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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nächst. 1901/) Der Begründer der pyknvtischen Weltansicht, d. h, der Ansicht, daß
der Weltprozeß im gegenwärtigen Stadium ein Verdichtnngsprozeß sei, hat Jünger,
bei denen, nach einigen Proben zu schließen, die wir gelesen haben, die Pyknose
ins Komische ausschlägt. Das Werk des Begründers ist jedoch ein sehr ernstes
Erzeugnis des staunenswertesten deutschen Gelehrtenflcißes, das wir hier nicht einmal
zu analysieren, geschweige denn zu kritisieren vermögen. In diese Arbeit werden
sich die Physiker, Astronomen, Chemiker und Biologen teilen müssen, denn Vogt
bietet jeder von ihren vier Wissenschaften neue Grundlagen dar. Wir streifen nur
einige Einzelheiten des Buchs, die uns eiuigermnßcn angehn. Der Verfasser hat
die Güte gehabt, es dein Rezensenten "zur gefälligen Benutzung" übersenden zu
lassen, und dieser hat Grund zu der Annahme, daß mit Benutzung gemeint sei
Belehrung mit Beziehung auf einen gewissen Punkt. Seite 917 preist Vogt
nämlich Darwin als den Kopernikus der Biologie und Hneckel als seinen deutschen
Apostel, der zwar über das Ziel hinausgeschossen, aber der biologischen Forschung
unendliche Anregung gegeben habe. Möge er von den Finstermännern hente ge¬
ächtet werden, seine Verdienste würden ungeschmälert bleiben; augenscheinlich habe
sich heute in Dentschland die Wissenschaft in den. Dienst der Reaktion gestellt usw.
Nun zerpflückt aber Vogt selbst die Darwinische Lehre und ihre verschiednen Ver¬
zweigungen, namentlich auch die Theorien von Haeckel und Weismann, dermaßen,
daß, wie er ausdrücklich hervorhebt, nichts als feststehend übrig bleibt als die Über¬
zeugung, daß sich die höhern organischen Wesen aus den niedern entwickelt haben.
Zu dieser Ansicht bekennen wir uns nun ebenfalls, find also in der Hauptsache mit
ihm einig. Ob er auch unsre Voraussetzung annimmt, dnß die Entwicklung von
einer Intelligenz geleitet werden müsse, ist uns nicht klar geworden. Denn zwar
läßt er alle Veränderungen durch äußere Eingriffe verursacht werden, aber da er
der Materie Beseelung, ja Bewußtsein, Empfindung zuschreibt und die Entwicklung
mit der Flucht vor dem Schmerze beginnen läßt (was er freilich später zurück¬
nimmt), so scheint es doch, daß ihm so etwas wie ein Plan vorschwebt, besonders
da er öfter von Zwecken spricht. Er unterscheidet Naturforschung. Naturerkennen
und Metaphysik. Die Metaphysik verwirft er als eine Verirrung, da uns die
Wesenheit der Weltsubstauz, die Ursache alles Geschehns unzugänglich sei. Unter
Naturforschung versteht er die Aufdeckung des Zusammenhangs der Erscheinungen,
die er sekundäre Erscheinungen nennt. Die hypothetischen Wesen und Vorgänge
der physikalischen Systeme wie Atome und deren Schwingungen, die wir mit unsern
Sinnen nicht wahrnehmen können, nennt er primäre Erscheinungen, und versteht
unter Naturerkenntnis die Zurückführung der sekundäre" Erscheinungen auf diese
primären. Das Kriterium dafür, ob sich die Naturerkenntnis innerhalb der Grenzen
