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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Hcllcneiitnm und Christentum

möge sich entfernen! Wer aber dem Gotte glaubt, der soll zu seinem Heil
die Mysterien feiern!" Darauf wurden die Verdächtigen hinausgetrieben.
Alexander rief: Hinaus mit den Christen! Die Menge aber fügte hinzu:
Hinaus mit deu Epikuräern! Außer Leuten wie Lucian waren also die Christen
die einzigen, die sich von dem Gaukler nicht anführen ließen, dem alles zu¬
lief, und dem sogar in Rom angesehene Männer huldigten. Man sieht aus
alledem, daß Lucian nicht gerade ein erbitterter Feind der Christen gewesen
ist; wäre er es gewesen, so hätte er sich mehr Mühe gegeben, ihr Leben und
ihre Lehre kennen zu lernen, und hätte mehr gegen sie geschrieben. Wenn,
Wie man gewöhnlich annimmt, der Celsus, auf dessen Bitte er den Lügen-
Propheten entlarvt hat, derselbe Celsus wäre, der einen von Origenes abge¬
wehrten ernsthaften wissenschaftlichen Angriff gegen das Christentum gerichtet
hat, so müßte man es verwunderlich finden, daß Lucian nicht von seinem
Freunde einigermaßen in die christliche Lehre eingeweiht worden sei. Der
Name Sophist, deu er Jesus giebt, war übrigens damals kein Schimpfwort,
sondern die Bezeichnung eines angesehenen Standes. Christ schreibt in seiner
griechischen Litteraturgeschichte (Band 7 des von Iwan von Müller heraus¬
gegebnen Handbuchs der klassischen Altertumswissenschaft) S. 748 von Lucian:
"Die heitere Klarheit und Schönheit des Hellenentums gegen die Dunkel¬
männer und Halbbarbaren zu schützen, war der Kern seiner Thätigkeit. Der
aufgehenden Sonne des Christentums stand er allerdings feindlich gegenüber,
aber nnr, weil er den Kern der neuen, weltcrlöseuden Lehre nicht kannte und
es deshalb nur für eine philosophische Sekte hielt."

Zum Schluß mag noch an eine Äußerung Lucians erinnert werden, die
zu unserm Gegenstande mittelbar in Beziehung steht. Von der Abhandlung:
Wie soll man Geschichte schreiben? ist vor einiger Zeit in den Grenzboten
gesagt worden, sie sei nicht viel wert. Und in der That ist Lucians Begriff
von Geschichtschreibung der ärmlichste, den man sich denken kann. Sehr
natürlich: wo nichts geschieht, da giebt es keine Geschichte und keinen Begriff
von Geschichte. Außer der Einführung des Christentums, dessen Bedeutung
den Augen der Weltweisen verborgen blieb, geschah damals nichts, was Be¬
deutung für die Zukunft gehabt hätte. Diese Leere wurde empfunden. Lucian
sagt, über jeden kleinen Krieg seien die Geschichtschreiber heißhungrig her¬
gefallen; der Streit scheine also anch auf diesem Gebiet der Vater aller Dinge
zu sein. Das ist er in der That. Und es handle sich, meint er dann, nur
um Kriege von Barbaren untereinander, "denn uns wird wohl niemand mehr
anzugreifen wagen." Und als das daun die Barbaren wagten, da bedeutete
es deu Untergang der alten Welt. Diese ist, wie Otto secat gezeigt hat,
untergegangen, weil sie keine Aufgabe mehr zu lösen hatte, von keinem Streit
wehr bewegt wurde, ans dem etwas Neues hätte geboren werden können, nur
noch leeres Stroh drasch. Und weil ihr Untergang die Vorbedingung für
die Entstehung einer neuen Welt war, in die das Christentum einführen sollte,
gehört auch jene Äußerung Lucians. seine dürftige Auffassung der Geschicht¬
schreibung zu unserm Thema.




