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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

gerichtet, als man sonst zu thun pflegte, womit nicht gesagt sein soll, daß es besser
gewesen Ware, An den Wänden der angrenzenden Gebände war Spalierobst ge¬
pflanzt, einst nach allen Regeln der Kunst angelegt, später aber vernachlässigt und
schlecht geschnitten. Einige Bäume waren eingegangen. An ihrer Stelle rankten
japanische Klettergurken empor, für die die Stelle ausgezeichnet gewesen wäre, wenn
es nicht an Dünger gefehlt hätte. Dort wuchsen Tomate" -- sehr schön anzusehen,
aber leider wurden sie in dem Klima von Holzweißig nicht reif. Dort war eine
Wasserleitung zur Bewässerung des Gartens mit vielem Scharfsinn angelegt, schade
nur, daß es mehr Mühe machte, das Wasser in das Bassin als an Ort und Stelle
zu schleppen. Im Hintergrunde standen einige alte Schulbänke, die der Herr Oberst¬
leutnant auf der Auktion gekauft hatte, weil niemand drauf bieten wollte, und weil
sie so billig waren. Sie dienten jetzt als Stellage für des Herrn Oberstleutnants
Kakteensammlnng. Auch die benachbarte, im Hanse liegende Waschküche hatte er
sehr zum Verdrusse von Augusten in sein Bereich eingezogen. Hier machte er Tinte,
man konnte es schon von außen an den schwarzen Streifen sehen, die vom Fenster
aus nach unten zogen. Denn der Herr Oberstleutnant war, nachdem er zwanzig
Tintcsorten versucht hatte und mit keiner zufrieden gewesen war, zu der Überzeugung
gekommen, daß die ganze Tinten--fabri--kation im Ar--gen liege, und daß es
hohe Zeit sei, dem Probleme einer wirklich guten Tinte mit Intelligenz auf den
Leib zu rücken. Er beschloß also, selbst Tinte zu fabrizieren und dabei womöglich
alle bisher eingeschlagnen Wege zu vermeiden. Noch war das Ziel nicht erreicht,
es sah auch nicht so aus, als wenn es bald geschehn würde, da der Herr Oberst¬
leutnant, um nichts umkommen zu lassen, die mißratne Tinte immer wieder in die
neu angesetzte verarbeitete.

Klapphorn aber erwies sich sowohl vor als auch hinter dem Hause als eine
Perle von Faktotum, da er alles, was die "Frau" anordnete, unweigerlich aus¬
führte, und alles, was der "Herre" augnb, als Evangelium betrachtete, wen" es
auch heute das Gegenteil von dem gewesen wäre, was gestern gegolten hatte. Denn
er Pflegte die Summe seiner Lebensweisheit in deu Satz zusammenzufassen: Besser
das Maul voll als den Kopf voll.

Beide, "der Herre" und "die Frau" befanden sich also in ihren Revieren,
er im Küchengarten, und sie im Salon. Übrigens konnte die gnädige Frau das
Wort Salon nicht nusstehn, denn ihre Sympathien richteten sich nicht nach Frank¬
reich, sondern noch England. Seit sie in ihrer Jngend einmal in England ge¬
wesen war, um sich auf dem Schlosse einer entfernten Großtante zu langweilen,
und weil sie ein schmales Gesicht, eine schmale Nase, aschblonde Haare und graue
Augen hatte, betrachtete sie es als einen Irrtum des Schicksals, daß sie in Deutsch¬
land geboren war. Sie fühlte sich also innerlich als Englcmderin. Ihre Kinder
wußten natürlich Namen haben, die ihr sympathisch waren, und so setzte sie es durch,
daß sie Jork, Alice und Ellen getauft wurden. Sie hätte auch gern ihren Haus¬
stand nach englischem Muster eingerichtet, aber hier stieß sie auf unüberwindliche
Schwierigkeiten und mußte finden, daß man in Deutschland schrecklich zurückgeblieben
sei und gar kein Verständnis für die Borzüge Englands hatte. Sie konnte nicht
erreichen, daß das Gesellschaftszimmer Drawing-Roon genannt wurde, und mußte
"alter wieder hören Salon, oder -- schrecklich! -- gute^Stube. Und wenn Klapp-
>Mu, um seinen guten Willen zu zeigen, vom "traurige" Ruhm" redete, so ge¬
reichte ihr das nicht zur Befriedigung. Sie konnte nicht erreichen, daß zu Mittag
gelöutscht und zu Abend gedinnert wurde, des Personals wegen, das lieber ge¬
kündigt als sein Mittagbrot zu Abend gegessen hätte. Daß der Kaffee verbannt
und nur uoch Thee getrunken wurde, war nicht durchzusetzen, da "der Herr"
darauf bestand, nachmittags um drei Uhr seinen Kaffee zu haben, und gegen deu
Los-v'oiovk-doa -- "die olle Pfeifsache," sagte Klapphorn -- rebellierten sogar die
Töchter, die sich nicht jeden Nachmittag verderben lassen wollten. Die gnädige
Frau rührte natürlich nichts andres als Thee an. Und bei gegebnen Gelegen-