der Wissenschaft hält oder in die Metaphysik verirrt, ist die Vorstellbarkeit der nn-
genommncn Wesen und Bewegungen und die Möglichkeit ihrer Kontrolle mit dem
Ncchenstift. Darin stimme" wir Vogt bei, glauben aber, dnß seine Pytnoten,
Chemose" und Viusen, nllermindestens über deren innere Zustände, wie er sie be¬
schreibt, schon metaphysische Dinge sind, denen kein Rechcnstift wird beikommen
können, wenn sie sich much vielleicht noch vorstellen lassen. An einem Punkte nller¬
mindestens hört auch die Vorstellbarkeit auf, wo nämlich das Bewußtsein dieser
Urwesen -- ebenso wie das menschliche Bewußtsein -- als bloße mechanische Spiegelung
erklärt wird. Daran glaube" würde" wir erst dann, wenn uns einmal unser Glas¬
spiegel zurufen würde: Deine Fratze thut mir weh! Vorstellbar würde uns da¬
durch der Vorgang immer noch nicht. Also das menschliche Bewußtsein ist gleich
dem der Bioseu, der orgnuischeu Urelemente, el" Spiegel, der sich ganz passiv ver¬
hält; Lust und Schmerz sind Begleiterscheinungen körperlicher Vorgänge, das Ich
und der Wille falsche Vorspiegelungen, deren Denkbarkeit und Vorstellbarkeit
wiederum weit über unser Denk- und Vorstellungsvermögen hinausgeht. Auf dieser
Grundlage eine Ethik aufzubauen, ist wahrlich keine Kleinigkeit, aber Vogt ist ein
edler und guter Mensch, und so fühlt er sich denn gedrängt, es wenigstens zu


Nächst. 1901/) Der Begründer der pyknvtischen Weltansicht, d. h, der Ansicht, daß
der Weltprozeß im gegenwärtigen Stadium ein Verdichtnngsprozeß sei, hat Jünger,
bei denen, nach einigen Proben zu schließen, die wir gelesen haben, die Pyknose
ins Komische ausschlägt. Das Werk des Begründers ist jedoch ein sehr ernstes
Erzeugnis des staunenswertesten deutschen Gelehrtenflcißes, das wir hier nicht einmal
zu analysieren, geschweige denn zu kritisieren vermögen. In diese Arbeit werden
sich die Physiker, Astronomen, Chemiker und Biologen teilen müssen, denn Vogt
bietet jeder von ihren vier Wissenschaften neue Grundlagen dar. Wir streifen nur
einige Einzelheiten des Buchs, die uns eiuigermnßcn angehn. Der Verfasser hat
die Güte gehabt, es dein Rezensenten „zur gefälligen Benutzung" übersenden zu
lassen, und dieser hat Grund zu der Annahme, daß mit Benutzung gemeint sei
Belehrung mit Beziehung auf einen gewissen Punkt. Seite 917 preist Vogt
nämlich Darwin als den Kopernikus der Biologie und Hneckel als seinen deutschen
Apostel, der zwar über das Ziel hinausgeschossen, aber der biologischen Forschung
unendliche Anregung gegeben habe. Möge er von den Finstermännern hente ge¬
ächtet werden, seine Verdienste würden ungeschmälert bleiben; augenscheinlich habe
sich heute in Dentschland die Wissenschaft in den. Dienst der Reaktion gestellt usw.
Nun zerpflückt aber Vogt selbst die Darwinische Lehre und ihre verschiednen Ver¬
zweigungen, namentlich auch die Theorien von Haeckel und Weismann, dermaßen,
daß, wie er ausdrücklich hervorhebt, nichts als feststehend übrig bleibt als die Über¬
zeugung, daß sich die höhern organischen Wesen aus den niedern entwickelt haben.
