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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

schaft, denn über die leuchtende Scheibe dieses Mundes treibt der Wind nur zu
leicht dunkles Gewölk, sondern namentlich um deswillen, weil man sich sagt: So¬
lange er dich als Freund anerkennt, wird ers leichter geschehn lassen, wenn er sieht,
daß du bemüht bist, dem andern die Folgen der erlittnen Unbill erträglicher zu
machen, nud schließlich wird doch einmal der Augenblick kommen, wo die beiden
jemand brauchen, der zur Sühne spricht: dazu würdest du, der du beiden nahe
stehst, der rechte Mann sein, vorausgesetzt, daß du vermeidest, was deinen Freund
unnötig erbittert.

Es lag so nahe, unser Verhältnis den Engländern und den Buren gegenüber
so aufzufassen, und es scheint so weise, unser Betragen in dem Sinne zu regeln,
daß wir beim Einblick in die Rede des Staatssekretärs kaum begriffen, wie es
möglich gewesen war, daß wir uns die Sache nicht schon selbst in so verständiger
Weise zurechtgelegt hatten. Die gewaltigen und weisen Herren -- es fällt uns im
Augenblick nicht ein, ob es Genueser oder Spanier waren --, vor denen Kolumbus
sein epochemachendes El aufgestellt hatte, mögen eine ähnliche Empfindung gehabt
haben: so einfach, so banal, so praktisch, und doch hatten sie ohne den kleinen Ton des
Weltentdeckers mit dem rastlos herumkollerndeu Ding nicht fertig werden können.

Es ist erstaunlich, was der Mensch im Mißversteh" leisten kann, wenn er
nicht verstehn will. Die englischen Zeitungen haben Herrn von Nichthofen zumeist
verstanden, als wenn er sich englischer Vokabeln bedient hätte. Sie haben nicht
den Eindruck gehabt, "die salzige Thräne barmherziger Rührung schlucken zu müssen";
dagegen ist seiue Rede, obwohl sie deutsch war, einer Anzahl deutscher Zeitungen
völlig dunkel geblieben, und wenn man ihre Artikel darüber liest, kommt man auf
den Gedanken, daß sie ihnen in chinesischem Wortlaute vorgelegen habe.

Unsre Annahme, daß es sich, wenn von England die Rede ist, für uns um
einen Vetter und guten Freund handelt, trifft ja freilich für ihre Gefühle nicht zu.
Das ändert für sie die Sachlage. Wir begreifen das, nur daß es auch dem Ver¬
ständnis für die durchaus klare Auseinandersetzung des Staatssekretärs im Wege
steht, nimmt uns wunder. Es giebt englische Zeitungen, die Deutschland nicht
grün sind, warum sollte es umgekehrt nicht auch bei uns Zeitungen geben, die
England nicht mögen? Nichts natürlicher als das. Auch daß diese Anglophobcn
aus dem unseligen südafrikanischen Kriege zwischen den beiden Vettern einen Zank¬
apfel zu machen bestrebt sind und die Verdächtigungen, abfälligen Kritiken, Aus-
rufungs- und Fragezeichen fuderweise auf den Markt gefahren bringen, läßt sich
begreifen. Aber ist die Animosität ein Grund, Dinge in einer Rede zu finden, die
nicht darin sind, und ohne Not -- Gott verzeihe uns das harte Wort -- Ungeheuer¬
lichkeiten zu sagen, die man nur blinder Wild zu gute halten kann? Wo ist die
Elegie, die Herr von Nichthofen gedichtet und dem Abgeordnetenhause vorgetragen
haben soll? ° Findet man vielleicht die Bemerkung "elegisch," es könne der Würde
der Nation keinen Abbruch thun, wenn sie beim Empfang von Nachrichten, wie
z. B. der von der schweren Verwundung Lord Methnens, menschliche Sympathien
bezeige? Ist es das? Nun, offen gestanden, elegisch mutet uus die Bemerkung
nicht an, eher ritterlich -- was ja auch verpönt ist, vor allem aber natürlich
und menschlich, während z. B. die fanatischen Gefühle eines Mitarbeiters der
"Leipziger Neuesten Nachrichten" einem Torquemada Ehre machen würden. Nament¬
lich Militärs werden solche Ausbrüche mit staunendem Befremden gelesen haben.
Durch keinen besondern Preßangriff in den Harnisch gebracht, und nur durch die
Milch der frommen Richthofcnschen Denkart zu wilder Berserkerwut gereizt, ent¬
ladet sich das Blatt wie folgt: "Nein, wir bilden keine Teilnahme übrig für den
vornehmen Herrn, den jetzt bei Lichtenbnrg sein Schicksal ereilte: wir jubeln darüber
und spreche" es aus, weil wir ehrlich sind. Denn - was das unglückliche Wort
"denn" alles leisten muß -- die Höflichkeit mag ein Werkzeug der Diplomaten
sein. Das Volk wird von großen Gefühlen bestimmt. Leidenschaften der Regierungen
mögen von Schwäche zeugen, Leidenschaften des Volks zeugen immer von Stärke.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

schaft, denn über die leuchtende Scheibe dieses Mundes treibt der Wind nur zu
leicht dunkles Gewölk, sondern namentlich um deswillen, weil man sich sagt: So¬
lange er dich als Freund anerkennt, wird ers leichter geschehn lassen, wenn er sieht,
daß du bemüht bist, dem andern die Folgen der erlittnen Unbill erträglicher zu
machen, nud schließlich wird doch einmal der Augenblick kommen, wo die beiden
jemand brauchen, der zur Sühne spricht: dazu würdest du, der du beiden nahe
stehst, der rechte Mann sein, vorausgesetzt, daß du vermeidest, was deinen Freund
unnötig erbittert.

