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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Schweizerische Fernsichten

Wieso? Nichts natürlicher als das. Es ist nicht nötig, sich hier über
das schon mehrfach behandelte Thema zu verbreiten, daß die Gleichheit der
Sprache, der Religion und der Sitten, die Gemeinsamkeit der Litteratur, Kunst
und Wissenschaft, die Übereinstimmung der Handelsinteressen Deutschlands und
der Schweiz, ferner die Anhäufung recht beträchtlicher deutscher Kapitalien, die
überaus große Zahl Deutscher in der Schweiz und manche andre Verhältnisse
Umstünde sind, die nicht nur von den einen schon mit Sorgen beobachtet wurden,
sondern aus denen andre schon den Schluß gezogen haben, daß eine Ver¬
einigung der Schweiz mit dem Deutschen Reiche die natürliche Entwicklung
oder Folge dieser Verhältnisse und nur noch eine Frage der Zeit sei.

Daß dieser Gednnkeugang richtiges enthält, läßt sich nicht leugnen, aber
ein großes und mächtiges Hindernis steht einer solchen Verschmelzung im
Wege, nämlich die Monarchie in Deutschland, das monarchische Gefühl des
deutscheu Volkes! Gegen die Angliedernng eines durch und durch demokra¬
tischen Landes würde man sich unter den heutigen Verhältnissen deutscherseits
mit Händen und Füßen sträuben, man würde sich wohl hüten, einer geschlossenen
Phalanx der Opposition gegen die gegenwärtige Regierungsform Aufnahme
zu gewähren! Ganz anders lügen die Dinge aber, wenn die demokratische
Propaganda wirklich Erfolg gehabt haben sollte: dann müßte Deutschland
die "Schwesterrepublik" Schweiz mit geöffneten Armen umschließen; viel
Sträuben würde dann der Jungfrau Helvetia nichts mehr helfen, das einzig
noch Trennende, die Verschiedenheit der monarchischen Anschauungen einerseits,
der republikanischen andrerseits, wäre beseitigt -- und abe! schweizerische Un¬
abhängigkeit und Selbständigkeit! Wo ist ein Schweizer, der mit Be¬
wußtsein auf dieses Ziel hinarbeiten würde?

"Ja, soweit würden wir es nicht kommen lassen," wird entgegnet. Wie
weit denn? Würde es nicht von einem weitern Blick zeugen, wenn ein solcher
Weg, der nach schweizerischer Überzeugung in den Abgrund führen müßte, dann
überhaupt uicht betreten würde? Steht es jederzeit frei, auf diesem Wege
wieder umzukehren, wenn man vorher seinen Sympathien und Bestrebungen
ungezügelten Lauf gelassen hat?

Zum Heile der Schweiz ist nun aber von so baldigen Erfolgen "republi¬
kanischer Auffrischung" in Deutschland noch keine Rede. Das monarchische
Prinzip ist mit dem deutschen Volke so eng verwachsen, das monarchische
Element so stark vertreten, daß, wenn(!) etwa doch heute eine demokratische
Regierung an die Spitze gelangte, morgen eine monarchische um so kräftiger
ihr Hnupt erheben würde -- innere Kriege, die bald nach außen weitergetragen
würden, wären die Folge, und auch dieses Resultat wäre kaum ein von der
doch immer zum Frieden geneigten Schweiz gewünschtes; die Frage, ob und
w^ sie sich aus einem entfesselten Völkerbrande herausretten würde, sollte
allein schon genügen, schweizerische Blätter davor zu bewahren, über kleinliche
momentane Sympathien und Antipathien die größer", fernliegenden Interessen
chres Landes zu übersehen. Eine deutsche Republik aber ist ebenso ein Un¬
ding wie ein helvetisches Königreich! Luna vuiaus! Der Schweiz ihre volle
Selbständigkeit -- dem Deutschen Reiche aber ein kräftiges Kaisertum: wenn


