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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

und ohne Zweifel enthält sie auch ein gutes Stück nationaler Politik, da die
Ausbeutung der südafrikanischen Goldfelder die britische Kapitalkraft stärken
und der Industrie die Überwindung von Krisen erleichtern würde, die weniger
kräftigen Nebenbuhlern verhängnisvoll sein müßten. Am Ende würde also
auch der britische Arbeiter gewinnen. Aber das kann nicht den Hauptfehler
dieser Politik verdecken, daß sie nur Parteipolitik ist, eingegeben und geleitet
von einem geldgierigen Kapitalismus. I. A. Fronde schrieb 1885 in seinem
Buche Oceana: "Es liegt in der Natur der Partei, daß Parteiführer die
Dinge nie sehen, wie sie wirklich sind, sondern nur wie sie für den Augenblick
die Interessen eines Teils der Gesellschaft berühren." Fronde fand, daß die
heimischen Parteiführer in ihrer Kurzsichtigkeit kein Verständnis und kein Herz
für die Kolonien hätten. Jetzt werden die Kolonien gestreichelt und gehätschelt;
doch schwerlich würde sich Fronde, wenn er noch lebte, über diesen Imperia¬
lismus freuen, der die ganze Welt nur danach beurteilt, wie sie sich in den
Zahlenreihen des Hauptbuchs ausnimmt, und der sittliche Kräfte unterschätzt.
Selten hat sich eine Berechnung trügerischer erwiesen, als die der britischen
Imperialisten, und nun hat das ganze britische Volk mit seinem Blute und
seinem Gelde dafür zu büßen.

Es wäre thöricht, aus den Mißerfolgen in Südafrika geringschätzende
Schlüsse über Großbritannien zu ziehn. Ein andres Volk würde wahrscheinlich
unter gleichen Umständen nicht mehr geleistet und kaum dieselbe Zähigkeit
in der Verfolgung eines einmal begonnenen Unternehmens bewiesen haben.
Diese Zähigkeit in einer Sache, die von allen andern Völkern mit Recht ver¬
dammt wird, ist ein Beweis, daß noch ein tüchtiger Kern im britischen Volke
steckt. Bei der Beurteilung darf nicht übersehen werden, daß die imperialistische
Presse eine Reihe von Jahren systematisch das britische Volk wider die
Buren verhetzt und diese in solchen Farben dargestellt hat, daß der Brite
alles Ernstes glaubt, eine gute Sache zu verfechten. Die Blutschuld liegt uicht
bei dem irregeführten bethörten Haufen, sondern bei den Parteipolitikern, und
weiter zurück ist dafür verantwortlich der Verfall der parlamentarischen Re¬
gierungsform, die zu gedeihlichem Wirken das Vorhandensein einer Opposition
verlangt, die stark genug ist, Übergriffen zu begegnen. Die Form ist geblieben,
der Inhalt ist plutokratischer Cäsarismus.

Das Rom, das wir bewundern, ist das Rom der alten republikanischen
Einfachheit, nicht das lukullische, das nur einer kleinen Gruppe herrschsüctiger
Nabobs diente. England, das sein Reich so gern mit dem römischen vergleicht,
ähnelt heute mehr dem lukullischen als dem republikanischen, und sein Im¬
perialismus scheint ebenso teuer werden zu wollen wie der römische, durch den
Augustus die Varischeu Legionen verlor. Der Weg, den England eingeschlagen
hat, ist derselbe Weg, auf dem das alte Rom seinem Untergange zueilte. Ein
Zurück giebt es uicht, so lange die gegenwärtige Regierung mit ihrem im¬
perialistischen Programm besteht.

