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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Räuber

oder minder wohlwollen, könnte, wenn ihr Sympathien für Deutschland nach¬
gesagt würden, nur sofort einpacken und ihrer Wege gehn. Auf der andern
Seite würden freilich die Beziehungen zwischen den beiden vielfach aufeinander
angewiesenen Nachbarländern leiden, wenn man Deutschland, wie es der
Wunsch vieler Franzosen wäre, fortgesetzt und gründlich brüskierte. Es wird
also ein Mittelweg eingeschlagen, der uns an Senfgurken erinnert, nicht sauer
und uicht süß. Wenn den Gästen die Senfgurken zu süß vorkommen, werden
russische Pickles serviert: das hilft immer.

Die deutsche Regierung hat demgegenüber einen sehr schweren Stand.
Nicht als ob die Deutschen in dieser Beziehung schwer zu behandeln wären;
im Gegenteil, sie sind im Vollgefühl des gehabten Erfolgs erstaunlich ent¬
gegenkommend, aber von den Franzosen muß die deutsche Negierung, wenn
sie nicht zuschlagen will, eine Rücksichtslosigkeit nach der andern, einen Affront
nach dem andern in die Tasche stecken. Wohl gemerkt, wir sagen von den
Franzosen, worunter wir das französische Volk meinen und namentlich die
französische Presse, nicht die französische Regierung. Manche dieser Rücksichts¬
losigkeiten sind sogar chronisch, und wir haben es immer für einen Beweis
besondrer staatsmännischer Klugheit und Befähigung unsrer leitenden Geister
angesehen, daß sie immer bereit gewesen sind, die Sache möglichst von der besten
Seite zu nehmen und trotz aller Mißerfolge neues Entgegenkommen oft in
erstaunlich zartfühlender Form zu bethätigen.

Wir wollen hier nur einiges erwähnen, um den Leser an das, was er
ohnehin schon weiß, zu erinnern, und wir bemerken ausdrücklich, daß wir der
scheinbaren Gleichgiltigkeit, mit der die deutsche Negierung alledem begegnet,
nur beipflichten können, weil ein europäischer Krieg ein unübersehbares Un¬
glück für jeden sein würde, und weil wir ihr volles Zutrauen schenken, daß
sie für den Augenblick, wo ein solcher unvermeidlich wird, diplomatisch und
militärisch bereit sein werde, wie es ja König Wilhelm und dessen Minister
im Juli 1870 Gott sei Dank auch waren.

Straßburg ist eine deutsche Stadt: sie ist es von neuem geworden durch
ein von der französischen Nationalversammlung zu Bordeaux ausdrücklich ge¬
nehmigtes Friedensdvtument, und um die deutsche Stadt wieder französisch zu
machen, müßte die Vorsehung den Franzosen vor allem erst ein zweites, aber
umgekehrtes Sedan bescheren. Aber das ficht die Franzosen nicht an: die
Statue der Stadt bleibt nicht nur nach wie vor auf der Place de in Concorde
stehn, sie wird nicht bloß wie das Denkmal eines geliebten Toten bekränzt
und mit Farbenschmuck behängt, nein es liegt auf ihr auch jahraus jahrein
ein Immortellenkranz, worauf die Parole zu lesen ist: (jul va 1a? -- I'rs.Qvö.
Der Botschafter Seiner Majestät des Kaisers von Deutschland führt, wenn er
sich ins Elysee begiebt, ziemlich unmittelbar an diesem chronischen Affront
vorüber, und das am 14. Juli gefeierte Nationalfest beginnt alljährlich damit,
daß zahlreiche patriotische Vereine und die Zöglinge der novi" Vol^wouniquö
die Statue mit Kränzen, Blumen und Trauerflor schmücken. Man verstehe
uns uicht falsch. Wir fühlen den Franzosen ihren Schmerz, ihre Wünsche und
ihre Hoffnungen nach, und wir verdenken ihnen von alledem nichts. Aber es