Schweizerische Fernsichten

Wieso? Nichts natürlicher als das. Es ist nicht nötig, sich hier über
das schon mehrfach behandelte Thema zu verbreiten, daß die Gleichheit der
Sprache, der Religion und der Sitten, die Gemeinsamkeit der Litteratur, Kunst
und Wissenschaft, die Übereinstimmung der Handelsinteressen Deutschlands und
der Schweiz, ferner die Anhäufung recht beträchtlicher deutscher Kapitalien, die
überaus große Zahl Deutscher in der Schweiz und manche andre Verhältnisse
Umstünde sind, die nicht nur von den einen schon mit Sorgen beobachtet wurden,
sondern aus denen andre schon den Schluß gezogen haben, daß eine Ver¬
einigung der Schweiz mit dem Deutschen Reiche die natürliche Entwicklung
oder Folge dieser Verhältnisse und nur noch eine Frage der Zeit sei.

Daß dieser Gednnkeugang richtiges enthält, läßt sich nicht leugnen, aber
ein großes und mächtiges Hindernis steht einer solchen Verschmelzung im
Wege, nämlich die Monarchie in Deutschland, das monarchische Gefühl des
deutscheu Volkes! Gegen die Angliedernng eines durch und durch demokra¬
tischen Landes würde man sich unter den heutigen Verhältnissen deutscherseits
mit Händen und Füßen sträuben, man würde sich wohl hüten, einer geschlossenen
Phalanx der Opposition gegen die gegenwärtige Regierungsform Aufnahme
zu gewähren! Ganz anders lügen die Dinge aber, wenn die demokratische
Propaganda wirklich Erfolg gehabt haben sollte: dann müßte Deutschland
die „Schwesterrepublik" Schweiz mit geöffneten Armen umschließen; viel
Sträuben würde dann der Jungfrau Helvetia nichts mehr helfen, das einzig
noch Trennende, die Verschiedenheit der monarchischen Anschauungen einerseits,
der republikanischen andrerseits, wäre beseitigt — und abe! schweizerische Un¬
abhängigkeit und Selbständigkeit! Wo ist ein Schweizer, der mit Be¬
wußtsein auf dieses Ziel hinarbeiten würde?

„Ja, soweit würden wir es nicht kommen lassen," wird entgegnet. Wie
weit denn? Würde es nicht von einem weitern Blick zeugen, wenn ein solcher
Weg, der nach schweizerischer Überzeugung in den Abgrund führen müßte, dann
überhaupt uicht betreten würde? Steht es jederzeit frei, auf diesem Wege
wieder umzukehren, wenn man vorher seinen Sympathien und Bestrebungen
ungezügelten Lauf gelassen hat?

Zum Heile der Schweiz ist nun aber von so baldigen Erfolgen „republi¬
kanischer Auffrischung" in Deutschland noch keine Rede. Das monarchische
Prinzip ist mit dem deutschen Volke so eng verwachsen, das monarchische
Element so stark vertreten, daß, wenn(!) etwa doch heute eine demokratische
Regierung an die Spitze gelangte, morgen eine monarchische um so kräftiger
ihr Hnupt erheben würde — innere Kriege, die bald nach außen weitergetragen
würden, wären die Folge, und auch dieses Resultat wäre kaum ein von der
doch immer zum Frieden geneigten Schweiz gewünschtes; die Frage, ob und
w^ sie sich aus einem entfesselten Völkerbrande herausretten würde, sollte
allein schon genügen, schweizerische Blätter davor zu bewahren, über kleinliche
momentane Sympathien und Antipathien die größer», fernliegenden Interessen
chres Landes zu übersehen. Eine deutsche Republik aber ist ebenso ein Un¬
ding wie ein helvetisches Königreich! Luna vuiaus! Der Schweiz ihre volle
Selbständigkeit — dem Deutschen Reiche aber ein kräftiges Kaisertum: wenn


