Stellung
im Reichsland trägt vorläufig noch einen Provisorischen Charakter. Allerdings
hat wohl von Anfang an die Absicht bestanden, ihm die Regierungsgewalt im
Reichsland nicht bloß vorübergehend, sondern definitiv zu übertragen. In den
Motiven zum Neichsgesetz vom 9. Juni 1871 ist gesagt, daß der Kaiser als
"erblicher" Vertreter der Gesamtheit die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen
ausüben solle. In der Neichstagssitzung vom 22. Mai 1871 hat ferner der
württembergische Abgeordnete Römer, ohne Widerspruch zu finden, die Ansicht
ausgesprochen, daß dem Kaiser die Staatsgewalt im Reichsland "unwiderruflich
und für immer" zustehu solle, sodaß sie ihm ohne seinen Willen nicht entzogen
werden könne. Allein dieser Standpunkt hat im Wortlaut des Gesetzes keinen
Ausdruck gefunden. Formell beruhn die Rechte des Kaisers im Reichsland
nicht auf einer Cession, sondern ans einer Delegation von selten des Reichs.
Sie sind durch Neichsgesetz geschaffen; durch Neichsgesetz können sie -- theo¬
retisch wenigstens -- wieder aufgehoben werden.

7. Der Statthalter hat im Reichsland ein doppeltes Amt: er ist zugleich
Vertreter des Staatsoberhaupts und verantwortlicher Minister für Elsaß-
Lothringen. Nach beiden Richtungen hin ist seine Stellung provisorisch.

Der Kaiser ist nicht verpflichtet, dem Statthalter landesherrliche Befug¬
nisse zu übertragen. Es hängt ganz von seinem Ermessen ab, ob er über¬
haupt einen Teil seiner Befugnisse dem Statthalter delegieren will, und in
welchem Umfange er dies thun will. Erfolgt die Delegation, so ist sie rein
persönlich; sie muß bei jedem Wechsel in der Person des Statthalters und bei
jedem Regierungsantritt eines neuen Kaisers wiederholt werden. Der Kaiser
ist ferner nicht verpflichtet, den Posten des Statthalters überhaupt zu besetzen.
Der Statthalter ist kein unentbehrliches Rad in der Vcrwaltungsmaschine.
Wenn kein Statthalter vorhanden ist, werden die landesherrlichen Befugnisse
durch den Kaiser und die ministeriellen Handlungen durch den Staatssekretär
ausgeübt.

In der Reichstagssitzuug vom 14. Juni 1879 führte der Abgeordnete
von Puttkamer-Löwenberg aus, die Einsetzung eines Statthalters habe nur
die Bedeutung eines Versuchs, und der Abgeordnete von Putttnmer-Fraustndt
erklärte in derselben Sitzung, es könnten Zeitumstüude eintreten, die es dein
Kaiser geboten erscheinen ließen, von der ihm gesetzlich übertraguen Befugnis
keinen Gebrauch zu machen.

8. Der Landcsausschuß übt alle Rechte einer deutschen Kammer aus. Er
wirkt mit bei der Beratung des Budgets und bei dem Erlaß von Lmides-
gcsetzen. Seine Mitglieder genießen die parlamentarische Immunität und alle
sonstigen Privilegien, die den Abgeordneten eines deutschen Landtags zustehn.
Aber auch der Laudesausschnß ist nur eine provisorische Einrichtung. Jeder
Beschluß des Landesausschnsses kann ersetzt werden durch einen Beschluß des
Reichstags. Der Lnudesausschuß selbst, der durch ein Neichsgesetz geschaffen


Das Reich und das Reichsland

6. Der Kaiser übt alle Rechte eines Landesherrn in Elsaß-Lothringen
ans, aber nicht in eignem Namen, sondern in fremdem Namen, im Namen
der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte. Seine ganze Stellung
im Reichsland trägt vorläufig noch einen Provisorischen Charakter. Allerdings
hat wohl von Anfang an die Absicht bestanden, ihm die Regierungsgewalt im
Reichsland nicht bloß vorübergehend, sondern definitiv zu übertragen. In den
Motiven zum Neichsgesetz vom 9. Juni 1871 ist gesagt, daß der Kaiser als
„erblicher" Vertreter der Gesamtheit die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen
ausüben solle. In der Neichstagssitzung vom 22. Mai 1871 hat ferner der
württembergische Abgeordnete Römer, ohne Widerspruch zu finden, die Ansicht
ausgesprochen, daß dem Kaiser die Staatsgewalt im Reichsland „unwiderruflich
und für immer" zustehu solle, sodaß sie ihm ohne seinen Willen nicht entzogen
werden könne. Allein dieser Standpunkt hat im Wortlaut des Gesetzes keinen
Ausdruck gefunden. Formell beruhn die Rechte des Kaisers im Reichsland
nicht auf einer Cession, sondern ans einer Delegation von selten des Reichs.
Sie sind durch Neichsgesetz geschaffen; durch Neichsgesetz können sie — theo¬
retisch wenigstens — wieder aufgehoben werden.

7. Der Statthalter hat im Reichsland ein doppeltes Amt: er ist zugleich
Vertreter des Staatsoberhaupts und verantwortlicher Minister für Elsaß-
Lothringen. Nach beiden Richtungen hin ist seine Stellung provisorisch.

