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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Freilich einen Vorwurf können wir dem Verfasser nicht ersparen. Er hatte
die einschlägige Litteratur heranziehn müssen. Er durfte vor allen Dingen die
"Berliner Range" nicht übersehen, deren zweiter Band von Berliner Dienstboten
handelt. Einen' wissenschaftlichen Wert will ich diesem Buche nicht gerade zusprechen,
doch ist ihm eine große zeitgenössische Bedeutung nicht abzusprechen, da von ihm,
wie auf allen Bahnhöfen zu lesen ist, mehr als eine halbe Million Exemplare ab¬
gesetzt worden sind. Wenn aber gefragt werden sollte, ob man denn wisse, wer
hinter den in dem Buche auftretenden Dienstmädchen stecke, und ob ihre Äußerungen
über ihre Herrschaften berechtigt seien, so ist zu antworten, von den 459 Antworten
der befragten Dienstboten weiß man es auch nicht.

Herr Doktor Seitlich hat festgestellt, daß 89 Prozent der Dienstmädchen das¬
selbe Essen erhalten wie die Dienstherrschaft. Welchen Schluß ziehn wir hieraus?
Daß die Ernährung der Dienstmädchen befriedigend sei? Keineswegs. Der Mann,
der auf dem Bureau sitzt, die Frau und die Töchter des Hauses, die den ganzen
Tag nichts thun, siud Reicht gesättigt; solange also das Dienstmädchen, das alle
Arbeit thut, uicht eine kräftigere Kost erhält als die Dienstherrschaft, und solange
diese Kost uicht so reichlich bemessen ist, daß sie auch für den zugehörigen Soldaten
ausreicht, kann von einem befriedigenden Stande der Ernährnngsfrnge nicht die
Rede sein, Nein, man muß über entsetzliche Verhältnisse klagen, man muß es, wie
Herr Doktor Seitlich thut, als die Regel hinstellen, daß ein Dienstmädchen bei einer
Frau Geheimrat von sechs Uhr früh bis abends zehn Uhr anstrengend arbeiten muß,
daß sie bei der Kündigung von der gnädige" Frau eine Ohrfeige bekommt und
voir der Polizei auf ihre Beschwerde hin noch obendrein eingesperrt wird. Man
muß durch Fragen die gemißhandelte Dienstbotenschaft zum Bewußtsein ihrer Lage
bringen. Ein Dienstmädchen stellte die Forderung, das viele Prügeln müsse auf¬
hören. Sie habe in Naumanns "Hilfe" gelesen, daß manchmal der Hund besser
gehalten werde als das Dienstmädchen. Man sieht also, dieses Mädchen würde
nicht zu dem Bewußtsein gekommen sein, daß sie zu dem Geschlechte der geprügelten
Kreaturen gehöre, wenn es ihr nicht gesagt worden wäre. Wir haben es mit
Rührung gelesen, wie warm man sich in jeuer Versammlung des Rechts der Dienst¬
boten, ihren abendlichen Ausgang zu haben und ihre Liebschaften zu pflegen, an¬
genommen but. Mag man den wissenschaftlichen Wert des Stillichscheu Buchs ein¬
schätzen, wie man will, der agitatorische steht außerhalb allen Zweifels. Leider es
das Buch zu teuer. Aber man empfahl einen Auszug für zehn Pfennige, worin
die Schläger des Buchs dicht zusammengerückt werden könnten, herauszugeben und
w die Hände der Dienstmädchen gelangen zu lassen. Sehr gut. Mau wird sich
damit uni das Vaterland verdient macheu.

Ach ja, es wird nachgerade schwer, einen noch unbearbeiteten Gegenstand zu
finden, deu man sozialwissenschaftlich verwerten kann, um dadurch berühmt zu werden.
Eins ist noch nicht geschehn -- wir möchten die Aufgabe Interessenten empfehlen --:
die sozialwissenschnftliche Erkundung der Lage der Vagabunden. Die Aufgabe hat
ihre Schwierigkeiten, da man für Vagabunden feste Adressen nicht erhalten kann.
Man muß die Beantwortung protokollarisch selbst niederschreiben. Man muß, nach¬
dem der Herr Gendarm hinter einem Frühstück festgelegt worden ist, an deu Dorf-
"ingängen Tische aufstellen und diese Tische mit Getränken ausstatten. Man muß
durch freundliches Entgegenkommen das Vertrauen dieser armen, vom Klassenstaat
"nsgestoßenen, der Verelendung verfallnen, gemißhandelten, von den Thüren ab¬
gewiesenen, mit Hunden gehetzten, mit Schimpfworten überschütteten und mit Pfenmgen
abgespeisten Menschen durch Verabfolgung von Getränken zu gewinnen suchen. Dann
geben sie jede Antwort, die man haben will. Nur eine Frage darf nicht gestellt
werden: Was denken Sie über Arbeiten? Bei dieser Frage würden sie mit Blitzes¬
schnelle spurlos verschwinden.




