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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Was wird ans dein Jolltarif?

Zweifel, daß alsdann die gemäßigten Elemente, "die sich von den weitgehenden
Forderungen des Bundes der Landwirte emanzipiert haben, durch mehr auf
dem Boden dieser Forderungen stehende Männer ersetzt werden würden,"
während umgekehrt, wenn es den Deutschkonservativen des Reichstags ermög¬
licht wäre, für die Zolltarifvorlage zu stimmen, "ohne den Schein zu erwecken,
umgefallen zu sein," daraus eine wesentliche Verstärkung der gemäßigten Rich¬
tung der Partei zu erwarten wäre.

Auch wenn wir der rcalpolitischen Praxis die weitesten Konzessionen
machen wollen, diese überfeine Taktik sollte doch von den Konservativen im
eignen Interesse entschieden zurückgewiesen werden. Der Vorwurf des "Unfalls"
würde ihnen wie den Freikonservativen dadurch sicher auch nicht erspart werden,
und zum Schaden würden sie auch noch den Spott des Bundes der Landwirte
ernten und verdient haben. Die Taktiker der Post mögen vielleicht ländliche
Kreise kennen, in denen die Verwirrung der politischen Anschauungen so weit
gediehen ist, daß loyale Rücksicht auf die Politik der verbündeten Regierungen
verächtlich gemacht wird, Unterwürfigkeit aber gegenüber den Übertreibungen
und Irrtümern des agitatorisch aufgeregten großen Haufens der Genossen, ganz
wie in der Sozialdemokratie, als Klassenpflicht zu gelten anfängt, wo trotz hoch¬
konservativen äußern Anstrichs Harders Zukunft etwa das Niveau der Loyalität
und Königstreue bezeichnet, das Ansehen und Beifall in Vereinen und im
Verkehr verschafft, und wo die Frage, wer "umfallen" müsse, die Abgeordneten
oder die Regierungen, ohne weiteres im letzten Sinne beantwortet wird. Daß
diese politische Entartung aber schon zur Regel in der preußischen Land¬
bevölkerung geworden sei, bestrebten wir ganz entschieden. Es liegt, wenigstens
in den altpreußischen, deutschen Gebietsteilen, nnr an den konservativen Ab¬
geordneten selbst, an dein Mangel um Offenheit und Courage, wenn jetzt noch
in ihren Wahlkreisen den Übertreibungen der Agitatoren des Bundes der Land¬
wirte mehr geglaubt wird als den ernsten, unzweideutigen Erklärungen der
Verbündeten Regierungen. Auf die sachliche Begründung ihres Bestehns auf
der von der Regierung für unannehmbar erklärten Erhöhung der Minimal-
getreidezölle haben die konservativen Herren verzichtet. Darüber sind jetzt für
jeden urteilsfähigen und ehrlichen Politiker die Akten geschlossen. Sie werden
gut thun, sich das vor Augen zu halten, wenn sie nach Ostern im preußischen
Landtage den Versuch machen, die Staatsregierung zu einem "Unfall" zu
veranlassen, der zwar ihrer eignen, persönlichen Eitelkeit und dem Partei¬
organismus einen Augenblickserfolg bringen könnte, das Ansehen der Re¬
gierung und der Monarchie aber -- darüber sind sich die Herren doch klar
in der ganzen Bevölkerung, der städtischen wie der ländlichen, schwer schädigen
würde. Mit einer solchen Schuld sollten konservative Männer gerade in der
Gegenwart ihr Gewissen nicht belasten.




Was wird ans dein Jolltarif?

Zweifel, daß alsdann die gemäßigten Elemente, „die sich von den weitgehenden
Forderungen des Bundes der Landwirte emanzipiert haben, durch mehr auf
dem Boden dieser Forderungen stehende Männer ersetzt werden würden,"
während umgekehrt, wenn es den Deutschkonservativen des Reichstags ermög¬
licht wäre, für die Zolltarifvorlage zu stimmen, „ohne den Schein zu erwecken,
umgefallen zu sein," daraus eine wesentliche Verstärkung der gemäßigten Rich¬
tung der Partei zu erwarten wäre.