Hcllcneiitnm und Christentum

möge sich entfernen! Wer aber dem Gotte glaubt, der soll zu seinem Heil
die Mysterien feiern!" Darauf wurden die Verdächtigen hinausgetrieben.
Alexander rief: Hinaus mit den Christen! Die Menge aber fügte hinzu:
Hinaus mit deu Epikuräern! Außer Leuten wie Lucian waren also die Christen
die einzigen, die sich von dem Gaukler nicht anführen ließen, dem alles zu¬
lief, und dem sogar in Rom angesehene Männer huldigten. Man sieht aus
alledem, daß Lucian nicht gerade ein erbitterter Feind der Christen gewesen
ist; wäre er es gewesen, so hätte er sich mehr Mühe gegeben, ihr Leben und
ihre Lehre kennen zu lernen, und hätte mehr gegen sie geschrieben. Wenn,
Wie man gewöhnlich annimmt, der Celsus, auf dessen Bitte er den Lügen-
Propheten entlarvt hat, derselbe Celsus wäre, der einen von Origenes abge¬
wehrten ernsthaften wissenschaftlichen Angriff gegen das Christentum gerichtet
hat, so müßte man es verwunderlich finden, daß Lucian nicht von seinem
Freunde einigermaßen in die christliche Lehre eingeweiht worden sei. Der
Name Sophist, deu er Jesus giebt, war übrigens damals kein Schimpfwort,
sondern die Bezeichnung eines angesehenen Standes. Christ schreibt in seiner
griechischen Litteraturgeschichte (Band 7 des von Iwan von Müller heraus¬
gegebnen Handbuchs der klassischen Altertumswissenschaft) S. 748 von Lucian:
„Die heitere Klarheit und Schönheit des Hellenentums gegen die Dunkel¬
männer und Halbbarbaren zu schützen, war der Kern seiner Thätigkeit. Der
aufgehenden Sonne des Christentums stand er allerdings feindlich gegenüber,
aber nnr, weil er den Kern der neuen, weltcrlöseuden Lehre nicht kannte und
es deshalb nur für eine philosophische Sekte hielt."

Zum Schluß mag noch an eine Äußerung Lucians erinnert werden, die
zu unserm Gegenstande mittelbar in Beziehung steht. Von der Abhandlung:
Wie soll man Geschichte schreiben? ist vor einiger Zeit in den Grenzboten
gesagt worden, sie sei nicht viel wert. Und in der That ist Lucians Begriff
von Geschichtschreibung der ärmlichste, den man sich denken kann. Sehr
natürlich: wo nichts geschieht, da giebt es keine Geschichte und keinen Begriff
von Geschichte. Außer der Einführung des Christentums, dessen Bedeutung
den Augen der Weltweisen verborgen blieb, geschah damals nichts, was Be¬
deutung für die Zukunft gehabt hätte. Diese Leere wurde empfunden. Lucian
sagt, über jeden kleinen Krieg seien die Geschichtschreiber heißhungrig her¬
gefallen; der Streit scheine also anch auf diesem Gebiet der Vater aller Dinge
zu sein. Das ist er in der That. Und es handle sich, meint er dann, nur
um Kriege von Barbaren untereinander, „denn uns wird wohl niemand mehr
anzugreifen wagen." Und als das daun die Barbaren wagten, da bedeutete
es deu Untergang der alten Welt. Diese ist, wie Otto secat gezeigt hat,
untergegangen, weil sie keine Aufgabe mehr zu lösen hatte, von keinem Streit
wehr bewegt wurde, ans dem etwas Neues hätte geboren werden können, nur
noch leeres Stroh drasch. Und weil ihr Untergang die Vorbedingung für
die Entstehung einer neuen Welt war, in die das Christentum einführen sollte,
gehört auch jene Äußerung Lucians. seine dürftige Auffassung der Geschicht¬
schreibung zu unserm Thema.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/719>, abgerufen am 15.05.2024.