Freilich einen Vorwurf können wir dem Verfasser nicht ersparen. Er hatte
die einschlägige Litteratur heranziehn müssen. Er durfte vor allen Dingen die
„Berliner Range" nicht übersehen, deren zweiter Band von Berliner Dienstboten
handelt. Einen' wissenschaftlichen Wert will ich diesem Buche nicht gerade zusprechen,
doch ist ihm eine große zeitgenössische Bedeutung nicht abzusprechen, da von ihm,
wie auf allen Bahnhöfen zu lesen ist, mehr als eine halbe Million Exemplare ab¬
gesetzt worden sind. Wenn aber gefragt werden sollte, ob man denn wisse, wer
hinter den in dem Buche auftretenden Dienstmädchen stecke, und ob ihre Äußerungen
über ihre Herrschaften berechtigt seien, so ist zu antworten, von den 459 Antworten
der befragten Dienstboten weiß man es auch nicht.

Herr Doktor Seitlich hat festgestellt, daß 89 Prozent der Dienstmädchen das¬
selbe Essen erhalten wie die Dienstherrschaft. Welchen Schluß ziehn wir hieraus?
Daß die Ernährung der Dienstmädchen befriedigend sei? Keineswegs. Der Mann,
der auf dem Bureau sitzt, die Frau und die Töchter des Hauses, die den ganzen
Tag nichts thun, siud Reicht gesättigt; solange also das Dienstmädchen, das alle
Arbeit thut, uicht eine kräftigere Kost erhält als die Dienstherrschaft, und solange
diese Kost uicht so reichlich bemessen ist, daß sie auch für den zugehörigen Soldaten
ausreicht, kann von einem befriedigenden Stande der Ernährnngsfrnge nicht die
Rede sein, Nein, man muß über entsetzliche Verhältnisse klagen, man muß es, wie
Herr Doktor Seitlich thut, als die Regel hinstellen, daß ein Dienstmädchen bei einer
Frau Geheimrat von sechs Uhr früh bis abends zehn Uhr anstrengend arbeiten muß,
daß sie bei der Kündigung von der gnädige» Frau eine Ohrfeige bekommt und
voir der Polizei auf ihre Beschwerde hin noch obendrein eingesperrt wird. Man
muß durch Fragen die gemißhandelte Dienstbotenschaft zum Bewußtsein ihrer Lage
bringen. Ein Dienstmädchen stellte die Forderung, das viele Prügeln müsse auf¬
hören. Sie habe in Naumanns „Hilfe" gelesen, daß manchmal der Hund besser
gehalten werde als das Dienstmädchen. Man sieht also, dieses Mädchen würde
nicht zu dem Bewußtsein gekommen sein, daß sie zu dem Geschlechte der geprügelten
Kreaturen gehöre, wenn es ihr nicht gesagt worden wäre. Wir haben es mit
Rührung gelesen, wie warm man sich in jeuer Versammlung des Rechts der Dienst¬
boten, ihren abendlichen Ausgang zu haben und ihre Liebschaften zu pflegen, an¬
genommen but. Mag man den wissenschaftlichen Wert des Stillichscheu Buchs ein¬
schätzen, wie man will, der agitatorische steht außerhalb allen Zweifels. Leider es
das Buch zu teuer. Aber man empfahl einen Auszug für zehn Pfennige, worin
die Schläger des Buchs dicht zusammengerückt werden könnten, herauszugeben und
w die Hände der Dienstmädchen gelangen zu lassen. Sehr gut. Mau wird sich
damit uni das Vaterland verdient macheu.

Ach ja, es wird nachgerade schwer, einen noch unbearbeiteten Gegenstand zu
finden, deu man sozialwissenschaftlich verwerten kann, um dadurch berühmt zu werden.
Eins ist noch nicht geschehn — wir möchten die Aufgabe Interessenten empfehlen —:
die sozialwissenschnftliche Erkundung der Lage der Vagabunden. Die Aufgabe hat
ihre Schwierigkeiten, da man für Vagabunden feste Adressen nicht erhalten kann.
Man muß die Beantwortung protokollarisch selbst niederschreiben. Man muß, nach¬
dem der Herr Gendarm hinter einem Frühstück festgelegt worden ist, an deu Dorf-
«ingängen Tische aufstellen und diese Tische mit Getränken ausstatten. Man muß
durch freundliches Entgegenkommen das Vertrauen dieser armen, vom Klassenstaat
"nsgestoßenen, der Verelendung verfallnen, gemißhandelten, von den Thüren ab¬
gewiesenen, mit Hunden gehetzten, mit Schimpfworten überschütteten und mit Pfenmgen
abgespeisten Menschen durch Verabfolgung von Getränken zu gewinnen suchen. Dann
geben sie jede Antwort, die man haben will. Nur eine Frage darf nicht gestellt
werden: Was denken Sie über Arbeiten? Bei dieser Frage würden sie mit Blitzes¬
schnelle spurlos verschwinden.




