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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

die Sprachgrenze, die einstmals noch Se. Blaise, für das der deutsche Name
Helmsgcrieth urkundlich belegt ist, dem deutschen Sprachgebiet zuwies, ist heute
über Schirmeck hinaus bis nach Lützclhausen zurückgeschoben. Dagegen hat
im Leberthal die deutsche Sprache, begünstigt durch eine starke Bergmanns-
einwcmdrung, in der neuern Zeit starke Fortschritte gemacht, die durch die
politische Herrschaft Frankreichs und die auf sie folgende elsässische Oppositions¬
stimmung wohl aufgehalten, aber nicht rückgängig gemacht werden konnten.
Weiter nach Süden zu hat sich im Elsaß die deutsch-romanische Sprachgrenze
behauptet, abgesehen von wenigen unbedeutenden Verschiebungen im Sundgau,
die fast ausnahmslos der deutscheu Sprache zu gute gekommen sind. In der
Westschweiz hat sie, wie schon angedeutet worden ist, im Laufe der Jahr¬
hunderte größere Verändrungen zu unsern Gunsten erfahren, die in manchen
Gegenden bis in unsre Tage anhalten. Noch deutlicher giebt sich die Ost¬
schweiz als ein Gebiet zu erkennen, wo die deutsche Sprache in Mittelalter
und Neuzeit die kräftigsten Fortschritte gemacht hat nud sich auch heute noch
im Kanton Graubünden auf Kosten der Räto-Romanen rüstig weiter aus¬
breitet.

Viel verwickelter liegen die Verhältnisse im benachbarten Tirol: Während
im Süden alte germanische Siedlungen sind, die zum Teil bis in die Zeiten
der Völkerwandrung zurückreichen und noch heute ins Königreich Italien
hinübergreifen, wo sie vor einigen Jahrhunderten noch weit ausgedehntere zu¬
sammenhängende Komplexe gebildet zu haben scheinen, ist der Norden nebst
den angrenzenden Gebieten Oberbayerns erst verhältnismäßig spät in aus-
gedehnterm Maße von Deutschen besiedelt worden. Hier im Norden finden
sich noch überall die deutlichsten Spuren der einst herrschenden romanischen
Sprache. Und während die deutsche Sprache hier in ähnlicher Weise wie in
der Ostschweiz der romanischen den Boden streitig machte und die Alleinherr¬
schaft errang -- im Vintschgau läßt sich dieser Vorgang noch ziemlich deutlich
an der Hand der Urkunden verfolgen --, bröckelte im Süden Scholle um
Scholle von dem einstigen deutschen Sprachboden ab und ging in dem an¬
steigenden Meere des Jtalienertums unter. Später als die Franken und
Alemannen haben die Bayern ihre endgiltigen Sitze eingenommen. Sie sind
es, die das Deutschtum im östlichen Alpengebiet ausgebreitet haben. Nachdem
sie die eigentlich bayrischen Lande, Tirol und Salzburg besetzt hatten, standen
Karantanien und infolge der glücklichen Eroberungspolitik Karls des Großen
auch Österreich ihnen offen. Indem sie hierhin durch ihre Niederlassung
deutsche Sprache und Sitte trugen, haben sie die erste nachhaltige Ausdehnung
des Deutschtums nach Osten bewirkt und damit einen Weg beschritten, der in
spätern Jahrhunderten noch öfter zum Heile des Deutschtums betreten werden
sollte. Sie haben das große Werk der Wiedergewinnung des an Slawen
und Avaren preisgegebnen Ostens durch die Erringung nachhaltiger Erfolge
eingeleitet.