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[0251] Schweizerische Fernsichten Wieso? Nichts natürlicher als das. Es ist nicht nötig, sich hier über das schon mehrfach behandelte Thema zu verbreiten, daß die Gleichheit der Sprache, der Religion und der Sitten, die Gemeinsamkeit der Litteratur, Kunst und Wissenschaft, die Übereinstimmung der Handelsinteressen Deutschlands und der Schweiz, ferner die Anhäufung recht beträchtlicher deutscher Kapitalien, die überaus große Zahl Deutscher in der Schweiz und manche andre Verhältnisse Umstünde sind, die nicht nur von den einen schon mit Sorgen beobachtet wurden, sondern aus denen andre schon den Schluß gezogen haben, daß eine Ver¬ einigung der Schweiz mit dem Deutschen Reiche die natürliche Entwicklung oder Folge dieser Verhältnisse und nur noch eine Frage der Zeit sei. Daß dieser Gednnkeugang richtiges enthält, läßt sich nicht leugnen, aber ein großes und mächtiges Hindernis steht einer solchen Verschmelzung im Wege, nämlich die Monarchie in Deutschland, das monarchische Gefühl des deutscheu Volkes! Gegen die Angliedernng eines durch und durch demokra¬ tischen Landes würde man sich unter den heutigen Verhältnissen deutscherseits mit Händen und Füßen sträuben, man würde sich wohl hüten, einer geschlossenen Phalanx der Opposition gegen die gegenwärtige Regierungsform Aufnahme zu gewähren! Ganz anders lügen die Dinge aber, wenn die demokratische Propaganda wirklich Erfolg gehabt haben sollte: dann müßte Deutschland die „Schwesterrepublik" Schweiz mit geöffneten Armen umschließen; viel Sträuben würde dann der Jungfrau Helvetia nichts mehr helfen, das einzig noch Trennende, die Verschiedenheit der monarchischen Anschauungen einerseits, der republikanischen andrerseits, wäre beseitigt — und abe! schweizerische Un¬ abhängigkeit und Selbständigkeit! Wo ist ein Schweizer, der mit Be¬ wußtsein auf dieses Ziel hinarbeiten würde? „Ja, soweit würden wir es nicht kommen lassen," wird entgegnet. Wie weit denn? Würde es nicht von einem weitern Blick zeugen, wenn ein solcher Weg, der nach schweizerischer Überzeugung in den Abgrund führen müßte, dann überhaupt uicht betreten würde? Steht es jederzeit frei, auf diesem Wege wieder umzukehren, wenn man vorher seinen Sympathien und Bestrebungen ungezügelten Lauf gelassen hat? Zum Heile der Schweiz ist nun aber von so baldigen Erfolgen „republi¬ kanischer Auffrischung" in Deutschland noch keine Rede. Das monarchische Prinzip ist mit dem deutschen Volke so eng verwachsen, das monarchische Element so stark vertreten, daß, wenn(!) etwa doch heute eine demokratische Regierung an die Spitze gelangte, morgen eine monarchische um so kräftiger ihr Hnupt erheben würde — innere Kriege, die bald nach außen weitergetragen würden, wären die Folge, und auch dieses Resultat wäre kaum ein von der doch immer zum Frieden geneigten Schweiz gewünschtes; die Frage, ob und w^ sie sich aus einem entfesselten Völkerbrande herausretten würde, sollte allein schon genügen, schweizerische Blätter davor zu bewahren, über kleinliche momentane Sympathien und Antipathien die größer», fernliegenden Interessen chres Landes zu übersehen. Eine deutsche Republik aber ist ebenso ein Un¬ ding wie ein helvetisches Königreich! Luna vuiaus! Der Schweiz ihre volle Selbständigkeit — dem Deutschen Reiche aber ein kräftiges Kaisertum: wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/251>, abgerufen am 15.05.2024.