Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uursächsische Streifzüge

Geschäfte wahrzunehmen. Drum machen sie auch den dummen Snuhirteu zu
ihrem Schultheißen! Und welche grausame Ironie liegt darin, daß eben diese
armen Thore", die man der Landtagsfähigkeit berauben will, in unserm Buche
von Kaisern und Königen zu Ratgebern begehrt werden, ja daß der Kaiser
in Utopien, während er darauf wartet, daß die Stände des Reichs sich ver¬
sammeln, selbst zu ihnen zieht, zu sehen, wie es mit ihrer Narrheit stehe.
"Er lies inen auch darbei anzeigen und vermelden <one zweiffel sie zu ver¬
suchen und ob sie recht nerrisch sein zuerfahren) er wölle sie bey allen jren
von altem hergebrachten Privilegien, Freyheiten und Gnaden nicht nur schirmen
und handhabe", sonder auch, wo es die notturft also erfordern edele, noch
ferner befreyen rund begraben usw." Thatsächlich sind später Abgeordnete von
Kleinstädter, die ehedem landtagsfähig gewesen waren, vom Landtage in
Dresden zurückgewiesen worden. Ein solcher Fall ist für Annaburg (Lochau)
ans dem Jahre 1682 bezeugt. Ich möchte vermuten, daß auch schon der
dnrch den Administrator 1592 reaktivierte Landtag versucht hat, die Abgeord¬
neten der kleinern Städte auszuschließen. Es wäre interessant, wenn sich
etwas derartiges aus den Landtagsakten nachweisen ließe.

Ich wage nicht zu behaupten, daß Schönberg von Anfang an beabsichtigt
hat, eine boshafte Satire auf die meißnischeu Kleinstädter und Hinterwäldler
zu schreiben; er hat wohl mit einer Schwanksammlnug begonnen. Aber indem
er deren Stücke untereinander verknüpfte, und namentlich als er die Einleitung
duzn schrieb, gewann zunächst für ihn selbst sein Stoff Beziehung zu den
sozialen und politischen Fragen seiner Zeit, wurde die satirische Ader in ihm
lebendig und machte aus der Schwanksammlung einen satirischen Roman mit
aristokratischer Tendenz. So führt uns denn das Schildbürgerbuch zunächst
in die heitere Sphäre elbläudischer Bier- und Weiugespräche ein, außerdem
aber ist es ein interessantes Spiegelbild der geistig-ästhetischen sowie der sozial¬
politischen Gegensätze, die gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts das
innere Leben Kursachsens beherrschen. Das Schildbürgerbuch wird also künftig
nicht mehr als ein Volksbuch -- wenigstens nicht seinem Ursprünge nach -- gelten
können; es stammt vielmehr ans der höhern Gesellschaft und ist nicht nur ein
litterarhistorischeS, sondern auch ein wichtiges kulturhistorisches Dokument aus
der interessanten Zeit, wo eine Adelsrevolntion den Absolutismus Christians I.
und seines großen Ministers auf Jahrhunderte zu Boden warf. Doch darf
man nicht vergessen, daß trotz dieses ernsten Hintergrunds über dem Ganzen
etwas von dem unauslöschlichen Gelächter des Hofnarren, etwas vom akade¬
mischen Witz und etwas von der Ironie des adlichen Bureaukraten dahinschwebt.




