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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

folger eines heidnischen Gottes, dessen Tempel vorher dort gestanden hatte,
wahrscheinlich des Asklepios. Denn gleichwie dieser seinen Gläubigen weis¬
sagend im Traum erschien, gab hier Michael den Hilfesuchenden ärztlichen Rat,
während sie schliefen. Die später maßgebende Form erhielt der Michaelsdienst
wieder in Kolossä, oder wie es damals genannt wurde Csoma. Der Erzengel
war hier selbst als Feuersäule unter Donner und Blitz niedergefahren, um die
Kapelle des Einsiedlers Archippus vor der Wut der Heiden und den an¬
drängenden Wassermassen zu schützen. "Durch diese persönliche Offenbarung
und sein persönliches Eingreifen in den Gang der Natur" wurde er damals
zum wichtigsten Heiligen des griechischen Volks, der 6. September zur Er¬
innerung an das Wunder von Csoma ein Hauptfesttag der griechischen Kirche.
In den byzantinischen Darstellungen des Weltgerichts hat Michael in der
Regel seinen Platz in der Mitte des Bildes unter dem Weltenrichter, dessen
Spruch er vollzieht. Erst später drängt ihn der heilige Georg zurück, dessen
Kapellen jetzt neben denen der Panagia fast alle hochragenden Punkte im
Ägeischeu Meere krönen, und dessen Aufnahme in das russische Wappen zur
Folge hatte, daß er auf den Kopeken noch heute seinen Drachenkampf
fortsetzt.

Im Abendlande, das sich anfänglich gegen jeden Engelsdienst ablehnend
verhalten hatte, ging der Michaelsknltus vom griechischen Unteritalien aus.
Der einsame ins Meer hinausragende Sporn des Monte Gargmw war für
die cipulischen Hirten und Bauern als Wolkensnmmler, für die Seefahrer als
Sturmkap von Bedeutung. Hier hatten gewiß schon die Heiden zum Donner¬
gott gefleht, hierhin verlegte die Legende den Sitz des schirmenden Oberhaupts
der himmlischen Scharen. Sie hat sich während der Kämpfe zwischen Griechen
und Langobarden im Anfang des siebenten Jahrhunderts ausgebildet und in
Anlehnung an die Legende von Csoma nach der Mitte des Jahrhunderts feste
Gestalt gewonnen.

Dort, heißt es, ließ Michael durch den verirrten Leitstier einer Herde den
Eingang zu einer bis dahin unbekannten Höhle finden und hüten. Die gegen
den Stier gerichteten Pfeile prallten auf die Verfolger zurück. Ju Person
bezeichnete er endlich dem Bischof von Siponto diese Grotte als seinen Wohnsitz
auf Erden und weihte sie dazu durch den Abdruck seiner Fußspur. Die Be¬
wohner des Bezirks aber, ebenso wie die langvbardischen Beneventcmer nahm
er bald unter seinen besondern Schutz und half ihnen mit Donner und Blitz
gegen die heidnischen griechischen Neapolitaner. So erhalt Michael in dieser
Legende einen neuen wichtigen Zug, den eines nationalen Vorkämpfers der
Langobarden. Überhaupt tritt sein Kultus in Süditalien seltsamerweise zu¬
nächst in scharfen Gegensatz gegen die griechischen Nachbarn, von denen er doch
erst stammte. Durch nationale oder politische Gegensätze wird er auch später
in seiner Ausdehnung nicht behindert. Schnell aber wird der Erzengel als
Volksbeschützcr und Volksheiliger allen Langobarden, auch denen Norditnliens,
vertraut. Heiligtümer erstes" ihm allerorten in Städten und besonders gern


Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

folger eines heidnischen Gottes, dessen Tempel vorher dort gestanden hatte,
wahrscheinlich des Asklepios. Denn gleichwie dieser seinen Gläubigen weis¬
sagend im Traum erschien, gab hier Michael den Hilfesuchenden ärztlichen Rat,
während sie schliefen. Die später maßgebende Form erhielt der Michaelsdienst
wieder in Kolossä, oder wie es damals genannt wurde Csoma. Der Erzengel
war hier selbst als Feuersäule unter Donner und Blitz niedergefahren, um die
Kapelle des Einsiedlers Archippus vor der Wut der Heiden und den an¬
drängenden Wassermassen zu schützen. „Durch diese persönliche Offenbarung
und sein persönliches Eingreifen in den Gang der Natur" wurde er damals
zum wichtigsten Heiligen des griechischen Volks, der 6. September zur Er¬
innerung an das Wunder von Csoma ein Hauptfesttag der griechischen Kirche.
In den byzantinischen Darstellungen des Weltgerichts hat Michael in der
Regel seinen Platz in der Mitte des Bildes unter dem Weltenrichter, dessen
Spruch er vollzieht. Erst später drängt ihn der heilige Georg zurück, dessen
Kapellen jetzt neben denen der Panagia fast alle hochragenden Punkte im
Ägeischeu Meere krönen, und dessen Aufnahme in das russische Wappen zur
Folge hatte, daß er auf den Kopeken noch heute seinen Drachenkampf
fortsetzt.

Im Abendlande, das sich anfänglich gegen jeden Engelsdienst ablehnend
verhalten hatte, ging der Michaelsknltus vom griechischen Unteritalien aus.
Der einsame ins Meer hinausragende Sporn des Monte Gargmw war für
die cipulischen Hirten und Bauern als Wolkensnmmler, für die Seefahrer als
Sturmkap von Bedeutung. Hier hatten gewiß schon die Heiden zum Donner¬
gott gefleht, hierhin verlegte die Legende den Sitz des schirmenden Oberhaupts
der himmlischen Scharen. Sie hat sich während der Kämpfe zwischen Griechen
und Langobarden im Anfang des siebenten Jahrhunderts ausgebildet und in
Anlehnung an die Legende von Csoma nach der Mitte des Jahrhunderts feste
Gestalt gewonnen.

Dort, heißt es, ließ Michael durch den verirrten Leitstier einer Herde den
Eingang zu einer bis dahin unbekannten Höhle finden und hüten. Die gegen
den Stier gerichteten Pfeile prallten auf die Verfolger zurück. Ju Person
bezeichnete er endlich dem Bischof von Siponto diese Grotte als seinen Wohnsitz
auf Erden und weihte sie dazu durch den Abdruck seiner Fußspur. Die Be¬
wohner des Bezirks aber, ebenso wie die langvbardischen Beneventcmer nahm
er bald unter seinen besondern Schutz und half ihnen mit Donner und Blitz
gegen die heidnischen griechischen Neapolitaner. So erhalt Michael in dieser
Legende einen neuen wichtigen Zug, den eines nationalen Vorkämpfers der
Langobarden. Überhaupt tritt sein Kultus in Süditalien seltsamerweise zu¬
nächst in scharfen Gegensatz gegen die griechischen Nachbarn, von denen er doch
erst stammte. Durch nationale oder politische Gegensätze wird er auch später
in seiner Ausdehnung nicht behindert. Schnell aber wird der Erzengel als
Volksbeschützcr und Volksheiliger allen Langobarden, auch denen Norditnliens,
vertraut. Heiligtümer erstes» ihm allerorten in Städten und besonders gern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/92>, abgerufen am 22.05.2024.