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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Beethoven eilf Märtyrer

Komposition widmen konnte? Gilt es nichts, dnß die Spitzen des österreichischen
Adels, der Erzherzog Rudolf als erster, ihm mit einem reichen Jahresgehalt
ein sorgenfreies Dasein bereiteten? Gilt der (kürzlich von Guido Adler ein¬
gehend geschilderte) Freundeskreis, der ihn sein Leben lang umgab und alles,
was er that, gar nichts? Beethoven war auch darin ein ganz großer Manu,
daß er für die Auszeichnung, die ihm widerfuhr, selten ausdrücklich dankte.
Im Verkehr mit seinen Verlegern verlangte er sie als etwas Selbstverständliches
und pflegte ihnen Preise zu stellen, die das Doppelte vom Üblichen noch weit
überstiegen. Beethoven erhielt von Thomson für jede Bearbeitung eines schot¬
tischen Liedes 4, von andern für ein selbständiges Lied 8 Dukaten, Schuberts
Lieder wurden mit einem Gulden bezahlt; um 1812 betrug das Mnximum
für ein Streichquartett 30 Dukaten, er aber durfte auf 80 bestehn. Und wehe
dem, der auf die Honorare von Kotzcluch oder Mayseder verwies! Trotzdem
hörten die Bewerbungen nie auf; um die Größe Messe allem bemühten sich
sechs verschiedne Firmen, fast ebenso viele um die Herausgabe seiner sämtlichen
Werke. Und das alles, obwohl sich einzelne seiner Sonaten wegen ihrer
Schwierigkeit schlecht verkauften, obwohl die Nachdrucker den Gewinn herab¬
drückten! Die Londoner Philharmonie erbot sich zu deu größten Opfern, wenn
sich Beethoven für einen Winter zur Leitung ihrer Konzerte verstehn wollte,
die Wiener Theaterdirektion ließ sich von ihm die ungewöhnlichsten Bedingungen
gefallen -- kurz: die Beweise gegen sein Märtyrertum sind schwer zu erschöpfen.
Mit drei offen daliegenden Thatsachen, die merkwürdigerweise kein Biograph
erwähnt, mag die Liste beschlossen sein: Beethoven ist der Erste, dessen Sinfonien
in Partitur gedruckt wurden. Auch seine größten Vorgänger haben zu Lebzeiten
nur Stimmendrncke erreicht, und seineu Nachfolgern ist es damit erst in der
Zeit Mendelssohns und Schumanns besser gegangen. Zweitens: Beethovens
Werke geben frühzeitig schon den Maßstab für die Kritik. Wenn von 1850 ab
Sinfoniker der Schulen Havdns und Mozarts an die Thüren klopften, scholl
ihnen wie dem Pamino der Zauberflöte ein energisches "Zurück" entgegen, sie
wurden als "kindisch" gescholten, und fast jede Rezension eines neuen Werkes
begann mit dem melancholischen Satz: "Wer jetzt noch mit einer neuen Sinfonie
hervortritt, der usw." In den dreißiger Jahren schon ist die ganze Sinfvnie-
komposition Nachahmung Beethovens. Drittens: Beethoven zuliebe werden die
alten Dilettantenorchester in Kapellen aus Bernfsmusikern umgebildet.

Wir kommen zu dem Ergebnis: Nur wenn man auf der einen Seite so
bedeutend übertreibt, wie man auf der andern unterschlügt, läßt sich die Be¬
hauptung, daß Beethoven von seiner Zeit verkannt worden sei, festhalten.




Beethoven eilf Märtyrer

Komposition widmen konnte? Gilt es nichts, dnß die Spitzen des österreichischen
Adels, der Erzherzog Rudolf als erster, ihm mit einem reichen Jahresgehalt
ein sorgenfreies Dasein bereiteten? Gilt der (kürzlich von Guido Adler ein¬
gehend geschilderte) Freundeskreis, der ihn sein Leben lang umgab und alles,
was er that, gar nichts? Beethoven war auch darin ein ganz großer Manu,
daß er für die Auszeichnung, die ihm widerfuhr, selten ausdrücklich dankte.
Im Verkehr mit seinen Verlegern verlangte er sie als etwas Selbstverständliches
und pflegte ihnen Preise zu stellen, die das Doppelte vom Üblichen noch weit
überstiegen. Beethoven erhielt von Thomson für jede Bearbeitung eines schot¬
tischen Liedes 4, von andern für ein selbständiges Lied 8 Dukaten, Schuberts
Lieder wurden mit einem Gulden bezahlt; um 1812 betrug das Mnximum
für ein Streichquartett 30 Dukaten, er aber durfte auf 80 bestehn. Und wehe
dem, der auf die Honorare von Kotzcluch oder Mayseder verwies! Trotzdem
hörten die Bewerbungen nie auf; um die Größe Messe allem bemühten sich
sechs verschiedne Firmen, fast ebenso viele um die Herausgabe seiner sämtlichen
Werke. Und das alles, obwohl sich einzelne seiner Sonaten wegen ihrer
Schwierigkeit schlecht verkauften, obwohl die Nachdrucker den Gewinn herab¬
drückten! Die Londoner Philharmonie erbot sich zu deu größten Opfern, wenn
sich Beethoven für einen Winter zur Leitung ihrer Konzerte verstehn wollte,
die Wiener Theaterdirektion ließ sich von ihm die ungewöhnlichsten Bedingungen
gefallen — kurz: die Beweise gegen sein Märtyrertum sind schwer zu erschöpfen.
Mit drei offen daliegenden Thatsachen, die merkwürdigerweise kein Biograph
erwähnt, mag die Liste beschlossen sein: Beethoven ist der Erste, dessen Sinfonien
in Partitur gedruckt wurden. Auch seine größten Vorgänger haben zu Lebzeiten
nur Stimmendrncke erreicht, und seineu Nachfolgern ist es damit erst in der
Zeit Mendelssohns und Schumanns besser gegangen. Zweitens: Beethovens
Werke geben frühzeitig schon den Maßstab für die Kritik. Wenn von 1850 ab
Sinfoniker der Schulen Havdns und Mozarts an die Thüren klopften, scholl
ihnen wie dem Pamino der Zauberflöte ein energisches „Zurück" entgegen, sie
wurden als „kindisch" gescholten, und fast jede Rezension eines neuen Werkes
begann mit dem melancholischen Satz: „Wer jetzt noch mit einer neuen Sinfonie
hervortritt, der usw." In den dreißiger Jahren schon ist die ganze Sinfvnie-
komposition Nachahmung Beethovens. Drittens: Beethoven zuliebe werden die
alten Dilettantenorchester in Kapellen aus Bernfsmusikern umgebildet.

Wir kommen zu dem Ergebnis: Nur wenn man auf der einen Seite so
bedeutend übertreibt, wie man auf der andern unterschlügt, läßt sich die Be¬
hauptung, daß Beethoven von seiner Zeit verkannt worden sei, festhalten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/95>, abgerufen am 15.05.2024.