Nachdem die germanischen Wanderstämme ihre alten Sitze an Elbe, Oder
und Weichsel verlassen hatten, um weiter im Süden oder Westen eine neue
Heimat zu suchen, schienen die von ihnen ausgegebnen Gebiete für immer der


Nationalitätskämpfe

die Sprachgrenze, die einstmals noch Se. Blaise, für das der deutsche Name
Helmsgcrieth urkundlich belegt ist, dem deutschen Sprachgebiet zuwies, ist heute
über Schirmeck hinaus bis nach Lützclhausen zurückgeschoben. Dagegen hat
im Leberthal die deutsche Sprache, begünstigt durch eine starke Bergmanns-
einwcmdrung, in der neuern Zeit starke Fortschritte gemacht, die durch die
politische Herrschaft Frankreichs und die auf sie folgende elsässische Oppositions¬
stimmung wohl aufgehalten, aber nicht rückgängig gemacht werden konnten.
Weiter nach Süden zu hat sich im Elsaß die deutsch-romanische Sprachgrenze
behauptet, abgesehen von wenigen unbedeutenden Verschiebungen im Sundgau,
die fast ausnahmslos der deutscheu Sprache zu gute gekommen sind. In der
Westschweiz hat sie, wie schon angedeutet worden ist, im Laufe der Jahr¬
hunderte größere Verändrungen zu unsern Gunsten erfahren, die in manchen
Gegenden bis in unsre Tage anhalten. Noch deutlicher giebt sich die Ost¬
schweiz als ein Gebiet zu erkennen, wo die deutsche Sprache in Mittelalter
und Neuzeit die kräftigsten Fortschritte gemacht hat nud sich auch heute noch
im Kanton Graubünden auf Kosten der Räto-Romanen rüstig weiter aus¬
breitet.

Viel verwickelter liegen die Verhältnisse im benachbarten Tirol: Während
im Süden alte germanische Siedlungen sind, die zum Teil bis in die Zeiten
der Völkerwandrung zurückreichen und noch heute ins Königreich Italien
hinübergreifen, wo sie vor einigen Jahrhunderten noch weit ausgedehntere zu¬
sammenhängende Komplexe gebildet zu haben scheinen, ist der Norden nebst
den angrenzenden Gebieten Oberbayerns erst verhältnismäßig spät in aus-
gedehnterm Maße von Deutschen besiedelt worden. Hier im Norden finden
sich noch überall die deutlichsten Spuren der einst herrschenden romanischen
Sprache. Und während die deutsche Sprache hier in ähnlicher Weise wie in
der Ostschweiz der romanischen den Boden streitig machte und die Alleinherr¬
schaft errang — im Vintschgau läßt sich dieser Vorgang noch ziemlich deutlich
an der Hand der Urkunden verfolgen —, bröckelte im Süden Scholle um
Scholle von dem einstigen deutschen Sprachboden ab und ging in dem an¬
steigenden Meere des Jtalienertums unter. Später als die Franken und
Alemannen haben die Bayern ihre endgiltigen Sitze eingenommen. Sie sind
es, die das Deutschtum im östlichen Alpengebiet ausgebreitet haben. Nachdem
sie die eigentlich bayrischen Lande, Tirol und Salzburg besetzt hatten, standen
Karantanien und infolge der glücklichen Eroberungspolitik Karls des Großen
auch Österreich ihnen offen. Indem sie hierhin durch ihre Niederlassung
deutsche Sprache und Sitte trugen, haben sie die erste nachhaltige Ausdehnung
des Deutschtums nach Osten bewirkt und damit einen Weg beschritten, der in
spätern Jahrhunderten noch öfter zum Heile des Deutschtums betreten werden
sollte. Sie haben das große Werk der Wiedergewinnung des an Slawen
und Avaren preisgegebnen Ostens durch die Erringung nachhaltiger Erfolge
eingeleitet.

Nachdem die germanischen Wanderstämme ihre alten Sitze an Elbe, Oder
und Weichsel verlassen hatten, um weiter im Süden oder Westen eine neue
Heimat zu suchen, schienen die von ihnen ausgegebnen Gebiete für immer der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/204>, abgerufen am 01.11.2024.