Eine liberale Ablösung kommt nicht in Frage. So bleibt dem englischen
Volke nur die Wahl, entweder die Folgen auf sich zu nehmen, die sich aus
dem Beharren auf dem betretnen Pfade ergeben, oder mit der Gewohnheit der


Die britische Regierung

und ohne Zweifel enthält sie auch ein gutes Stück nationaler Politik, da die
Ausbeutung der südafrikanischen Goldfelder die britische Kapitalkraft stärken
und der Industrie die Überwindung von Krisen erleichtern würde, die weniger
kräftigen Nebenbuhlern verhängnisvoll sein müßten. Am Ende würde also
auch der britische Arbeiter gewinnen. Aber das kann nicht den Hauptfehler
dieser Politik verdecken, daß sie nur Parteipolitik ist, eingegeben und geleitet
von einem geldgierigen Kapitalismus. I. A. Fronde schrieb 1885 in seinem
Buche Oceana: „Es liegt in der Natur der Partei, daß Parteiführer die
Dinge nie sehen, wie sie wirklich sind, sondern nur wie sie für den Augenblick
die Interessen eines Teils der Gesellschaft berühren." Fronde fand, daß die
heimischen Parteiführer in ihrer Kurzsichtigkeit kein Verständnis und kein Herz
für die Kolonien hätten. Jetzt werden die Kolonien gestreichelt und gehätschelt;
doch schwerlich würde sich Fronde, wenn er noch lebte, über diesen Imperia¬
lismus freuen, der die ganze Welt nur danach beurteilt, wie sie sich in den
Zahlenreihen des Hauptbuchs ausnimmt, und der sittliche Kräfte unterschätzt.
Selten hat sich eine Berechnung trügerischer erwiesen, als die der britischen
Imperialisten, und nun hat das ganze britische Volk mit seinem Blute und
seinem Gelde dafür zu büßen.

Es wäre thöricht, aus den Mißerfolgen in Südafrika geringschätzende
Schlüsse über Großbritannien zu ziehn. Ein andres Volk würde wahrscheinlich
unter gleichen Umständen nicht mehr geleistet und kaum dieselbe Zähigkeit
in der Verfolgung eines einmal begonnenen Unternehmens bewiesen haben.
Diese Zähigkeit in einer Sache, die von allen andern Völkern mit Recht ver¬
dammt wird, ist ein Beweis, daß noch ein tüchtiger Kern im britischen Volke
steckt. Bei der Beurteilung darf nicht übersehen werden, daß die imperialistische
Presse eine Reihe von Jahren systematisch das britische Volk wider die
Buren verhetzt und diese in solchen Farben dargestellt hat, daß der Brite
alles Ernstes glaubt, eine gute Sache zu verfechten. Die Blutschuld liegt uicht
bei dem irregeführten bethörten Haufen, sondern bei den Parteipolitikern, und
weiter zurück ist dafür verantwortlich der Verfall der parlamentarischen Re¬
gierungsform, die zu gedeihlichem Wirken das Vorhandensein einer Opposition
verlangt, die stark genug ist, Übergriffen zu begegnen. Die Form ist geblieben,
der Inhalt ist plutokratischer Cäsarismus.

Das Rom, das wir bewundern, ist das Rom der alten republikanischen
Einfachheit, nicht das lukullische, das nur einer kleinen Gruppe herrschsüctiger
Nabobs diente. England, das sein Reich so gern mit dem römischen vergleicht,
ähnelt heute mehr dem lukullischen als dem republikanischen, und sein Im¬
perialismus scheint ebenso teuer werden zu wollen wie der römische, durch den
Augustus die Varischeu Legionen verlor. Der Weg, den England eingeschlagen
hat, ist derselbe Weg, auf dem das alte Rom seinem Untergange zueilte. Ein
Zurück giebt es uicht, so lange die gegenwärtige Regierung mit ihrem im¬
perialistischen Programm besteht.

