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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Fällen dem Autor und einigen wenigen, die sich für einen bestimmten Gegen¬
stand interessieren; einen weitern Leserkreis wird sie bald langweilen. Sie
unterhält ihn nicht, und was sie lehren könnte, geht ihn nichts an. Wozu
also die Schulmeisteret, wenn sie ihm nichts positives bringt? Was man
nicht loben kann, darüber schweigt man besser.

Der Bücherhaufe auf unserm Tisch wird kleiner, viel kleiner. Er nimmt
langsam ub, denn eine Zeit lang dachten wir noch, dies und das, was wir
uns angemerkt hatten, könnte unsern Lesern von Nutzen sein, und bei weiteren
Erwägen mußte es doch weggeschoben werden, wenigstens vorläufig. Etwas
davon wird sich immer noch einmal in irgend einem passenden Zusammenhang
zum Wort melden, etwas anch plötzlich für sich allein auftauchen aus einem
"Unmaßgeblichen." Ganz ergebnislos war also unser Bemühen nicht, vielleicht
auch für die nicht ganz gleichgiltig, die die Bücher geschrieben oder gedruckt
haben, denn manchmal finden gerade solche verstreute Körner ein gutes Stück
Acker, und vereinzelte Eindrücke wirken oft besser als eine Reihe von Anzeigen
hintereinander in dem üblichen Empfehlungsstil. Zu denen können wir uns
nicht zwingen, schon darum nicht, weil wir uns mit dieser immer wieder ein¬
setzenden Anwendung derselben Redensarten schließlich selbst komisch vorkommen
müßten. Und was die Sache betrifft, wenn z. B. Gedichte oder Erzählungen
an sich ganz gut, aber weder für den Autor, noch für die Art, die der Leser
beide schon kennt, irgendwie neu oder besouders siud: würde es uns auch nur
ein einziger Schriftsteller danken, wenn wir das so kurz und klar, wie es
dann geschehn müßte, nussprächen? Was schließlich zurückbleibt, was wir also
für unsre Leser für gut genug halten, oder wie wir auch sagen dürfen, wozu
wir im Hinblick auf sie ein eignes Verhältnis haben finden können, das wird
nicht gerade sehr viel sein, um so besser können wir dem gerecht werden, und
alle dabei Beteiligten werden sich auf diese Weise am besten stehn. Der
Herausgeber der Grenzboten hat vor einiger Zeit an die Verleger die Bitte
gerichtet, möglichst nur solche Bücher zu schicken, die wirklich eine Besprechung
verdienten, und nicht zu erwarten, daß beliebige Erzeugnisse der Fachlitteratur
oder unbedeutende Romane und Gedichte den Lesern empfohlen würden. Das
war nicht unfreundlich gemeint. Die Mitarbeiter hatten das Gefühl einer
großen Last, die die Zusender selbst möglicherweise als eine erwiesene Wohl¬
that ansehen konnten; sie wollten sich wenigstens ausdrücklich von der Ver¬
pflichtung lossagen, etwas zu besprechen, was ihnen aus irgend einem Grunde
nicht paßte, und lieber auf alle Zusendungen, mit denen dieser Anspruch ver¬
bunden wäre, von vornherein verzichten. Sie glauben andrerseits, daß sie
durch das, was wirklich besprochen wird, für alles, was unter den Tisch fällt,
die Verleger einigermaßen entschädigen.

Es sind keineswegs bloß Thorheiten, Albernheiten und nichtige Sachen,
die wir stillschweigend ablehnen. Auch bessere Bücher, die wir uns anfangs
zu besprechen vorgenommen hatten, haben wir schon oftmals nachträglich aus¬
geschieden, wenn wir sahen, daß sie ihren Weg inzwischen auch ohne unser
Zuthun gemacht hatten, wenn die Reklame so laut erscholl und das Lob so
überschwenglich wurde, daß wir nach unsrer eignen Schätzung des Werth doch


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Fällen dem Autor und einigen wenigen, die sich für einen bestimmten Gegen¬
stand interessieren; einen weitern Leserkreis wird sie bald langweilen. Sie
unterhält ihn nicht, und was sie lehren könnte, geht ihn nichts an. Wozu
also die Schulmeisteret, wenn sie ihm nichts positives bringt? Was man
nicht loben kann, darüber schweigt man besser.

