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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

kurrenzen auszuschreiben, Ju der That, so, wie es in diesem Falle der Kaiser
gemacht hat, ist es im Altertum und in der Renaissancezeit immer gehalten worden.
Julius II. hat Michelangelo, Raffael und Vramante berufen und ihnen die Aufgabe
gestellt, sein Grabmal zu schaffen, im Vatikan zu malen, die Peterskirche zu bauen,
aber Kommissionen und Preisrichter hat er nicht bemüht, denn aus deren Be¬
schlüssen pflegt gewöhnlich das herauszukommen, was so, wie es dann ausgeführt
wird, kein Mensch gewollt hat, natürlich, weil dann immer eine Mittellinie, ein
Kompromiß gefunden werden muß. Ein großes Kunstwerk soll aber nicht durch
Mehrheitsbeschlüsse zustande kommen, soll kein Kompromiß sein, sondern der Aus¬
druck einer starken künstlerischen Individualität und eines beherrschenden Gedankens.
Jeder Künstler muß also, wenn er ehrlich sein will, sagen: der Kaiser hat damit Recht,
und wir können und sollten Gott danken, daß wir endlich in Deutschland wieder
einen kunstbegeisterten Monarchen haben, der große Aufgaben zu stellen weiß. Aber
von diesem selbstverständlichen Danke haben wir wenigstens in der Presse noch
gar nichts bemerkt; wahrscheinlich denken die Künstler, die der Kaiser beschäftigt
hat, zu "vornehm," ihrem Danke vor aller Welt Ausdruck zu geben, oder fürchten
sie etwa den albernen Vorwurf des "Byzantinismus"? Hat es denn König
Ludwig I. von Bayern oder sein unglücklicher Enkel nicht geradeso gemacht, wie jetzt
der Kaiser? Man mag über Einzelheiten in der Siegesalle denken, wie man will:
als Ganzes, als das steinerne Bilderbuch einer Geschichte ohnegleichen -- denn
das will sie sein und keine Sammlung von Ruhmesdenkmälern, die allerdings der
eine oder der andre dieser alten Markgrafen und Kurfürsten nicht verdienen würde --
hat sie nirgends ihresgleichen. Ausstellungen wie die, für unser Klima passe eine
solche Reihe weißer Mcmnorbilder nicht, richten sich selbst, denn dann müßten wir
in der kunstfeindlichen rußigen Luft unsrer Großstädte auf alle öffentliche Auf¬
stellung von Bildwerken überhaupt verzichten, womit am wenigsten die Künstler
zufrieden sein würden, und wenn die Berliner über ein Kunstwerk nur faule Witze
machen, aber sich nicht freuen können, so ist das doch Wohl für das übrige Deutsch¬
land nicht bestimmend. Zweitens hat der Kaiser "Schönheit und Harmonie" als
das "ewige Gesetz" der Kunst hingestellt, wie sie das klassische Altertum in "so
überwältigender Weise" zum Ausdruck gebracht habe, er hat der Kunst die Aufgabe
zugewiesen, "erzieherisch auf das Volk einzuwirken," ihm "die Möglichkeit zu geben,
sich nach harter Mühe und Arbeit an den Idealen wieder aufzurichten"; er findet,
daß sie sich am Volke "versündigt," "wenn sie weiter nichts thut, als das Elend
noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist," und "in den Rinnstein niedersteigt."
Man sollte meinen, die ganze deutsche Künstlerschaft müßte so edeln Worten jubelnd
zustimmen. Gott bewahre! Man meint vielmehr, der Kaiser wolle das klassische
Altertum, von dem allerdings ein großer Teil unsrer Künstler zum Schaden der
Kunst nichts mehr wissen will, als das einzige Vorbild hinstellen, verwerfe die
"nationale" Kunst und also auch die "Moderne." Aber hat er denn das gesagt?