Zu dieser Ansicht bekennen wir uns nun ebenfalls, find also in der Hauptsache mit
ihm einig. Ob er auch unsre Voraussetzung annimmt, dnß die Entwicklung von
einer Intelligenz geleitet werden müsse, ist uns nicht klar geworden. Denn zwar
läßt er alle Veränderungen durch äußere Eingriffe verursacht werden, aber da er
der Materie Beseelung, ja Bewußtsein, Empfindung zuschreibt und die Entwicklung
mit der Flucht vor dem Schmerze beginnen läßt (was er freilich später zurück¬
nimmt), so scheint es doch, daß ihm so etwas wie ein Plan vorschwebt, besonders
da er öfter von Zwecken spricht. Er unterscheidet Naturforschung. Naturerkennen
und Metaphysik. Die Metaphysik verwirft er als eine Verirrung, da uns die
Wesenheit der Weltsubstauz, die Ursache alles Geschehns unzugänglich sei. Unter
Naturforschung versteht er die Aufdeckung des Zusammenhangs der Erscheinungen,
die er sekundäre Erscheinungen nennt. Die hypothetischen Wesen und Vorgänge
der physikalischen Systeme wie Atome und deren Schwingungen, die wir mit unsern
Sinnen nicht wahrnehmen können, nennt er primäre Erscheinungen, und versteht
unter Naturerkenntnis die Zurückführung der sekundäre» Erscheinungen auf diese
primären. Das Kriterium dafür, ob sich die Naturerkenntnis innerhalb der Grenzen
der Wissenschaft hält oder in die Metaphysik verirrt, ist die Vorstellbarkeit der nn-
genommncn Wesen und Bewegungen und die Möglichkeit ihrer Kontrolle mit dem
Ncchenstift. Darin stimme» wir Vogt bei, glauben aber, dnß seine Pytnoten,
Chemose» und Viusen, nllermindestens über deren innere Zustände, wie er sie be¬
schreibt, schon metaphysische Dinge sind, denen kein Rechcnstift wird beikommen
können, wenn sie sich much vielleicht noch vorstellen lassen. An einem Punkte nller¬
mindestens hört auch die Vorstellbarkeit auf, wo nämlich das Bewußtsein dieser
Urwesen — ebenso wie das menschliche Bewußtsein — als bloße mechanische Spiegelung
erklärt wird. Daran glaube» würde» wir erst dann, wenn uns einmal unser Glas¬
spiegel zurufen würde: Deine Fratze thut mir weh! Vorstellbar würde uns da¬
durch der Vorgang immer noch nicht. Also das menschliche Bewußtsein ist gleich
dem der Bioseu, der orgnuischeu Urelemente, el» Spiegel, der sich ganz passiv ver¬
hält; Lust und Schmerz sind Begleiterscheinungen körperlicher Vorgänge, das Ich
und der Wille falsche Vorspiegelungen, deren Denkbarkeit und Vorstellbarkeit
wiederum weit über unser Denk- und Vorstellungsvermögen hinausgeht. Auf dieser
Grundlage eine Ethik aufzubauen, ist wahrlich keine Kleinigkeit, aber Vogt ist ein
edler und guter Mensch, und so fühlt er sich denn gedrängt, es wenigstens zu


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[0170] Nächst. 1901/) Der Begründer der pyknvtischen Weltansicht, d. h, der Ansicht, daß der Weltprozeß im gegenwärtigen Stadium ein Verdichtnngsprozeß sei, hat Jünger, bei denen, nach einigen Proben zu schließen, die wir gelesen haben, die Pyknose ins Komische ausschlägt. Das Werk des Begründers ist jedoch ein sehr ernstes Erzeugnis des staunenswertesten deutschen Gelehrtenflcißes, das wir hier nicht einmal zu analysieren, geschweige denn zu kritisieren vermögen. In diese Arbeit werden sich die Physiker, Astronomen, Chemiker und Biologen teilen müssen, denn Vogt bietet jeder von ihren vier Wissenschaften neue Grundlagen dar. Wir streifen nur einige Einzelheiten des Buchs, die uns eiuigermnßcn angehn. Der Verfasser hat die Güte gehabt, es dein Rezensenten „zur gefälligen Benutzung" übersenden zu lassen, und dieser hat Grund zu der Annahme, daß