Der Bücherhaufe auf unserm Tisch wird kleiner, viel kleiner. Er nimmt
langsam ub, denn eine Zeit lang dachten wir noch, dies und das, was wir
uns angemerkt hatten, könnte unsern Lesern von Nutzen sein, und bei weiteren
Erwägen mußte es doch weggeschoben werden, wenigstens vorläufig. Etwas
davon wird sich immer noch einmal in irgend einem passenden Zusammenhang
zum Wort melden, etwas anch plötzlich für sich allein auftauchen aus einem
„Unmaßgeblichen." Ganz ergebnislos war also unser Bemühen nicht, vielleicht
auch für die nicht ganz gleichgiltig, die die Bücher geschrieben oder gedruckt
haben, denn manchmal finden gerade solche verstreute Körner ein gutes Stück
Acker, und vereinzelte Eindrücke wirken oft besser als eine Reihe von Anzeigen
hintereinander in dem üblichen Empfehlungsstil. Zu denen können wir uns
nicht zwingen, schon darum nicht, weil wir uns mit dieser immer wieder ein¬
setzenden Anwendung derselben Redensarten schließlich selbst komisch vorkommen
müßten. Und was die Sache betrifft, wenn z. B. Gedichte oder Erzählungen
an sich ganz gut, aber weder für den Autor, noch für die Art, die der Leser
beide schon kennt, irgendwie neu oder besouders siud: würde es uns auch nur
ein einziger Schriftsteller danken, wenn wir das so kurz und klar, wie es
dann geschehn müßte, nussprächen? Was schließlich zurückbleibt, was wir also
für unsre Leser für gut genug halten, oder wie wir auch sagen dürfen, wozu
wir im Hinblick auf sie ein eignes Verhältnis haben finden können, das wird
nicht gerade sehr viel sein, um so besser können wir dem gerecht werden, und
alle dabei Beteiligten werden sich auf diese Weise am besten stehn. Der
Herausgeber der Grenzboten hat vor einiger Zeit an die Verleger die Bitte
gerichtet, möglichst nur solche Bücher zu schicken, die wirklich eine Besprechung
verdienten, und nicht zu erwarten, daß beliebige Erzeugnisse der Fachlitteratur
oder unbedeutende Romane und Gedichte den Lesern empfohlen würden. Das
war nicht unfreundlich gemeint. Die Mitarbeiter hatten das Gefühl einer
großen Last, die die Zusender selbst möglicherweise als eine erwiesene Wohl¬
that ansehen konnten; sie wollten sich wenigstens ausdrücklich von der Ver¬
pflichtung lossagen, etwas zu besprechen, was ihnen aus irgend einem Grunde
nicht paßte, und lieber auf alle Zusendungen, mit denen dieser Anspruch ver¬
bunden wäre, von vornherein verzichten. Sie glauben andrerseits, daß sie
durch das, was wirklich besprochen wird, für alles, was unter den Tisch fällt,
die Verleger einigermaßen entschädigen.