Er stellt nur das Ziel der antiken Kunst, "Schönheit und Harmonie," als Gesetz
auch für die Gegenwart auf, durchaus nicht ihre Gegenstände und ihre Art der
Ausführung, und damit hat er Recht; er verwirft auch uicht die "Moderne" als solche,
sondern nur ihre Ausartung, die allerdings ihre Gegenstände zuweilen "im Rinnstein"
sucht und den Beschauer nicht über den Schmutz erhebt, sondern in den Schmutz hiunb-
zieht, und damit hat er wieder Recht, tausendmal Recht; denn wenn die Kunst nicht
höhere und reinere Empfindungen im Menschen erweckt, wozu sie wahrhaftig keine
nackten Götter und Heroen braucht, so verwirkt sie das Recht ihres Daseins. Was der
Kaiser da gesagt hat, das trifft nur die modernen "Schmutzmaler" -- so nannte
"die göttliche Grobheit der Hellenen" eine verwandte Richtung des spätern Alter¬
tums --, nicht die Worpsweder, nicht Franz Stuck oder Franz Leiht, oder wie
diese Münchner sonst heißen, auch nicht Max Klinger und Sascha Schneider, am
allerwenigsten Arnold Böcklin. Nur verwahren wir uns dagegen, daß die "national-
deutsche" Kunst mit der "Modernen" identisch sei. Zur nationalen Kunst gehört


Maßgebliches und Unmaßgebliches

kurrenzen auszuschreiben, Ju der That, so, wie es in diesem Falle der Kaiser
gemacht hat, ist es im Altertum und in der Renaissancezeit immer gehalten worden.
Julius II. hat Michelangelo, Raffael und Vramante berufen und ihnen die Aufgabe
gestellt, sein Grabmal zu schaffen, im Vatikan zu malen, die Peterskirche zu bauen,
aber Kommissionen und Preisrichter hat er nicht bemüht, denn aus deren Be¬
schlüssen pflegt gewöhnlich das herauszukommen, was so, wie es dann ausgeführt
wird, kein Mensch gewollt hat, natürlich, weil dann immer eine Mittellinie, ein
Kompromiß gefunden werden muß. Ein großes Kunstwerk soll aber nicht durch
Mehrheitsbeschlüsse zustande kommen, soll kein Kompromiß sein, sondern der Aus¬
druck einer starken künstlerischen Individualität und eines beherrschenden Gedankens.
Jeder Künstler muß also, wenn er ehrlich sein will, sagen: der Kaiser hat damit Recht,
und wir können und sollten Gott danken, daß wir endlich in Deutschland wieder
einen kunstbegeisterten Monarchen haben, der große Aufgaben zu stellen weiß. Aber
von diesem selbstverständlichen Danke haben wir wenigstens in der Presse noch
gar nichts bemerkt; wahrscheinlich denken die Künstler, die der Kaiser beschäftigt
hat, zu „vornehm," ihrem Danke vor aller Welt Ausdruck zu geben, oder fürchten
sie etwa den albernen Vorwurf des „Byzantinismus"? Hat es denn König
Ludwig I. von Bayern oder sein unglücklicher Enkel nicht geradeso gemacht, wie jetzt
der Kaiser? Man mag über Einzelheiten in der Siegesalle denken, wie man will:
als Ganzes, als das steinerne Bilderbuch einer Geschichte ohnegleichen — denn
das will sie sein und keine Sammlung von Ruhmesdenkmälern, die allerdings der
eine oder der andre dieser alten Markgrafen und Kurfürsten nicht verdienen würde —
hat sie nirgends ihresgleichen. Ausstellungen wie die, für unser Klima passe eine
solche Reihe weißer Mcmnorbilder nicht, richten sich selbst, denn dann müßten wir
in der kunstfeindlichen rußigen Luft unsrer Großstädte auf alle öffentliche Auf¬
stellung von Bildwerken überhaupt verzichten, womit am wenigsten die Künstler
zufrieden sein würden, und wenn die Berliner über ein Kunstwerk nur faule Witze
machen, aber sich nicht freuen können, so ist das doch Wohl für das übrige Deutsch¬
land nicht bestimmend. Zweitens hat der Kaiser „Schönheit und Harmonie" als
das „ewige Gesetz" der Kunst hingestellt, wie sie das klassische Altertum in „so
überwältigender Weise" zum Ausdruck gebracht habe, er hat der Kunst die Aufgabe
zugewiesen, „erzieherisch auf das Volk einzuwirken," ihm „die Möglichkeit zu geben,
sich nach harter Mühe und Arbeit an den Idealen wieder aufzurichten"; er findet,
daß sie sich am Volke „versündigt," „wenn sie weiter nichts thut, als das Elend
noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist," und „in den Rinnstein niedersteigt."
