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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Überschauen wir zum Schluß noch einmal den Gesamteindruck der Ereig¬
nisse vor Paris, so ergiebt sich, daß allerdings auch auf deutscher Seite Fehler
und Irrtümer vorgekommen sind, und es liegt kein Grund vor, das nicht offen
auszusprechen. Ihre Ursache wird man vor allem darin zu suchen haben, daß
überhaupt die Erfordernisse des Festungskriegs damals bei allen Nationen
nicht so weit vorbereitet waren, wie dieses für den Feldkrieg der Fall war.
Immerhin ist auch hierin die deutsche Armee der französischen weit überlegen
gewesen.

Wenn dadurch nun auch auf einige unsrer berühmtesten Führer leichte
Schatten fallen -- ihre Verdienste sind so groß, daß es ihnen keinen Ab¬
bruch thut --, so tritt dafür das Bild des Kaisers Wilhelm in ein immer
glänzenderes Licht, je genauer wir die damaligen Verhältnisse in allen Einzel¬
heiten kennen lernen. Wir erfahren, daß der Kaiser in der That, wie wieder¬
holt während des Kriegs, so auch bei Paris die Verhältnisse am richtigsten
beurteilt hat; er ist es, der den richtigen Entschluß gefaßt und ihn dann auch
trotz aller Schwierigkeiten mit festem Willen durchgeführt hat. Wir erhalten
gerade in dieser Versailler Zeit ein so genaues Bild von ihm wie bei wenig
andern Gelegenheiten, sowohl durch die amtlichen Schriftstücke, wie durch die
Veröffentlichung zahlreicher privater Feldzugsbriefe, die uns einen tiefen Ein¬
blick in das ganze Räderwerk der Negierungsmaschine gewähren. Wir sehen
da, daß der König den großen Männern, die er in die maßgebenden Stellungen
berufen hatte, große Selbständigkeit verlieh und damit die volle Freiheit im
Handeln und die Arbeitsfreudigkeit, die allein auch die höchste Arbeitsleistung
sichert; zugleich aber gewährte er ihnen volle Unabhängigkeit voneinander und
erreichte dadurch, daß er die oberste Leitung und die letzte Entscheidung un¬
bedingt in der Hand behielt. Denn so war er es allein, der die politischen
wie die militärischen Dinge zugleich vollständig übersah und dadurch dem
einzelnen Rcssortchef immer überlegen blieb; und nur er allein konnte somit
das Zusammenwirken Aller leiten, und das hat er denn auch thatsächlich mit
so großem Erfolge gethan. Wir sehen den erbitterten Kampf der starken
Kräfte, die dort thätig waren; wir sehen aber auch, daß er, so unangenehm
er sich manchmal den Einzelnen empfindlich machte, doch den großen Gang
der Ereignisse in keiner Weise geschädigt hat.

So kommen wir zu der Überzeugung, daß diese große Zeit, die ebenso
fruchtbar war an gewaltigen kriegerischen wie staatsmännischen Erfolgen, in
ihrer großartigen Einheitlichkeit doch auch wesentlich das Gepräge des Kaisers
selbst trägt, und daß die Geschichte deshalb gewiß zu dem Urteil kommen wird
daß er nicht nur äußerlich der Herrscher war über die großen Männer, die
dort unter ihm thätig waren, sondern in Wirklichkeit der Größestc unter den
Großen.




Überschauen wir zum Schluß noch einmal den Gesamteindruck der Ereig¬
nisse vor Paris, so ergiebt sich, daß allerdings auch auf deutscher Seite Fehler
und Irrtümer vorgekommen sind, und es liegt kein Grund vor, das nicht offen
auszusprechen. Ihre Ursache wird man vor allem darin zu suchen haben, daß
überhaupt die Erfordernisse des Festungskriegs damals bei allen Nationen
nicht so weit vorbereitet waren, wie dieses für den Feldkrieg der Fall war.
Immerhin ist auch hierin die deutsche Armee der französischen weit überlegen
gewesen.

Wenn dadurch nun auch auf einige unsrer berühmtesten Führer leichte
Schatten fallen — ihre Verdienste sind so groß, daß es ihnen keinen Ab¬
bruch thut —, so tritt dafür das Bild des Kaisers Wilhelm in ein immer
glänzenderes Licht, je genauer wir die damaligen Verhältnisse in allen Einzel¬
heiten kennen lernen. Wir erfahren, daß der Kaiser in der That, wie wieder¬
holt während des Kriegs, so auch bei Paris die Verhältnisse am richtigsten
beurteilt hat; er ist es, der den richtigen Entschluß gefaßt und ihn dann auch
trotz aller Schwierigkeiten mit festem Willen durchgeführt hat. Wir erhalten
gerade in dieser Versailler Zeit ein so genaues Bild von ihm wie bei wenig
andern Gelegenheiten, sowohl durch die amtlichen Schriftstücke, wie durch die
Veröffentlichung zahlreicher privater Feldzugsbriefe, die uns einen tiefen Ein¬
blick in das ganze Räderwerk der Negierungsmaschine gewähren. Wir sehen
da, daß der König den großen Männern, die er in die maßgebenden Stellungen
berufen hatte, große Selbständigkeit verlieh und damit die volle Freiheit im
Handeln und die Arbeitsfreudigkeit, die allein auch die höchste Arbeitsleistung
sichert; zugleich aber gewährte er ihnen volle Unabhängigkeit voneinander und
erreichte dadurch, daß er die oberste Leitung und die letzte Entscheidung un¬
bedingt in der Hand behielt. Denn so war er es allein, der die politischen
wie die militärischen Dinge zugleich vollständig übersah und dadurch dem
einzelnen Rcssortchef immer überlegen blieb; und nur er allein konnte somit
das Zusammenwirken Aller leiten, und das hat er denn auch thatsächlich mit
so großem Erfolge gethan. Wir sehen den erbitterten Kampf der starken
Kräfte, die dort thätig waren; wir sehen aber auch, daß er, so unangenehm
er sich manchmal den Einzelnen empfindlich machte, doch den großen Gang
der Ereignisse in keiner Weise geschädigt hat.

So kommen wir zu der Überzeugung, daß diese große Zeit, die ebenso
fruchtbar war an gewaltigen kriegerischen wie staatsmännischen Erfolgen, in
ihrer großartigen Einheitlichkeit doch auch wesentlich das Gepräge des Kaisers
selbst trägt, und daß die Geschichte deshalb gewiß zu dem Urteil kommen wird
daß er nicht nur äußerlich der Herrscher war über die großen Männer, die
dort unter ihm thätig waren, sondern in Wirklichkeit der Größestc unter den
Großen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/197>, abgerufen am 14.05.2024.