Es lag so nahe, unser Verhältnis den Engländern und den Buren gegenüber
so aufzufassen, und es scheint so weise, unser Betragen in dem Sinne zu regeln,
daß wir beim Einblick in die Rede des Staatssekretärs kaum begriffen, wie es
möglich gewesen war, daß wir uns die Sache nicht schon selbst in so verständiger
Weise zurechtgelegt hatten. Die gewaltigen und weisen Herren — es fällt uns im
Augenblick nicht ein, ob es Genueser oder Spanier waren —, vor denen Kolumbus
sein epochemachendes El aufgestellt hatte, mögen eine ähnliche Empfindung gehabt
haben: so einfach, so banal, so praktisch, und doch hatten sie ohne den kleinen Ton des
Weltentdeckers mit dem rastlos herumkollerndeu Ding nicht fertig werden können.

Es ist erstaunlich, was der Mensch im Mißversteh» leisten kann, wenn er
nicht verstehn will. Die englischen Zeitungen haben Herrn von Nichthofen zumeist
verstanden, als wenn er sich englischer Vokabeln bedient hätte. Sie haben nicht
den Eindruck gehabt, „die salzige Thräne barmherziger Rührung schlucken zu müssen";
dagegen ist seiue Rede, obwohl sie deutsch war, einer Anzahl deutscher Zeitungen
völlig dunkel geblieben, und wenn man ihre Artikel darüber liest, kommt man auf
den Gedanken, daß sie ihnen in chinesischem Wortlaute vorgelegen habe.

Unsre Annahme, daß es sich, wenn von England die Rede ist, für uns um
einen Vetter und guten Freund handelt, trifft ja freilich für ihre Gefühle nicht zu.
Das ändert für sie die Sachlage. Wir begreifen das, nur daß es auch dem Ver¬
ständnis für die durchaus klare Auseinandersetzung des Staatssekretärs im Wege
steht, nimmt uns wunder. Es giebt englische Zeitungen, die Deutschland nicht
grün sind, warum sollte es umgekehrt nicht auch bei uns Zeitungen geben, die
England nicht mögen? Nichts natürlicher als das. Auch daß diese Anglophobcn
aus dem unseligen südafrikanischen Kriege zwischen den beiden Vettern einen Zank¬
apfel zu machen bestrebt sind und die Verdächtigungen, abfälligen Kritiken, Aus-
rufungs- und Fragezeichen fuderweise auf den Markt gefahren bringen, läßt sich
begreifen. Aber ist die Animosität ein Grund, Dinge in einer Rede zu finden, die
nicht darin sind, und ohne Not — Gott verzeihe uns das harte Wort — Ungeheuer¬
lichkeiten zu sagen, die man nur blinder Wild zu gute halten kann? Wo ist die
Elegie, die Herr von Nichthofen gedichtet und dem Abgeordnetenhause vorgetragen
haben soll? ° Findet man vielleicht die Bemerkung „elegisch," es könne der Würde
der Nation keinen Abbruch thun, wenn sie beim Empfang von Nachrichten, wie
z. B. der von der schweren Verwundung Lord Methnens, menschliche Sympathien
bezeige? Ist es das? Nun, offen gestanden, elegisch mutet uus die Bemerkung
nicht an, eher ritterlich — was ja auch verpönt ist, vor allem aber natürlich
und menschlich, während z. B. die fanatischen Gefühle eines Mitarbeiters der
„Leipziger Neuesten Nachrichten" einem Torquemada Ehre machen würden. Nament¬
lich Militärs werden solche Ausbrüche mit staunendem Befremden gelesen haben.
Durch keinen besondern Preßangriff in den Harnisch gebracht, und nur durch die
Milch der frommen Richthofcnschen Denkart zu wilder Berserkerwut gereizt, ent¬
ladet sich das Blatt wie folgt: „Nein, wir bilden keine Teilnahme übrig für den
vornehmen Herrn, den jetzt bei Lichtenbnrg sein Schicksal ereilte: wir jubeln darüber
und spreche» es aus, weil wir ehrlich sind. Denn - was das unglückliche Wort
„denn" alles leisten muß — die Höflichkeit mag ein Werkzeug der Diplomaten
sein. Das Volk wird von großen Gefühlen bestimmt. Leidenschaften der Regierungen
mögen von Schwäche zeugen, Leidenschaften des Volks zeugen immer von Stärke.