Eine liberale Ablösung kommt nicht in Frage. So bleibt dem englischen
Volke nur die Wahl, entweder die Folgen auf sich zu nehmen, die sich aus
dem Beharren auf dem betretnen Pfade ergeben, oder mit der Gewohnheit der


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[0254] Die britische Regierung und ohne Zweifel enthält sie auch ein gutes Stück nationaler Politik, da die Ausbeutung der südafrikanischen Goldfelder die britische Kapitalkraft stärken und der Industrie die Überwindung von Krisen erleichtern würde, die weniger kräftigen Nebenbuhlern verhängnisvoll sein müßten. Am Ende würde also auch der britische Arbeiter gewinnen. Aber das kann nicht den Hauptfehler dieser Politik verdecken, daß sie nur Parteipolitik ist, eingegeben und geleitet von einem geldgierigen Kapitalismus. I. A. Fronde schrieb 1885 in seinem Buche Oceana: „Es liegt in der Natur der Partei, daß Parteiführer die Dinge nie sehen, wie sie wirklich sind, sondern nur wie sie für den Augenblick die Interessen eines Teils der Gesellschaft berühren." Fronde fand, daß die heimischen Parteiführer in ihrer Kurzsichtigkeit kein Verständnis und kein Herz für die Kolonien hätten. Jetzt werden die Kolonien gestreichelt und gehätschelt; doch schwerlich würde sich Fronde, wenn er noch lebte, über diesen Imperia¬ lismus freuen, der die ganze Welt nur danach beurteilt, wie sie sich in den Zahlenreihen des Hauptbuchs ausnimmt, und der sittliche Kräfte unterschätzt. Selten hat sich eine Berechnung trügerischer erwiesen, als die der britischen Imperialisten, und nun hat das ganze britische Volk mit seinem Blute und seinem Gelde dafür zu büßen. Es wäre thöricht, aus den Mißerfolgen in Südafrika geringschätzende Schlüsse über Großbritannien zu ziehn. Ein andres Volk würde wahrscheinlich unter gleichen Umständen nicht mehr geleistet und kaum dieselbe Zähigkeit in der Verfolgung eines einmal begonnenen Unternehmens bewiesen haben. Diese Zähigkeit in einer Sache, die von allen andern Völkern mit Recht ver¬ dammt wird, ist ein Beweis, daß noch ein tüchtiger Kern im britischen Volke steckt. Bei der Beurteilung darf nicht übersehen werden, daß die imperialistische Presse eine Reihe von Jahren systematisch das britische Volk wider die Buren verhetzt und diese in solchen Farben dargestellt hat, daß der Brite alles Ernstes glaubt, eine gute Sache zu verfechten. Die Blutschuld liegt uicht bei dem irregeführten bethörten Haufen, sondern bei den Parteipolitikern, und weiter zurück ist dafür verantwortlich der Verfall der parlamentarischen Re¬ gierungsform, die zu gedeihlichem Wirken das Vorhandensein einer Opposition verlangt, die stark genug ist, Übergriffen zu begegnen. Die Form ist geblieben, der Inhalt ist plutokratischer Cäsarismus. Das Rom, das wir bewundern, ist das Rom der alten republikanischen Einfachheit, nicht das lukullische, das nur einer kleinen Gruppe herrschsüctiger Nabobs diente. England, das sein Reich so gern mit dem römischen vergleicht, ähnelt heute mehr dem lukullischen als dem republikanischen, und sein Im¬ perialismus scheint ebenso teuer werden zu wollen wie der römische, durch den Augustus die Varischeu Legionen verlor. Der Weg, den England eingeschlagen hat, ist derselbe Weg, auf dem das alte Rom seinem Untergange zueilte. Ein Zurück giebt es uicht, so lange die gegenwärtige Regierung mit ihrem im¬ perialistischen Programm besteht. Eine liberale Ablösung kommt nicht in Frage. So bleibt dem englischen Volke nur die Wahl, entweder die Folgen auf sich zu nehmen, die sich aus dem Beharren auf dem betretnen Pfade ergeben, oder mit der Gewohnheit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/254>, abgerufen am 15.05.2024.