Es war ein kühler Herbstmorgen, die Sonne stand noch hinter dichten
Wollen, als wir Schild" auf der Torgauer Straße verließen. Nach einer
halben Stunde standen wir still vor einem wunderbaren Schauspiele. Uns
zur Rechten lag der großartige Wasserspiegel des Neumühleuteichs, der sich
wegen des Morgennebels in unabsehbare Ferne zu verlieren schien. Ringsum


Uursächsische Streifzüge

Geschäfte wahrzunehmen. Drum machen sie auch den dummen Snuhirteu zu
ihrem Schultheißen! Und welche grausame Ironie liegt darin, daß eben diese
armen Thore«, die man der Landtagsfähigkeit berauben will, in unserm Buche
von Kaisern und Königen zu Ratgebern begehrt werden, ja daß der Kaiser
in Utopien, während er darauf wartet, daß die Stände des Reichs sich ver¬
sammeln, selbst zu ihnen zieht, zu sehen, wie es mit ihrer Narrheit stehe.
„Er lies inen auch darbei anzeigen und vermelden <one zweiffel sie zu ver¬
suchen und ob sie recht nerrisch sein zuerfahren) er wölle sie bey allen jren
von altem hergebrachten Privilegien, Freyheiten und Gnaden nicht nur schirmen
und handhabe», sonder auch, wo es die notturft also erfordern edele, noch
ferner befreyen rund begraben usw." Thatsächlich sind später Abgeordnete von
Kleinstädter, die ehedem landtagsfähig gewesen waren, vom Landtage in
Dresden zurückgewiesen worden. Ein solcher Fall ist für Annaburg (Lochau)
ans dem Jahre 1682 bezeugt. Ich möchte vermuten, daß auch schon der
dnrch den Administrator 1592 reaktivierte Landtag versucht hat, die Abgeord¬
neten der kleinern Städte auszuschließen. Es wäre interessant, wenn sich
etwas derartiges aus den Landtagsakten nachweisen ließe.

Ich wage nicht zu behaupten, daß Schönberg von Anfang an beabsichtigt
hat, eine boshafte Satire auf die meißnischeu Kleinstädter und Hinterwäldler
zu schreiben; er hat wohl mit einer Schwanksammlnug begonnen. Aber indem
er deren Stücke untereinander verknüpfte, und namentlich als er die Einleitung
duzn schrieb, gewann zunächst für ihn selbst sein Stoff Beziehung zu den
sozialen und politischen Fragen seiner Zeit, wurde die satirische Ader in ihm
lebendig und machte aus der Schwanksammlung einen satirischen Roman mit
aristokratischer Tendenz. So führt uns denn das Schildbürgerbuch zunächst
in die heitere Sphäre elbläudischer Bier- und Weiugespräche ein, außerdem
aber ist es ein interessantes Spiegelbild der geistig-ästhetischen sowie der sozial¬
politischen Gegensätze, die gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts das
innere Leben Kursachsens beherrschen. Das Schildbürgerbuch wird also künftig
nicht mehr als ein Volksbuch — wenigstens nicht seinem Ursprünge nach — gelten
können; es stammt vielmehr ans der höhern Gesellschaft und ist nicht nur ein
litterarhistorischeS, sondern auch ein wichtiges kulturhistorisches Dokument aus
der interessanten Zeit, wo eine Adelsrevolntion den Absolutismus Christians I.
und seines großen Ministers auf Jahrhunderte zu Boden warf. Doch darf
man nicht vergessen, daß trotz dieses ernsten Hintergrunds über dem Ganzen
etwas von dem unauslöschlichen Gelächter des Hofnarren, etwas vom akade¬
mischen Witz und etwas von der Ironie des adlichen Bureaukraten dahinschwebt.