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[0749] Maßgebliches und Unmaßgebliches schaft, denn über die leuchtende Scheibe dieses Mundes treibt der Wind nur zu leicht dunkles Gewölk, sondern namentlich um deswillen, weil man sich sagt: So¬ lange er dich als Freund anerkennt, wird ers leichter geschehn lassen, wenn er sieht, daß du bemüht bist, dem andern die Folgen der erlittnen Unbill erträglicher zu machen, nud schließlich wird doch einmal der Augenblick kommen, wo die beiden jemand brauchen, der zur Sühne spricht: dazu würdest du, der du beiden nahe stehst, der rechte Mann sein, vorausgesetzt, daß du vermeidest, was deinen Freund unnötig erbittert. Es lag so nahe, unser Verhältnis den Engländern und den Buren gegenüber so aufzufassen, und es scheint so weise, unser Betragen in dem Sinne zu regeln, daß wir beim Einblick in die Rede des Staatssekretärs kaum begriffen, wie es möglich gewesen war, daß wir uns die Sache nicht schon selbst in so verständiger Weise zurechtgelegt hatten. Die gewaltigen und weisen Herren — es fällt uns im Augenblick nicht ein, ob es Genueser oder Spanier waren —, vor denen Kolumbus sein epochemachendes El aufgestellt hatte, mögen eine ähnliche Empfindung gehabt haben: so einfach, so banal, so praktisch, und doch hatten sie ohne den kleinen Ton des Weltentdeckers mit dem rastlos herumkollerndeu Ding nicht fertig werden können. Es ist erstaunlich, was der Mensch im Mißversteh» leisten kann, wenn er nicht verstehn will. Die englischen Zeitungen haben Herrn von Nichthofen zumeist verstanden, als wenn er sich englischer Vokabeln bedient hätte. Sie haben nicht den Eindruck gehabt, „die salzige Thräne barmherziger Rührung schlucken zu müssen"; dagegen ist seiue Rede, obwohl sie deutsch war, einer Anzahl deutscher Zeitungen völlig dunkel geblieben, und wenn man ihre Artikel darüber liest, kommt man auf den Gedanken, daß sie ihnen in chinesischem Wortlaute vorgelegen habe. Unsre Annahme, daß es sich, wenn von England die Rede ist, für uns um einen Vetter und guten Freund handelt, trifft ja freilich für ihre Gefühle nicht zu. Das ändert für sie die Sachlage. Wir begreifen das, nur daß es auch dem Ver¬ ständnis für die durchaus klare Auseinandersetzung des Staatssekretärs im Wege steht, nimmt uns wunder. Es giebt englische Zeitungen, die Deutschland nicht grün sind, warum sollte es umgekehrt nicht auch bei uns Zeitungen geben, die England nicht mögen? Nichts natürlicher als das. Auch daß diese Anglophobcn aus dem unseligen südafrikanischen Kriege zwischen den beiden Vettern einen Zank¬ apfel zu machen bestrebt sind und die Verdächtigungen, abfälligen Kritiken, Aus- rufungs- und Fragezeichen fuderweise auf den Markt gefahren bringen, läßt sich begreifen. Aber ist die Animosität ein Grund, Dinge in einer Rede zu finden, die nicht darin sind, und ohne Not — Gott verzeihe uns das harte Wort — Ungeheuer¬ lichkeiten zu sagen, die man nur blinder Wild zu gute halten kann? Wo ist die Elegie, die Herr von Nichthofen gedichtet und dem Abgeordnetenhause vorgetragen haben soll? ° Findet man vielleicht die Bemerkung „elegisch," es könne der Würde der Nation keinen Abbruch thun, wenn sie beim Empfang von Nachrichten, wie z. B. der von der schweren Verwundung Lord Methnens, menschliche Sympathien bezeige? Ist es das? Nun, offen gestanden, elegisch mutet uus die Bemerkung nicht an, eher ritterlich — was ja auch verpönt ist, vor allem aber natürlich und menschlich, während z. B. die fanatischen Gefühle eines Mitarbeiters der „Leipziger Neuesten Nachrichten" einem Torquemada Ehre machen würden. Nament¬ lich Militärs werden solche Ausbrüche mit staunendem Befremden gelesen haben. Durch keinen besondern Preßangriff in den Harnisch gebracht, und nur durch die Milch der frommen Richthofcnschen Denkart zu wilder Berserkerwut gereizt, ent¬ ladet sich das Blatt wie folgt: „Nein, wir bilden keine Teilnahme übrig für den vornehmen Herrn, den jetzt bei Lichtenbnrg sein Schicksal ereilte: wir jubeln darüber und spreche» es aus, weil wir ehrlich sind. Denn - was das unglückliche Wort „denn" alles leisten muß — die Höflichkeit mag ein Werkzeug der Diplomaten sein. Das Volk wird von großen Gefühlen bestimmt. Leidenschaften der Regierungen mögen von Schwäche zeugen, Leidenschaften des Volks zeugen immer von Stärke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/749>, abgerufen am 15.05.2024.