Auch wenn wir der rcalpolitischen Praxis die weitesten Konzessionen
machen wollen, diese überfeine Taktik sollte doch von den Konservativen im
eignen Interesse entschieden zurückgewiesen werden. Der Vorwurf des „Unfalls"
würde ihnen wie den Freikonservativen dadurch sicher auch nicht erspart werden,
und zum Schaden würden sie auch noch den Spott des Bundes der Landwirte
ernten und verdient haben. Die Taktiker der Post mögen vielleicht ländliche
Kreise kennen, in denen die Verwirrung der politischen Anschauungen so weit
gediehen ist, daß loyale Rücksicht auf die Politik der verbündeten Regierungen
verächtlich gemacht wird, Unterwürfigkeit aber gegenüber den Übertreibungen
und Irrtümern des agitatorisch aufgeregten großen Haufens der Genossen, ganz
wie in der Sozialdemokratie, als Klassenpflicht zu gelten anfängt, wo trotz hoch¬
konservativen äußern Anstrichs Harders Zukunft etwa das Niveau der Loyalität
und Königstreue bezeichnet, das Ansehen und Beifall in Vereinen und im
Verkehr verschafft, und wo die Frage, wer „umfallen" müsse, die Abgeordneten
oder die Regierungen, ohne weiteres im letzten Sinne beantwortet wird. Daß
diese politische Entartung aber schon zur Regel in der preußischen Land¬
bevölkerung geworden sei, bestrebten wir ganz entschieden. Es liegt, wenigstens
in den altpreußischen, deutschen Gebietsteilen, nnr an den konservativen Ab¬
geordneten selbst, an dein Mangel um Offenheit und Courage, wenn jetzt noch
in ihren Wahlkreisen den Übertreibungen der Agitatoren des Bundes der Land¬
wirte mehr geglaubt wird als den ernsten, unzweideutigen Erklärungen der
Verbündeten Regierungen. Auf die sachliche Begründung ihres Bestehns auf
der von der Regierung für unannehmbar erklärten Erhöhung der Minimal-
getreidezölle haben die konservativen Herren verzichtet. Darüber sind jetzt für
jeden urteilsfähigen und ehrlichen Politiker die Akten geschlossen. Sie werden
gut thun, sich das vor Augen zu halten, wenn sie nach Ostern im preußischen
Landtage den Versuch machen, die Staatsregierung zu einem „Unfall" zu
veranlassen, der zwar ihrer eignen, persönlichen Eitelkeit und dem Partei¬
organismus einen Augenblickserfolg bringen könnte, das Ansehen der Re¬
gierung und der Monarchie aber — darüber sind sich die Herren doch klar
in der ganzen Bevölkerung, der städtischen wie der ländlichen, schwer schädigen
würde. Mit einer solchen Schuld sollten konservative Männer gerade in der
Gegenwart ihr Gewissen nicht belasten.




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[0708] Was wird ans dein Jolltarif? Zweifel, daß alsdann die gemäßigten Elemente, „die sich von den weitgehenden Forderungen des Bundes der Landwirte emanzipiert haben, durch mehr auf dem Boden dieser Forderungen stehende Männer ersetzt werden würden," während umgekehrt, wenn es den Deutschkonservativen des Reichstags ermög¬ licht wäre, für die Zolltarifvorlage zu stimmen, „ohne den Schein zu erwecken, umgefallen zu sein," daraus eine wesentliche Verstärkung der gemäßigten Rich¬ tung der Partei zu erwarten wäre. Auch wenn wir der rcalpolitischen Praxis die weitesten Konzessionen machen wollen, diese überfeine Taktik sollte doch von den Konservativen im eignen Interesse entschieden zurückgewiesen werden. Der Vorwurf des „Unfalls" würde ihnen wie den Freikonservativen dadurch sicher auch nicht erspart werden, und zum Schaden würden sie auch noch den Spott des Bundes der Landwirte ernten und verdient haben. Die Taktiker der Post mögen vielleicht ländliche Kreise kennen, in denen die Verwirrung der politischen Anschauungen so weit gediehen ist, daß loyale Rücksicht auf die Politik der verbündeten Regierungen verächtlich gemacht wird, Unterwürfigkeit aber gegenüber den Übertreibungen und Irrtümern des agitatorisch aufgeregten großen Haufens der Genossen, ganz wie in der Sozialdemokratie, als Klassenpflicht zu gelten anfängt, wo trotz hoch¬ konservativen äußern Anstrichs Harders Zukunft etwa das Niveau der Loyalität und Königstreue bezeichnet, das Ansehen und Beifall in Vereinen und im Verkehr verschafft, und wo die Frage, wer „umfallen" müsse, die Abgeordneten oder die Regierungen, ohne weiteres im letzten Sinne beantwortet wird. Daß diese politische Entartung aber schon zur Regel in der preußischen Land¬ bevölkerung geworden sei, bestrebten wir ganz entschieden. Es liegt, wenigstens in den altpreußischen, deutschen Gebietsteilen, nnr an den konservativen Ab¬ geordneten selbst, an dein Mangel um Offenheit und Courage, wenn jetzt noch in ihren Wahlkreisen den Übertreibungen der Agitatoren des Bundes der Land¬ wirte mehr geglaubt wird als den ernsten, unzweideutigen Erklärungen der Verbündeten Regierungen. Auf die sachliche Begründung ihres Bestehns auf der von der Regierung für unannehmbar erklärten Erhöhung der Minimal- getreidezölle haben die konservativen Herren verzichtet. Darüber sind jetzt für jeden urteilsfähigen und ehrlichen Politiker die Akten geschlossen. Sie werden gut thun, sich das vor Augen zu halten, wenn sie nach Ostern im preußischen Landtage den Versuch machen, die Staatsregierung zu einem „Unfall" zu veranlassen, der zwar ihrer eignen, persönlichen Eitelkeit und dem Partei¬ organismus einen Augenblickserfolg bringen könnte, das Ansehen der Re¬ gierung und der Monarchie aber — darüber sind sich die Herren doch klar in der ganzen Bevölkerung, der städtischen wie der ländlichen, schwer schädigen würde. Mit einer solchen Schuld sollten konservative Männer gerade in der Gegenwart ihr Gewissen nicht belasten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/708>, abgerufen am 14.05.2024.