mit Benutzung gemeint sei Belehrung mit Beziehung auf einen gewissen Punkt. Seite 917 preist Vogt nämlich Darwin als den Kopernikus der Biologie und Hneckel als seinen deutschen Apostel, der zwar über das Ziel hinausgeschossen, aber der biologischen Forschung unendliche Anregung gegeben habe. Möge er von den Finstermännern hente ge¬ ächtet werden, seine Verdienste würden ungeschmälert bleiben; augenscheinlich habe sich heute in Dentschland die Wissenschaft in den. Dienst der Reaktion gestellt usw. Nun zerpflückt aber Vogt selbst die Darwinische Lehre und ihre verschiednen Ver¬ zweigungen, namentlich auch die Theorien von Haeckel und Weismann, dermaßen, daß, wie er ausdrücklich hervorhebt, nichts als feststehend übrig bleibt als die Über¬ zeugung, daß sich die höhern organischen Wesen aus den niedern entwickelt haben. Zu dieser Ansicht bekennen wir uns nun ebenfalls, find also in der Hauptsache mit ihm einig. Ob er auch unsre Voraussetzung annimmt, dnß die Entwicklung von einer Intelligenz geleitet werden müsse, ist uns nicht klar geworden. Denn zwar läßt er alle Veränderungen durch äußere Eingriffe verursacht werden, aber da er der Materie Beseelung, ja Bewußtsein, Empfindung zuschreibt und die Entwicklung mit der Flucht vor dem Schmerze beginnen läßt (was er freilich später zurück¬ nimmt), so scheint es doch, daß ihm so etwas wie ein Plan vorschwebt, besonders da er öfter von Zwecken spricht. Er unterscheidet Naturforschung. Naturerkennen und Metaphysik. Die Metaphysik verwirft er als eine Verirrung, da uns die Wesenheit der Weltsubstauz, die Ursache alles Geschehns unzugänglich sei. Unter Naturforschung versteht er die Aufdeckung des Zusammenhangs der Erscheinungen, die er sekundäre Erscheinungen nennt. Die hypothetischen Wesen und Vorgänge der physikalischen Systeme wie Atome und deren Schwingungen, die wir mit unsern Sinnen nicht wahrnehmen können, nennt er primäre Erscheinungen, und versteht unter Naturerkenntnis die Zurückführung der sekundäre» Erscheinungen auf diese primären. Das Kriterium dafür, ob sich die Naturerkenntnis innerhalb der Grenzen der Wissenschaft hält oder in die Metaphysik verirrt, ist die Vorstellbarkeit der nn- genommncn Wesen und Bewegungen und die Möglichkeit ihrer Kontrolle mit dem Ncchenstift. Darin stimme» wir Vogt bei, glauben aber, dnß seine Pytnoten, Chemose» und Viusen, nllermindestens über deren innere Zustände, wie er sie be¬ schreibt, schon metaphysische Dinge sind, denen kein Rechcnstift wird beikommen können, wenn sie sich much vielleicht noch vorstellen lassen. An einem Punkte nller¬ mindestens hört auch die Vorstellbarkeit auf, wo nämlich das Bewußtsein dieser Urwesen — ebenso wie das menschliche Bewußtsein — als bloße mechanische Spiegelung erklärt wird. Daran glaube» würde» wir erst dann, wenn uns einmal unser Glas¬ spiegel zurufen würde: Deine Fratze thut mir weh! Vorstellbar würde uns da¬ durch der Vorgang immer noch nicht. Also das menschliche Bewußtsein ist gleich dem der Bioseu, der orgnuischeu Urelemente, el» Spiegel, der sich ganz passiv ver¬ hält; Lust und Schmerz sind Begleiterscheinungen körperlicher Vorgänge, das Ich und der Wille falsche Vorspiegelungen, deren Denkbarkeit und Vorstellbarkeit wiederum weit über unser Denk- und Vorstellungsvermögen hinausgeht. Auf dieser Grundlage eine Ethik aufzubauen, ist wahrlich keine Kleinigkeit, aber Vogt ist ein edler und guter Mensch, und so fühlt er sich denn gedrängt, es wenigstens zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/170>, abgerufen am 14.05.2024.