Es war ein kühler Herbstmorgen, die Sonne stand noch hinter dichten
Wollen, als wir Schild» auf der Torgauer Straße verließen. Nach einer
halben Stunde standen wir still vor einem wunderbaren Schauspiele. Uns
zur Rechten lag der großartige Wasserspiegel des Neumühleuteichs, der sich
wegen des Morgennebels in unabsehbare Ferne zu verlieren schien. Ringsum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236631"/>
          <fw type="header" place="top"> Uursächsische Streifzüge</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_344" prev="#ID_343"> Geschäfte wahrzunehmen. Drum machen sie auch den dummen Snuhirteu zu<lb/>
ihrem Schultheißen! Und welche grausame Ironie liegt darin, daß eben diese<lb/>
armen Thore«, die man der Landtagsfähigkeit berauben will, in unserm Buche<lb/>
von Kaisern und Königen zu Ratgebern begehrt werden, ja daß der Kaiser<lb/>
in Utopien, während er darauf wartet, daß die Stände des Reichs sich ver¬<lb/>
sammeln, selbst zu ihnen zieht, zu sehen, wie es mit ihrer Narrheit stehe.<lb/>
&#x201E;Er lies inen auch darbei anzeigen und vermelden &lt;one zweiffel sie zu ver¬<lb/>
suchen und ob sie recht nerrisch sein zuerfahren) er wölle sie bey allen jren<lb/>
von altem hergebrachten Privilegien, Freyheiten und Gnaden nicht nur schirmen<lb/>
und handhabe», sonder auch, wo es die notturft also erfordern edele, noch<lb/>
ferner befreyen rund begraben usw." Thatsächlich sind später Abgeordnete von<lb/>
Kleinstädter, die ehedem landtagsfähig gewesen waren, vom Landtage in<lb/>
Dresden zurückgewiesen worden. Ein solcher Fall ist für Annaburg (Lochau)<lb/>
ans dem Jahre 1682 bezeugt. Ich möchte vermuten, daß auch schon der<lb/>
dnrch den Administrator 1592 reaktivierte Landtag versucht hat, die Abgeord¬<lb/>
neten der kleinern Städte auszuschließen. Es wäre interessant, wenn sich<lb/>
etwas derartiges aus den Landtagsakten nachweisen ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_345"> Ich wage nicht zu behaupten, daß Schönberg von Anfang an beabsichtigt<lb/>
hat, eine boshafte Satire auf die meißnischeu Kleinstädter und Hinterwäldler<lb/>
zu schreiben; er hat wohl mit einer Schwanksammlnug begonnen. Aber indem<lb/>
er deren Stücke untereinander verknüpfte, und namentlich als er die Einleitung<lb/>
duzn schrieb, gewann zunächst für ihn selbst sein Stoff Beziehung zu den<lb/>
sozialen und politischen Fragen seiner Zeit, wurde die satirische Ader in ihm<lb/>
lebendig und machte aus der Schwanksammlung einen satirischen Roman mit<lb/>
aristokratischer Tendenz. So führt uns denn das Schildbürgerbuch zunächst<lb/>
in die heitere Sphäre elbläudischer Bier- und Weiugespräche ein, außerdem<lb/>
aber ist es ein interessantes Spiegelbild der geistig-ästhetischen sowie der sozial¬<lb/>
politischen Gegensätze, die gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts das<lb/>
innere Leben Kursachsens beherrschen. Das Schildbürgerbuch wird also künftig<lb/>
nicht mehr als ein Volksbuch &#x2014; wenigstens nicht seinem Ursprünge nach &#x2014; gelten<lb/>
können; es stammt vielmehr ans der höhern Gesellschaft und ist nicht nur ein<lb/>
litterarhistorischeS, sondern auch ein wichtiges kulturhistorisches Dokument aus<lb/>
der interessanten Zeit, wo eine Adelsrevolntion den Absolutismus Christians I.<lb/>
und seines großen Ministers auf Jahrhunderte zu Boden warf. Doch darf<lb/>
man nicht vergessen, daß trotz dieses ernsten Hintergrunds über dem Ganzen<lb/>
etwas von dem unauslöschlichen Gelächter des Hofnarren, etwas vom akade¬<lb/>
mischen Witz und etwas von der Ironie des adlichen Bureaukraten dahinschwebt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_346" next="#ID_347"> Es war ein kühler Herbstmorgen, die Sonne stand noch hinter dichten<lb/>