Doktor Duttmüller und sein Freund

gerichtet, als man sonst zu thun pflegte, womit nicht gesagt sein soll, daß es besser
gewesen Ware, An den Wänden der angrenzenden Gebände war Spalierobst ge¬
pflanzt, einst nach allen Regeln der Kunst angelegt, später aber vernachlässigt und
schlecht geschnitten. Einige Bäume waren eingegangen. An ihrer Stelle rankten
japanische Klettergurken empor, für die die Stelle ausgezeichnet gewesen wäre, wenn
es nicht an Dünger gefehlt hätte. Dort wuchsen Tomate» — sehr schön anzusehen,
aber leider wurden sie in dem Klima von Holzweißig nicht reif. Dort war eine
Wasserleitung zur Bewässerung des Gartens mit vielem Scharfsinn angelegt, schade
nur, daß es mehr Mühe machte, das Wasser in das Bassin als an Ort und Stelle
zu schleppen. Im Hintergrunde standen einige alte Schulbänke, die der Herr Oberst¬
leutnant auf der Auktion gekauft hatte, weil niemand drauf bieten wollte, und weil
sie so billig waren. Sie dienten jetzt als Stellage für des Herrn Oberstleutnants
Kakteensammlnng. Auch die benachbarte, im Hanse liegende Waschküche hatte er
sehr zum Verdrusse von Augusten in sein Bereich eingezogen. Hier machte er Tinte,
man konnte es schon von außen an den schwarzen Streifen sehen, die vom Fenster
aus nach unten zogen. Denn der Herr Oberstleutnant war, nachdem er zwanzig
Tintcsorten versucht hatte und mit keiner zufrieden gewesen war, zu der Überzeugung
gekommen, daß die ganze Tinten—fabri—kation im Ar—gen liege, und daß es
hohe Zeit sei, dem Probleme einer wirklich guten Tinte mit Intelligenz auf den
Leib zu rücken. Er beschloß also, selbst Tinte zu fabrizieren und dabei womöglich
alle bisher eingeschlagnen Wege zu vermeiden. Noch war das Ziel nicht erreicht,
es sah auch nicht so aus, als wenn es bald geschehn würde, da der Herr Oberst¬
leutnant, um nichts umkommen zu lassen, die mißratne Tinte immer wieder in die
neu angesetzte verarbeitete.

Klapphorn aber erwies sich sowohl vor als auch hinter dem Hause als eine
Perle von Faktotum, da er alles, was die „Frau" anordnete, unweigerlich aus¬
führte, und alles, was der „Herre" augnb, als Evangelium betrachtete, wen» es
auch heute das Gegenteil von dem gewesen wäre, was gestern gegolten hatte. Denn
er Pflegte die Summe seiner Lebensweisheit in deu Satz zusammenzufassen: Besser
das Maul voll als den Kopf voll.

Beide, „der Herre" und „die Frau" befanden sich also in ihren Revieren,
er im Küchengarten, und sie im Salon. Übrigens konnte die gnädige Frau das
Wort Salon nicht nusstehn, denn ihre Sympathien richteten sich nicht nach Frank¬
reich, sondern noch England. Seit sie in ihrer Jngend einmal in England ge¬
wesen war, um sich auf dem Schlosse einer entfernten Großtante zu langweilen,
und weil sie ein schmales Gesicht, eine schmale Nase, aschblonde Haare und graue
Augen hatte, betrachtete sie es als einen Irrtum des Schicksals, daß sie in Deutsch¬
land geboren war. Sie fühlte sich also innerlich als Englcmderin. Ihre Kinder
wußten natürlich Namen haben, die ihr sympathisch waren, und so setzte sie es durch,
daß sie Jork, Alice und Ellen getauft wurden. Sie hätte auch gern ihren Haus¬
stand nach englischem Muster eingerichtet, aber hier stieß sie auf unüberwindliche
Schwierigkeiten und mußte finden, daß man in Deutschland schrecklich zurückgeblieben
sei und gar kein Verständnis für die Borzüge Englands hatte. Sie konnte nicht
erreichen, daß das Gesellschaftszimmer Drawing-Roon genannt wurde, und mußte
"alter wieder hören Salon, oder — schrecklich! — gute^Stube. Und wenn Klapp-
>Mu, um seinen guten Willen zu zeigen, vom „traurige» Ruhm" redete, so ge¬
reichte ihr das nicht zur Befriedigung. Sie konnte nicht erreichen, daß zu Mittag
gelöutscht und zu Abend gedinnert wurde, des Personals wegen, das lieber ge¬
kündigt als sein Mittagbrot zu Abend gegessen hätte. Daß der Kaffee verbannt
und nur uoch Thee getrunken wurde, war nicht durchzusetzen, da „der Herr"
darauf bestand, nachmittags um drei Uhr seinen Kaffee zu haben, und gegen deu
Los-v'oiovk-doa — „die olle Pfeifsache," sagte Klapphorn — rebellierten sogar die
Töchter, die sich nicht jeden Nachmittag verderben lassen wollten. Die gnädige
Frau rührte natürlich nichts andres als Thee an. Und bei gegebnen Gelegen-