Man sollte meinen, die ganze deutsche Künstlerschaft müßte so edeln Worten jubelnd
zustimmen. Gott bewahre! Man meint vielmehr, der Kaiser wolle das klassische
Altertum, von dem allerdings ein großer Teil unsrer Künstler zum Schaden der
Kunst nichts mehr wissen will, als das einzige Vorbild hinstellen, verwerfe die
„nationale" Kunst und also auch die „Moderne." Aber hat er denn das gesagt?
Er stellt nur das Ziel der antiken Kunst, „Schönheit und Harmonie," als Gesetz
auch für die Gegenwart auf, durchaus nicht ihre Gegenstände und ihre Art der
Ausführung, und damit hat er Recht; er verwirft auch uicht die „Moderne" als solche,
sondern nur ihre Ausartung, die allerdings ihre Gegenstände zuweilen „im Rinnstein"
sucht und den Beschauer nicht über den Schmutz erhebt, sondern in den Schmutz hiunb-
zieht, und damit hat er wieder Recht, tausendmal Recht; denn wenn die Kunst nicht
höhere und reinere Empfindungen im Menschen erweckt, wozu sie wahrhaftig keine
nackten Götter und Heroen braucht, so verwirkt sie das Recht ihres Daseins. Was der
Kaiser da gesagt hat, das trifft nur die modernen „Schmutzmaler" — so nannte
„die göttliche Grobheit der Hellenen" eine verwandte Richtung des spätern Alter¬
tums —, nicht die Worpsweder, nicht Franz Stuck oder Franz Leiht, oder wie
diese Münchner sonst heißen, auch nicht Max Klinger und Sascha Schneider, am
allerwenigsten Arnold Böcklin. Nur verwahren wir uns dagegen, daß die „national-
deutsche" Kunst mit der „Modernen" identisch sei. Zur nationalen Kunst gehört


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[0118] Maßgebliches und Unmaßgebliches kurrenzen auszuschreiben, Ju der That, so, wie es in diesem Falle der Kaiser gemacht hat, ist es im Altertum und in der Renaissancezeit immer gehalten worden. Julius II. hat Michelangelo, Raffael und Vramante berufen und ihnen die Aufgabe gestellt, sein Grabmal zu schaffen, im Vatikan zu malen, die Peterskirche zu bauen, aber Kommissionen und Preisrichter hat er nicht bemüht, denn aus deren Be¬ schlüssen pflegt gewöhnlich das herauszukommen, was so, wie es dann ausgeführt wird, kein Mensch gewollt hat, natürlich, weil dann immer eine Mittellinie, ein Kompromiß gefunden werden muß. Ein großes Kunstwerk soll aber nicht durch Mehrheitsbeschlüsse zustande kommen, soll kein Kompromiß sein, sondern der Aus¬ druck einer starken künstlerischen Individualität und eines beherrschenden Gedankens. Jeder Künstler muß also, wenn er ehrlich sein will, sagen: der Kaiser hat damit Recht, und wir können und sollten Gott danken, daß wir endlich in Deutschland wieder einen kunstbegeisterten Monarchen haben, der große Aufgaben zu stellen weiß. Aber von diesem selbstverständlichen Danke haben wir wenigstens in der Presse noch gar nichts bemerkt; wahrscheinlich denken die Künstler, die der Kaiser beschäftigt hat, zu „vornehm," ihrem Danke vor aller Welt Ausdruck zu geben, oder fürchten sie etwa den albernen Vorwurf des „Byzantinismus"? Hat es denn König Ludwig I. von Bayern oder sein unglücklicher