Der Kaiser ist nicht verpflichtet, dem Statthalter landesherrliche Befug¬
nisse zu übertragen. Es hängt ganz von seinem Ermessen ab, ob er über¬
haupt einen Teil seiner Befugnisse dem Statthalter delegieren will, und in
welchem Umfange er dies thun will. Erfolgt die Delegation, so ist sie rein
persönlich; sie muß bei jedem Wechsel in der Person des Statthalters und bei
jedem Regierungsantritt eines neuen Kaisers wiederholt werden. Der Kaiser
ist ferner nicht verpflichtet, den Posten des Statthalters überhaupt zu besetzen.
Der Statthalter ist kein unentbehrliches Rad in der Vcrwaltungsmaschine.
Wenn kein Statthalter vorhanden ist, werden die landesherrlichen Befugnisse
durch den Kaiser und die ministeriellen Handlungen durch den Staatssekretär
ausgeübt.

In der Reichstagssitzuug vom 14. Juni 1879 führte der Abgeordnete
von Puttkamer-Löwenberg aus, die Einsetzung eines Statthalters habe nur
die Bedeutung eines Versuchs, und der Abgeordnete von Putttnmer-Fraustndt
erklärte in derselben Sitzung, es könnten Zeitumstüude eintreten, die es dein
Kaiser geboten erscheinen ließen, von der ihm gesetzlich übertraguen Befugnis
keinen Gebrauch zu machen.

8. Der Landcsausschuß übt alle Rechte einer deutschen Kammer aus. Er
wirkt mit bei der Beratung des Budgets und bei dem Erlaß von Lmides-
gcsetzen. Seine Mitglieder genießen die parlamentarische Immunität und alle
sonstigen Privilegien, die den Abgeordneten eines deutschen Landtags zustehn.
Aber auch der Laudesausschnß ist nur eine provisorische Einrichtung. Jeder
Beschluß des Landesausschnsses kann ersetzt werden durch einen Beschluß des
Reichstags. Der Lnudesausschuß selbst, der durch ein Neichsgesetz geschaffen


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[0278] Das Reich und das Reichsland 6. Der Kaiser übt alle Rechte eines Landesherrn in Elsaß-Lothringen ans, aber nicht in eignem Namen, sondern in fremdem Namen, im Namen der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte. Seine ganze Stellung im Reichsland trägt vorläufig noch einen Provisorischen Charakter. Allerdings hat wohl von Anfang an die Absicht bestanden, ihm die Regierungsgewalt im Reichsland nicht bloß vorübergehend, sondern definitiv zu übertragen. In den Motiven zum Neichsgesetz vom 9. Juni 1871 ist gesagt, daß der Kaiser als „erblicher" Vertreter der Gesamtheit die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausüben solle. In der Neichstagssitzung vom 22. Mai 1871 hat ferner der württembergische Abgeordnete Römer, ohne Widerspruch zu finden, die Ansicht ausgesprochen, daß dem Kaiser die Staatsgewalt im Reichsland „unwiderruflich und für immer" zustehu solle, sodaß sie ihm ohne seinen Willen nicht entzogen werden könne. Allein dieser Standpunkt hat im Wortlaut des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden. Formell beruhn die Rechte des Kaisers im Reichsland nicht auf einer Cession, sondern ans einer Delegation von selten des Reichs. Sie sind durch Neichsgesetz geschaffen; durch Neichsgesetz können sie — theo¬ retisch wenigstens — wieder aufgehoben werden. 7. Der Statthalter hat im Reichsland ein doppeltes Amt: er ist zugleich Vertreter des Staatsoberhaupts und verantwortlicher Minister für Elsaß- Lothringen. Nach beiden Richtungen hin ist seine Stellung provisorisch. Der Kaiser ist nicht verpflichtet, dem Statthalter landesherrliche Befug¬ nisse zu übertragen. Es hängt ganz von seinem Ermessen ab, ob er über¬ haupt einen Teil seiner Befugnisse dem Statthalter delegieren will, und in welchem Umfange er dies thun will. Erfolgt die Delegation, so ist sie rein persönlich; sie muß bei jedem Wechsel in der Person des Statthalters und bei jedem Regierungsantritt eines neuen Kaisers wiederholt werden. Der Kaiser ist ferner nicht verpflichtet, den Posten des Statthalters überhaupt zu besetzen. Der Statthalter ist kein unentbehrliches Rad in der Vcrwaltungsmaschine. Wenn kein Statthalter vorhanden ist, werden die landesherrlichen Befugnisse durch den Kaiser und die ministeriellen Handlungen durch den Staatssekretär ausgeübt. In der Reichstagssitzuug vom 14. Juni 1879 führte der Abgeordnete von Puttkamer-Löwenberg aus, die Einsetzung eines Statthalters habe nur die Bedeutung eines Versuchs, und der Abgeordnete von Putttnmer-Fraustndt erklärte in derselben Sitzung, es könnten Zeitumstüude eintreten, die es dein Kaiser geboten erscheinen ließen, von der ihm gesetzlich übertraguen Befugnis keinen Gebrauch zu machen. 8. Der Landcsausschuß übt alle Rechte einer deutschen Kammer aus. Er wirkt mit bei der Beratung des Budgets und bei dem Erlaß von Lmides- gcsetzen. Seine Mitglieder genießen die parlamentarische Immunität und alle sonstigen Privilegien, die den Abgeordneten eines deutschen Landtags zustehn. Aber auch der Laudesausschnß ist nur eine provisorische Einrichtung. Jeder Beschluß des Landesausschnsses kann ersetzt werden durch einen Beschluß des Reichstags. Der Lnudesausschuß selbst, der durch ein Neichsgesetz geschaffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/278>, abgerufen am 21.05.2024.