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[0223] Doktor Duttmüller und sein Freund gerichtet, als man sonst zu thun pflegte, womit nicht gesagt sein soll, daß es besser gewesen Ware, An den Wänden der angrenzenden Gebände war Spalierobst ge¬ pflanzt, einst nach allen Regeln der Kunst angelegt, später aber vernachlässigt und schlecht geschnitten. Einige Bäume waren eingegangen. An ihrer Stelle rankten japanische Klettergurken empor, für die die Stelle ausgezeichnet gewesen wäre, wenn es nicht an Dünger gefehlt hätte. Dort wuchsen Tomate» — sehr schön anzusehen, aber leider wurden sie in dem Klima von Holzweißig nicht reif. Dort war eine Wasserleitung zur Bewässerung des Gartens mit vielem Scharfsinn angelegt, schade nur, daß es mehr Mühe machte, das Wasser in das Bassin als an Ort und Stelle zu schleppen. Im Hintergrunde standen einige alte Schulbänke, die der Herr Oberst¬ leutnant auf der Auktion gekauft hatte, weil niemand drauf bieten wollte, und weil sie so billig waren. Sie dienten jetzt als Stellage für des Herrn Oberstleutnants Kakteensammlnng. Auch die benachbarte, im Hanse liegende Waschküche hatte er sehr zum Verdrusse von Augusten in sein Bereich eingezogen. Hier machte er Tinte, man konnte es schon von außen an den schwarzen Streifen sehen, die vom Fenster aus nach unten zogen. Denn der Herr Oberstleutnant war, nachdem er zwanzig Tintcsorten versucht hatte und mit keiner zufrieden gewesen war, zu der Überzeugung gekommen, daß die ganze Tinten—fabri—kation im Ar—gen liege, und daß es hohe Zeit sei, dem Probleme einer wirklich guten Tinte mit Intelligenz auf den Leib zu rücken. Er beschloß also, selbst Tinte zu fabrizieren und dabei womöglich alle bisher eingeschlagnen Wege zu vermeiden. Noch war das Ziel nicht erreicht, es sah auch nicht so aus, als wenn es bald geschehn würde, da der Herr Oberst¬ leutnant, um nichts umkommen zu lassen, die mißratne Tinte immer wieder in die neu angesetzte verarbeitete. Klapphorn aber erwies sich sowohl vor als auch hinter dem Hause als eine Perle von Faktotum, da er alles, was die „Frau" anordnete, unweigerlich aus¬ führte, und alles, was der „Herre" augnb, als Evangelium betrachtete, wen» es auch heute das Gegenteil von dem gewesen wäre, was gestern gegolten hatte. Denn er Pflegte die Summe seiner Lebensweisheit in deu Satz zusammenzufassen: Besser das Maul voll als den Kopf voll. Beide, „der Herre" und „die Frau" befanden sich also in ihren Revieren, er im Küchengarten, und sie im Salon. Übrigens konnte die gnädige Frau das Wort Salon nicht nusstehn, denn ihre Sympathien richteten sich nicht nach Frank¬ reich, sondern noch England. Seit sie in ihrer Jngend einmal in England ge¬ wesen war, um sich auf dem Schlosse einer entfernten Großtante zu langweilen, und weil sie ein schmales Gesicht, eine schmale Nase, aschblonde Haare und graue Augen hatte, betrachtete sie es als einen Irrtum des Schicksals, daß sie in Deutsch¬ land geboren war. Sie fühlte sich also innerlich als Englcmderin. Ihre Kinder wußten natürlich Namen haben, die ihr sympathisch waren, und so setzte sie es durch, daß sie Jork, Alice und Ellen getauft wurden. Sie hätte auch gern ihren Haus¬ stand nach englischem Muster eingerichtet, aber hier stieß sie auf unüberwindliche Schwierigkeiten und mußte finden, daß man in Deutschland schrecklich zurückgeblieben sei und gar kein Verständnis für die Borzüge Englands hatte. Sie konnte nicht erreichen, daß das Gesellschaftszimmer Drawing-Roon genannt wurde, und mußte "alter wieder hören Salon, oder — schrecklich! — gute^Stube. Und wenn Klapp- >Mu, um seinen guten Willen zu zeigen, vom „traurige» Ruhm" redete, so ge¬ reichte ihr das nicht zur Befriedigung. Sie konnte nicht erreichen, daß zu Mittag gelöutscht und zu Abend gedinnert wurde, des Personals wegen, das lieber ge¬ kündigt als sein Mittagbrot zu Abend gegessen hätte. Daß der Kaffee verbannt und nur uoch Thee getrunken wurde, war nicht durchzusetzen, da „der Herr" darauf bestand, nachmittags um drei Uhr seinen Kaffee zu haben, und gegen deu Los-v'oiovk-doa — „die olle Pfeifsache," sagte Klapphorn — rebellierten sogar die Töchter, die sich nicht jeden Nachmittag verderben lassen wollten. Die gnädige Frau rührte natürlich nichts andres als Thee an. Und bei gegebnen Gelegen-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/223>, abgerufen am 14.05.2024.