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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationcilitätskämpfe

Mecklenburgs bis über das Erzgebirge hinaus erstreckt, für deutsche Sprache
und Nationalität gesichert. Die westlicher liegenden wendischen Rückstände,
wie sie sich im hnnnövcrschen Wendland und in der mecklenburgischen Jabeler
Heide, damals noch in kaum unterbrochucm Zusammenhang, sowie im Alten-
burgischen fanden, wurden dadurch zu Sprachinseln und einer allmählich fort¬
schreitenden unausweichlichen Germanisation überliefert. Wohl nicht viel später
als dieser erste bildete sich schon ein zweiter nach Osten hinnusgeschvbner Ver-
binduugswall, der sich dem Laufe der Oder anschließend den pommerschen Teil
des nördlichen mit dem schlesischen Teil des mittlern Vorsprungs verknüpfte.
Durch ihn wurde der in den Lausitzer erhaltne Rest des wendischen Sprach¬
gebiets vom benachbarten Polentum abgeschnitten, der noch heute allerdings
in wesentlich vermindertem und stetig abnehmendem Umfang als Sprachinsel
besteht.

Weiter nach Osten haben sich keine Verbindnngswnlle mehr gebildet.
Sollte in absehbarer Zeit das Deutschtum sein jetzt von einer rückläufigen
Bewegung nnterbrochnes Vordringen nach Osten wieder aufnehmen, so dürfte
sich östlich von Posen, etwa in der Linie Breslau, Militsch, Krotoschin,
Gnesen, Bromberg ein neuer letzter Vcrbindnngswall bilden. Reichliches
Material zu einem solchen ist schon in den hier dichtgedrängten deutschen
Sprachinseln vorhanden. Nördlich etwa bis Kulm oder Graudenz weiter¬
geführt, würde er sowohl das Posener wie auch das links von der Weichsel
liegende westpreußische Polentum von dem polnischen Sprachgebiete Rußlands
abschneiden. Eine entsprechende Verstärkung der um das Netzethal angelehnten
schon jetzt zusammenhängenden deutschen Siedlungen würde dazu noch eine
Trennung des westpreußischen vom posenscheu Polentum und damit eine
weitere empfindliche Schwächung der polnischen Widerstandskraft herbeiführen.

Über diesen vielleicht einmal entstehenden Verbindnngswall hinaus kann
sich nach der gegenwärtigen Lage der Dinge kein neuer mehr entwickeln. Der
mitteldeutsche Vorsprung reicht nicht weiter uach Osten; an ihn kann sich also
keine neue Verbindung ansetzen. Nur der norddeutsche Vorsprung ragt, an
Länge die beiden andern weit hinter sich lassend, mit seiner ganzen altpren-
snschen Spitze über diese hinaus. Sich hier weiter in Vermutungen zu er-
gehn, kann zu nichts führen. Nur das möchte ich andeute", daß eine auf¬
steigende Entwicklung des Deutschtums in Russisch-Polen, wie sie nach einigen
Anzeichen hente wirklich vorzngehn scheint, für das vereinsamte Deutschtum
Altprenßens ein sichrer Rückhalt werden muß. Eine so scharfe nationale
Trennung von Küste und Hinterland, wie sie heute zwischen Altpreußen und
Polen besteht, kann nicht von ewiger Deiner sein. Hier drängt alles zu einem
Ausgleich. Sorgen nur beizeiten dafür, daß dieser Ausgleich nicht durch eine
Slawisiernng des altpreußischen Küstenlands herbeigeführt wird.




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Nationcilitätskämpfe

Mecklenburgs bis über das Erzgebirge hinaus erstreckt, für deutsche Sprache
und Nationalität gesichert. Die westlicher liegenden wendischen Rückstände,
wie sie sich im hnnnövcrschen Wendland und in der mecklenburgischen Jabeler
Heide, damals noch in kaum unterbrochucm Zusammenhang, sowie im Alten-
burgischen fanden, wurden dadurch zu Sprachinseln und einer allmählich fort¬
schreitenden unausweichlichen Germanisation überliefert. Wohl nicht viel später
als dieser erste bildete sich schon ein zweiter nach Osten hinnusgeschvbner Ver-
binduugswall, der sich dem Laufe der Oder anschließend den pommerschen Teil
des nördlichen mit dem schlesischen Teil des mittlern Vorsprungs verknüpfte.
Durch ihn wurde der in den Lausitzer erhaltne Rest des wendischen Sprach¬
gebiets vom benachbarten Polentum abgeschnitten, der noch heute allerdings
in wesentlich vermindertem und stetig abnehmendem Umfang als Sprachinsel
besteht.

Weiter nach Osten haben sich keine Verbindnngswnlle mehr gebildet.
Sollte in absehbarer Zeit das Deutschtum sein jetzt von einer rückläufigen
Bewegung nnterbrochnes Vordringen nach Osten wieder aufnehmen, so dürfte
sich östlich von Posen, etwa in der Linie Breslau, Militsch, Krotoschin,
Gnesen, Bromberg ein neuer letzter Vcrbindnngswall bilden. Reichliches
Material zu einem solchen ist schon in den hier dichtgedrängten deutschen
Sprachinseln vorhanden. Nördlich etwa bis Kulm oder Graudenz weiter¬
geführt, würde er sowohl das Posener wie auch das links von der Weichsel
liegende westpreußische Polentum von dem polnischen Sprachgebiete Rußlands
abschneiden. Eine entsprechende Verstärkung der um das Netzethal angelehnten
schon jetzt zusammenhängenden deutschen Siedlungen würde dazu noch eine
Trennung des westpreußischen vom posenscheu Polentum und damit eine
weitere empfindliche Schwächung der polnischen Widerstandskraft herbeiführen.