Die Räuber

oder minder wohlwollen, könnte, wenn ihr Sympathien für Deutschland nach¬
gesagt würden, nur sofort einpacken und ihrer Wege gehn. Auf der andern
Seite würden freilich die Beziehungen zwischen den beiden vielfach aufeinander
angewiesenen Nachbarländern leiden, wenn man Deutschland, wie es der
Wunsch vieler Franzosen wäre, fortgesetzt und gründlich brüskierte. Es wird
also ein Mittelweg eingeschlagen, der uns an Senfgurken erinnert, nicht sauer
und uicht süß. Wenn den Gästen die Senfgurken zu süß vorkommen, werden
russische Pickles serviert: das hilft immer.

Die deutsche Regierung hat demgegenüber einen sehr schweren Stand.
Nicht als ob die Deutschen in dieser Beziehung schwer zu behandeln wären;
im Gegenteil, sie sind im Vollgefühl des gehabten Erfolgs erstaunlich ent¬
gegenkommend, aber von den Franzosen muß die deutsche Negierung, wenn
sie nicht zuschlagen will, eine Rücksichtslosigkeit nach der andern, einen Affront
nach dem andern in die Tasche stecken. Wohl gemerkt, wir sagen von den
Franzosen, worunter wir das französische Volk meinen und namentlich die
französische Presse, nicht die französische Regierung. Manche dieser Rücksichts¬
losigkeiten sind sogar chronisch, und wir haben es immer für einen Beweis
besondrer staatsmännischer Klugheit und Befähigung unsrer leitenden Geister
angesehen, daß sie immer bereit gewesen sind, die Sache möglichst von der besten
Seite zu nehmen und trotz aller Mißerfolge neues Entgegenkommen oft in
erstaunlich zartfühlender Form zu bethätigen.

Wir wollen hier nur einiges erwähnen, um den Leser an das, was er
ohnehin schon weiß, zu erinnern, und wir bemerken ausdrücklich, daß wir der
scheinbaren Gleichgiltigkeit, mit der die deutsche Negierung alledem begegnet,
nur beipflichten können, weil ein europäischer Krieg ein unübersehbares Un¬
glück für jeden sein würde, und weil wir ihr volles Zutrauen schenken, daß
sie für den Augenblick, wo ein solcher unvermeidlich wird, diplomatisch und
militärisch bereit sein werde, wie es ja König Wilhelm und dessen Minister
im Juli 1870 Gott sei Dank auch waren.

Straßburg ist eine deutsche Stadt: sie ist es von neuem geworden durch
ein von der französischen Nationalversammlung zu Bordeaux ausdrücklich ge¬
nehmigtes Friedensdvtument, und um die deutsche Stadt wieder französisch zu
machen, müßte die Vorsehung den Franzosen vor allem erst ein zweites, aber
umgekehrtes Sedan bescheren. Aber das ficht die Franzosen nicht an: die
Statue der Stadt bleibt nicht nur nach wie vor auf der Place de in Concorde
stehn, sie wird nicht bloß wie das Denkmal eines geliebten Toten bekränzt
und mit Farbenschmuck behängt, nein es liegt auf ihr auch jahraus jahrein
ein Immortellenkranz, worauf die Parole zu lesen ist: (jul va 1a? — I'rs.Qvö.
Der Botschafter Seiner Majestät des Kaisers von Deutschland führt, wenn er
sich ins Elysee begiebt, ziemlich unmittelbar an diesem chronischen Affront
vorüber, und das am 14. Juli gefeierte Nationalfest beginnt alljährlich damit,
daß zahlreiche patriotische Vereine und die Zöglinge der novi« Vol^wouniquö
die Statue mit Kränzen, Blumen und Trauerflor schmücken. Man verstehe
uns uicht falsch. Wir fühlen den Franzosen ihren Schmerz, ihre Wünsche und
ihre Hoffnungen nach, und wir verdenken ihnen von alledem nichts. Aber es