Enkel nicht geradeso gemacht, wie jetzt der Kaiser? Man mag über Einzelheiten in der Siegesalle denken, wie man will: als Ganzes, als das steinerne Bilderbuch einer Geschichte ohnegleichen — denn das will sie sein und keine Sammlung von Ruhmesdenkmälern, die allerdings der eine oder der andre dieser alten Markgrafen und Kurfürsten nicht verdienen würde — hat sie nirgends ihresgleichen. Ausstellungen wie die, für unser Klima passe eine solche Reihe weißer Mcmnorbilder nicht, richten sich selbst, denn dann müßten wir in der kunstfeindlichen rußigen Luft unsrer Großstädte auf alle öffentliche Auf¬ stellung von Bildwerken überhaupt verzichten, womit am wenigsten die Künstler zufrieden sein würden, und wenn die Berliner über ein Kunstwerk nur faule Witze machen, aber sich nicht freuen können, so ist das doch Wohl für das übrige Deutsch¬ land nicht bestimmend. Zweitens hat der Kaiser „Schönheit und Harmonie" als das „ewige Gesetz" der Kunst hingestellt, wie sie das klassische Altertum in „so überwältigender Weise" zum Ausdruck gebracht habe, er hat der Kunst die Aufgabe zugewiesen, „erzieherisch auf das Volk einzuwirken," ihm „die Möglichkeit zu geben, sich nach harter Mühe und Arbeit an den Idealen wieder aufzurichten"; er findet, daß sie sich am Volke „versündigt," „wenn sie weiter nichts thut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist," und „in den Rinnstein niedersteigt." Man sollte meinen, die ganze deutsche Künstlerschaft müßte so edeln Worten jubelnd zustimmen. Gott bewahre! Man meint vielmehr, der Kaiser wolle das klassische Altertum, von dem allerdings ein großer Teil unsrer Künstler zum Schaden der Kunst nichts mehr wissen will, als das einzige Vorbild hinstellen, verwerfe die „nationale" Kunst und also auch die „Moderne." Aber hat er denn das gesagt? Er stellt nur das Ziel der antiken Kunst, „Schönheit und Harmonie," als Gesetz auch für die Gegenwart auf, durchaus nicht ihre Gegenstände und ihre Art der Ausführung, und damit hat er Recht; er verwirft auch uicht die „Moderne" als solche, sondern nur ihre Ausartung, die allerdings ihre Gegenstände zuweilen „im Rinnstein" sucht und den Beschauer nicht über den Schmutz erhebt, sondern in den Schmutz hiunb- zieht, und damit hat er wieder Recht, tausendmal Recht; denn wenn die Kunst nicht höhere und reinere Empfindungen im Menschen erweckt, wozu sie wahrhaftig keine nackten Götter und Heroen braucht, so verwirkt sie das Recht ihres Daseins. Was der Kaiser da gesagt hat, das trifft nur die modernen „Schmutzmaler" — so nannte „die göttliche Grobheit der Hellenen" eine verwandte Richtung des spätern Alter¬ tums —, nicht die Worpsweder, nicht Franz Stuck oder Franz Leiht, oder wie diese Münchner sonst heißen, auch nicht Max Klinger und Sascha Schneider, am allerwenigsten Arnold Böcklin. Nur verwahren wir uns dagegen, daß die „national- deutsche" Kunst mit der „Modernen" identisch sei. Zur nationalen Kunst gehört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/118>, abgerufen am 14.05.2024.