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[0231] Freilich einen Vorwurf können wir dem Verfasser nicht ersparen. Er hatte die einschlägige Litteratur heranziehn müssen. Er durfte vor allen Dingen die „Berliner Range" nicht übersehen, deren zweiter Band von Berliner Dienstboten handelt. Einen' wissenschaftlichen Wert will ich diesem Buche nicht gerade zusprechen, doch ist ihm eine große zeitgenössische Bedeutung nicht abzusprechen, da von ihm, wie auf allen Bahnhöfen zu lesen ist, mehr als eine halbe Million Exemplare ab¬ gesetzt worden sind. Wenn aber gefragt werden sollte, ob man denn wisse, wer hinter den in dem Buche auftretenden Dienstmädchen stecke, und ob ihre Äußerungen über ihre Herrschaften berechtigt seien, so ist zu antworten, von den 459 Antworten der befragten Dienstboten weiß man es auch nicht. Herr Doktor Seitlich hat festgestellt, daß 89 Prozent der Dienstmädchen das¬ selbe Essen erhalten wie die Dienstherrschaft. Welchen Schluß ziehn wir hieraus? Daß die Ernährung der Dienstmädchen befriedigend sei? Keineswegs. Der Mann, der auf dem Bureau sitzt, die Frau und die Töchter des Hauses, die den ganzen Tag nichts thun, siud Reicht gesättigt; solange also das Dienstmädchen, das alle Arbeit thut, uicht eine kräftigere Kost erhält als die Dienstherrschaft, und solange diese Kost uicht so reichlich bemessen ist, daß sie auch für den zugehörigen Soldaten ausreicht, kann von einem befriedigenden Stande der Ernährnngsfrnge nicht die Rede sein, Nein, man muß über entsetzliche Verhältnisse klagen, man muß es, wie Herr Doktor Seitlich thut, als die Regel hinstellen, daß ein Dienstmädchen bei einer Frau Geheimrat von sechs Uhr früh bis abends zehn Uhr anstrengend arbeiten muß, daß sie bei der Kündigung von der gnädige» Frau eine Ohrfeige bekommt und voir der Polizei auf ihre Beschwerde hin noch obendrein eingesperrt wird. Man muß durch Fragen die gemißhandelte Dienstbotenschaft zum Bewußtsein ihrer Lage bringen. Ein Dienstmädchen stellte die Forderung, das viele Prügeln müsse auf¬ hören. Sie habe in Naumanns „Hilfe" gelesen, daß manchmal der Hund besser gehalten werde als das Dienstmädchen. Man sieht also, dieses Mädchen würde nicht zu dem Bewußtsein gekommen sein, daß sie zu dem Geschlechte der geprügelten Kreaturen gehöre, wenn es ihr nicht gesagt worden wäre. Wir haben es mit Rührung gelesen, wie warm man sich in jeuer Versammlung des Rechts der Dienst¬ boten, ihren abendlichen Ausgang zu haben und ihre Liebschaften zu pflegen, an¬ genommen but. Mag man den wissenschaftlichen Wert des Stillichscheu Buchs ein¬ schätzen, wie man will, der agitatorische steht außerhalb allen Zweifels. Leider es das Buch zu teuer. Aber man empfahl einen Auszug für zehn Pfennige, worin die Schläger des Buchs dicht zusammengerückt werden könnten, herauszugeben und w die Hände der Dienstmädchen gelangen zu lassen. Sehr gut. Mau wird sich damit uni das Vaterland verdient macheu. Ach ja, es wird nachgerade schwer, einen noch unbearbeiteten Gegenstand zu finden, deu man sozialwissenschaftlich verwerten kann, um dadurch berühmt zu werden. Eins ist noch nicht geschehn — wir möchten die Aufgabe Interessenten empfehlen —: die sozialwissenschnftliche Erkundung der Lage der Vagabunden. Die Aufgabe hat ihre Schwierigkeiten, da man für Vagabunden feste Adressen nicht erhalten kann. Man muß die Beantwortung protokollarisch selbst niederschreiben. Man muß, nach¬ dem der Herr Gendarm hinter einem Frühstück festgelegt worden ist, an deu Dorf- «ingängen Tische aufstellen und diese Tische mit Getränken ausstatten. Man muß durch freundliches Entgegenkommen das Vertrauen dieser armen, vom Klassenstaat "nsgestoßenen, der Verelendung verfallnen, gemißhandelten, von den Thüren ab¬ gewiesenen, mit Hunden gehetzten, mit Schimpfworten überschütteten und mit Pfenmgen abgespeisten Menschen durch Verabfolgung von Getränken zu gewinnen suchen. Dann geben sie jede Antwort, die man haben will. Nur eine Frage darf nicht gestellt werden: Was denken Sie über Arbeiten? Bei dieser Frage würden sie mit Blitzes¬ schnelle spurlos verschwinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/231>, abgerufen am 14.05.2024.