Es sind keineswegs bloß Thorheiten, Albernheiten und nichtige Sachen,
die wir stillschweigend ablehnen. Auch bessere Bücher, die wir uns anfangs
zu besprechen vorgenommen hatten, haben wir schon oftmals nachträglich aus¬
geschieden, wenn wir sahen, daß sie ihren Weg inzwischen auch ohne unser
Zuthun gemacht hatten, wenn die Reklame so laut erscholl und das Lob so
überschwenglich wurde, daß wir nach unsrer eignen Schätzung des Werth doch


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[0036] N)as wir lesen Fällen dem Autor und einigen wenigen, die sich für einen bestimmten Gegen¬ stand interessieren; einen weitern Leserkreis wird sie bald langweilen. Sie unterhält ihn nicht, und was sie lehren könnte, geht ihn nichts an. Wozu also die Schulmeisteret, wenn sie ihm nichts positives bringt? Was man nicht loben kann, darüber schweigt man besser. Der Bücherhaufe auf unserm Tisch wird kleiner, viel kleiner. Er nimmt langsam ub, denn eine Zeit lang dachten wir noch, dies und das, was wir uns angemerkt hatten, könnte unsern Lesern von Nutzen sein, und bei weiteren Erwägen mußte es doch weggeschoben werden, wenigstens vorläufig. Etwas davon wird sich immer noch einmal in irgend einem passenden Zusammenhang zum Wort melden, etwas anch plötzlich für sich allein auftauchen aus einem „Unmaßgeblichen." Ganz ergebnislos war also unser Bemühen nicht, vielleicht auch für die nicht ganz gleichgiltig, die die Bücher geschrieben oder gedruckt haben, denn manchmal finden gerade solche verstreute Körner ein gutes Stück Acker, und vereinzelte Eindrücke wirken oft besser als eine Reihe von Anzeigen hintereinander in dem üblichen Empfehlungsstil. Zu denen können wir uns nicht zwingen, schon darum nicht, weil wir uns mit dieser immer wieder ein¬ setzenden Anwendung derselben Redensarten schließlich selbst komisch vorkommen müßten. Und was die Sache betrifft, wenn z. B. Gedichte oder Erzählungen an sich ganz gut, aber weder für den Autor, noch für die Art, die der Leser beide schon kennt, irgendwie neu oder besouders siud: würde es uns auch nur ein einziger Schriftsteller danken, wenn wir das so kurz und klar, wie es dann geschehn müßte, nussprächen? Was schließlich zurückbleibt, was wir also für unsre Leser für gut genug halten, oder wie wir auch sagen dürfen, wozu wir im Hinblick auf sie ein eignes Verhältnis haben finden können, das wird nicht gerade sehr viel sein, um so besser können wir dem gerecht werden, und alle dabei Beteiligten werden sich auf diese Weise am besten stehn. Der Herausgeber der Grenzboten hat vor einiger Zeit an die Verleger die Bitte gerichtet, möglichst nur solche Bücher zu schicken, die wirklich eine Besprechung verdienten, und nicht zu erwarten, daß beliebige Erzeugnisse der Fachlitteratur oder unbedeutende Romane und Gedichte den Lesern empfohlen würden. Das war nicht unfreundlich gemeint. Die Mitarbeiter hatten das Gefühl einer großen Last, die die Zusender selbst möglicherweise als eine erwiesene Wohl¬ that ansehen konnten; sie wollten sich wenigstens ausdrücklich von der Ver¬ pflichtung lossagen, etwas zu besprechen, was ihnen aus irgend einem Grunde nicht paßte, und lieber auf alle Zusendungen, mit denen dieser Anspruch ver¬ bunden wäre, von vornherein verzichten. Sie glauben andrerseits, daß sie durch das, was wirklich besprochen wird, für alles, was unter den Tisch fällt, die Verleger einigermaßen entschädigen. Es sind keineswegs bloß Thorheiten, Albernheiten und nichtige Sachen, die wir stillschweigend ablehnen. Auch bessere Bücher, die wir uns anfangs zu besprechen vorgenommen hatten, haben wir schon oftmals nachträglich aus¬ geschieden, wenn wir sahen, daß sie ihren Weg inzwischen auch ohne unser Zuthun gemacht hatten, wenn die Reklame so laut erscholl und das Lob so überschwenglich wurde, daß wir nach unsrer eignen Schätzung des Werth doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/36>, abgerufen am 15.05.2024.