Wollen, als wir Schild» auf der Torgauer Straße verließen. Nach einer<lb/>
halben Stunde standen wir still vor einem wunderbaren Schauspiele. Uns<lb/>
zur Rechten lag der großartige Wasserspiegel des Neumühleuteichs, der sich<lb/>
wegen des Morgennebels in unabsehbare Ferne zu verlieren schien. Ringsum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] Uursächsische Streifzüge Geschäfte wahrzunehmen. Drum machen sie auch den dummen Snuhirteu zu ihrem Schultheißen! Und welche grausame Ironie liegt darin, daß eben diese armen Thore«, die man der Landtagsfähigkeit berauben will, in unserm Buche von Kaisern und Königen zu Ratgebern begehrt werden, ja daß der Kaiser in Utopien, während er darauf wartet, daß die Stände des Reichs sich ver¬ sammeln, selbst zu ihnen zieht, zu sehen, wie es mit ihrer Narrheit stehe. „Er lies inen auch darbei anzeigen und vermelden <one zweiffel sie zu ver¬ suchen und ob sie recht nerrisch sein zuerfahren) er wölle sie bey allen jren von altem hergebrachten Privilegien, Freyheiten und Gnaden nicht nur schirmen und handhabe», sonder auch, wo es die notturft also erfordern edele, noch ferner befreyen rund begraben usw." Thatsächlich sind später Abgeordnete von Kleinstädter, die ehedem landtagsfähig gewesen waren, vom Landtage in Dresden zurückgewiesen worden. Ein solcher Fall ist für Annaburg (Lochau) ans dem Jahre 1682 bezeugt. Ich möchte vermuten, daß auch schon der dnrch den Administrator 1592 reaktivierte Landtag versucht hat, die Abgeord¬ neten der kleinern Städte auszuschließen. Es wäre interessant, wenn sich etwas derartiges aus den Landtagsakten nachweisen ließe. Ich wage nicht zu behaupten, daß Schönberg von Anfang an beabsichtigt hat, eine boshafte Satire auf die meißnischeu Kleinstädter und Hinterwäldler zu schreiben; er hat wohl mit einer Schwanksammlnug begonnen. Aber indem er deren Stücke untereinander verknüpfte, und namentlich als er die Einleitung duzn schrieb, gewann zunächst für ihn selbst sein Stoff Beziehung zu den sozialen und politischen Fragen seiner Zeit, wurde die satirische Ader in ihm lebendig und machte aus der Schwanksammlung einen satirischen Roman mit aristokratischer Tendenz. So führt uns denn das Schildbürgerbuch zunächst in die heitere Sphäre elbläudischer Bier- und Weiugespräche ein, außerdem aber ist es ein interessantes Spiegelbild der geistig-ästhetischen sowie der sozial¬ politischen Gegensätze, die gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts das innere Leben Kursachsens beherrschen. Das Schildbürgerbuch wird also künftig nicht mehr als ein Volksbuch — wenigstens nicht seinem Ursprünge nach — gelten können; es stammt vielmehr ans der höhern Gesellschaft und ist nicht nur ein litterarhistorischeS, sondern auch ein wichtiges kulturhistorisches Dokument aus der interessanten Zeit, wo eine Adelsrevolntion den Absolutismus Christians I. und seines großen Ministers auf Jahrhunderte zu Boden warf. Doch darf man nicht vergessen, daß trotz dieses ernsten Hintergrunds über dem Ganzen etwas von dem unauslöschlichen Gelächter des Hofnarren, etwas vom akade¬ mischen Witz und etwas von der Ironie des adlichen Bureaukraten dahinschwebt. Es war ein kühler Herbstmorgen, die Sonne stand noch hinter dichten Wollen, als wir Schild» auf der Torgauer Straße verließen. Nach einer halben Stunde standen wir still vor einem wunderbaren Schauspiele. Uns zur Rechten lag der großartige Wasserspiegel des Neumühleuteichs, der sich wegen des Morgennebels in unabsehbare Ferne zu verlieren schien. Ringsum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/107
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/107>, abgerufen am 14.05.2024.