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[0032] Die Räuber oder minder wohlwollen, könnte, wenn ihr Sympathien für Deutschland nach¬ gesagt würden, nur sofort einpacken und ihrer Wege gehn. Auf der andern Seite würden freilich die Beziehungen zwischen den beiden vielfach aufeinander angewiesenen Nachbarländern leiden, wenn man Deutschland, wie es der Wunsch vieler Franzosen wäre, fortgesetzt und gründlich brüskierte. Es wird also ein Mittelweg eingeschlagen, der uns an Senfgurken erinnert, nicht sauer und uicht süß. Wenn den Gästen die Senfgurken zu süß vorkommen, werden russische Pickles serviert: das hilft immer. Die deutsche Regierung hat demgegenüber einen sehr schweren Stand. Nicht als ob die Deutschen in dieser Beziehung schwer zu behandeln wären; im Gegenteil, sie sind im Vollgefühl des gehabten Erfolgs erstaunlich ent¬ gegenkommend, aber von den Franzosen muß die deutsche Negierung, wenn sie nicht zuschlagen will, eine Rücksichtslosigkeit nach der andern, einen Affront nach dem andern in die Tasche stecken. Wohl gemerkt, wir sagen von den Franzosen, worunter wir das französische Volk meinen und namentlich die französische Presse, nicht die französische Regierung. Manche dieser Rücksichts¬ losigkeiten sind sogar chronisch, und wir haben es immer für einen Beweis besondrer staatsmännischer Klugheit und Befähigung unsrer leitenden Geister angesehen, daß sie immer bereit gewesen sind, die Sache möglichst von der besten Seite zu nehmen und trotz aller Mißerfolge neues Entgegenkommen oft in erstaunlich zartfühlender Form zu bethätigen. Wir wollen hier nur einiges erwähnen, um den Leser an das, was er ohnehin schon weiß, zu erinnern, und wir bemerken ausdrücklich, daß wir der scheinbaren Gleichgiltigkeit, mit der die deutsche Negierung alledem begegnet, nur beipflichten können, weil ein europäischer Krieg ein unübersehbares Un¬ glück für jeden sein würde, und weil wir ihr volles Zutrauen schenken, daß sie für den Augenblick, wo ein solcher unvermeidlich wird, diplomatisch und militärisch bereit sein werde, wie es ja König Wilhelm und dessen Minister im Juli 1870 Gott sei Dank auch waren. Straßburg ist eine deutsche Stadt: sie ist es von neuem geworden durch ein von der französischen Nationalversammlung zu Bordeaux ausdrücklich ge¬ nehmigtes Friedensdvtument, und um die deutsche Stadt wieder französisch zu machen, müßte die Vorsehung den Franzosen vor allem erst ein zweites, aber umgekehrtes Sedan bescheren. Aber das ficht die Franzosen nicht an: die Statue der Stadt bleibt nicht nur nach wie vor auf der Place de in Concorde stehn, sie wird nicht bloß wie das Denkmal eines geliebten Toten bekränzt und mit Farbenschmuck behängt, nein es liegt auf ihr auch jahraus jahrein ein Immortellenkranz, worauf die Parole zu lesen ist: (jul va 1a? — I'rs.Qvö. Der Botschafter Seiner Majestät des Kaisers von Deutschland führt, wenn er sich ins Elysee begiebt, ziemlich unmittelbar an diesem chronischen Affront vorüber, und das am 14. Juli gefeierte Nationalfest beginnt alljährlich damit, daß zahlreiche patriotische Vereine und die Zöglinge der novi« Vol^wouniquö die Statue mit Kränzen, Blumen und Trauerflor schmücken. Man verstehe uns uicht falsch. Wir fühlen den Franzosen ihren Schmerz, ihre Wünsche und ihre Hoffnungen nach, und wir verdenken ihnen von alledem nichts. Aber es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/32>, abgerufen am 26.05.2024.