Über diesen vielleicht einmal entstehenden Verbindnngswall hinaus kann
sich nach der gegenwärtigen Lage der Dinge kein neuer mehr entwickeln. Der
mitteldeutsche Vorsprung reicht nicht weiter uach Osten; an ihn kann sich also
keine neue Verbindung ansetzen. Nur der norddeutsche Vorsprung ragt, an
Länge die beiden andern weit hinter sich lassend, mit seiner ganzen altpren-
snschen Spitze über diese hinaus. Sich hier weiter in Vermutungen zu er-
gehn, kann zu nichts führen. Nur das möchte ich andeute», daß eine auf¬
steigende Entwicklung des Deutschtums in Russisch-Polen, wie sie nach einigen
Anzeichen hente wirklich vorzngehn scheint, für das vereinsamte Deutschtum
Altprenßens ein sichrer Rückhalt werden muß. Eine so scharfe nationale
Trennung von Küste und Hinterland, wie sie heute zwischen Altpreußen und
Polen besteht, kann nicht von ewiger Deiner sein. Hier drängt alles zu einem
Ausgleich. Sorgen nur beizeiten dafür, daß dieser Ausgleich nicht durch eine
Slawisiernng des altpreußischen Küstenlands herbeigeführt wird.




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[0505] Nationcilitätskämpfe Mecklenburgs bis über das Erzgebirge hinaus erstreckt, für deutsche Sprache und Nationalität gesichert. Die westlicher liegenden wendischen Rückstände, wie sie sich im hnnnövcrschen Wendland und in der mecklenburgischen Jabeler Heide, damals noch in kaum unterbrochucm Zusammenhang, sowie im Alten- burgischen fanden, wurden dadurch zu Sprachinseln und einer allmählich fort¬ schreitenden unausweichlichen Germanisation überliefert. Wohl nicht viel später als dieser erste bildete sich schon ein zweiter nach Osten hinnusgeschvbner Ver- binduugswall, der sich dem Laufe der Oder anschließend den pommerschen Teil des nördlichen mit dem schlesischen Teil des mittlern Vorsprungs verknüpfte. Durch ihn wurde der in den Lausitzer erhaltne Rest des wendischen Sprach¬ gebiets vom benachbarten Polentum abgeschnitten, der noch heute allerdings in wesentlich vermindertem und stetig abnehmendem Umfang als Sprachinsel besteht. Weiter nach Osten haben sich keine Verbindnngswnlle mehr gebildet. Sollte in absehbarer Zeit das Deutschtum sein jetzt von einer rückläufigen Bewegung nnterbrochnes Vordringen nach Osten wieder aufnehmen, so dürfte sich östlich von Posen, etwa in der Linie Breslau, Militsch, Krotoschin, Gnesen, Bromberg ein neuer letzter Vcrbindnngswall bilden. Reichliches Material zu einem solchen ist schon in den hier dichtgedrängten deutschen Sprachinseln vorhanden. Nördlich etwa bis Kulm oder Graudenz weiter¬ geführt, würde er sowohl das Posener wie auch das links von der Weichsel liegende westpreußische Polentum von dem polnischen Sprachgebiete Rußlands abschneiden. Eine entsprechende Verstärkung der um das Netzethal angelehnten schon jetzt zusammenhängenden deutschen Siedlungen würde dazu noch eine Trennung des westpreußischen vom posenscheu Polentum und damit eine weitere empfindliche Schwächung der polnischen Widerstandskraft herbeiführen. Über diesen vielleicht einmal entstehenden Verbindnngswall hinaus kann sich nach der gegenwärtigen Lage der Dinge kein neuer mehr entwickeln. Der mitteldeutsche Vorsprung reicht nicht weiter uach Osten; an ihn kann sich also keine neue Verbindung ansetzen. Nur der norddeutsche Vorsprung ragt, an Länge die beiden andern weit hinter sich lassend, mit seiner ganzen altpren- snschen Spitze über diese hinaus. Sich hier weiter in Vermutungen zu er- gehn, kann zu nichts führen. Nur das möchte ich andeute», daß eine auf¬ steigende Entwicklung des Deutschtums in Russisch-Polen, wie sie nach einigen Anzeichen hente wirklich vorzngehn scheint, für das vereinsamte Deutschtum Altprenßens ein sichrer Rückhalt werden muß. Eine so scharfe nationale Trennung von Küste und Hinterland, wie sie heute zwischen Altpreußen und Polen besteht, kann nicht von ewiger Deiner sein. Hier drängt alles zu einem Ausgleich. Sorgen nur beizeiten dafür, daß dieser Ausgleich nicht durch eine Slawisiernng des altpreußischen Küstenlands herbeigeführt wird. Grmzbotc» ! !902«!3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/505>, abgerufen am 14.05.2024.